18. Februar 2008

Die Verlagerung der Güter auf die Schiene liegt jetzt in der Hand des Nationalrats: Mit dem Güterverkehrsverlagerungsgesetz GVVG werden die Weichen für die Zukunft der Verlagerungspolitik gestellt. Andrea Hämmerle, neuer Präsident der Verkehrskommission des Nationalrats, steht Red und Antwort zu Fragen rund um die Verlagerungspolitik.

aa. Der Ständerat kippte am 3. Oktober 2007 die Rechtsgrundlage für die Einführung der Alpentransitbörse (ATB) aus dem Güterverkehrsverlagerungsgesetz GVVG. Den Termin für die Verkehrsverlagerung verschob er auf zwei Jahre nach Eröffnung des Gotthard-Basistunnels (voraussichtlich 2017). Der Nationalrat hat jetzt die Chance, dies zu korrigieren und damit den Volkswillen zu achten. Alf Arnold, Geschäftsführer Alpen-Initiative, befragt Andrea Hämmerle (SP/GR), den neuen Präsidenten der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, zur Debatte des Güterverkehrsverlagerungsgesetzes GVVG.

Du warst vor 20 Jahren einer der Initianten der Alpen-Initiative und bist heute Präsident der Verkehrskommission des Nationalrates. Was hältst du vom Tempo der Umsetzung des Alpenschutzartikels?
Die Annahme der Alpen-Initiative war ein Jahrhundertereignis. Dies geschah gegen den Willen des Bundesrates und des Parlaments. Auch die Umsetzung dieses Verfassungsartikels muss gegen den Willen von Bundesrats- und Parlamentsmehrheit erkämpft werden. Dass dies nicht von heute auf morgen geschieht, erstaunt nicht. Und trotzdem dauert es viel zu lang.

Warum haben der Bundesrat und das Parlament nach deiner Einschätzung nicht schneller mit der Realisierung des Alpenschutzartikels vorwärts gemacht?
Zunächst standen Bundesrat und Parlament unter Schock. Sie hatten niemals mit der Annahme der Initiative gerechnet. Dann gab es Diskussionen mit der EU, den Wechsel von Adolf Ogi zu Moritz Leuenberger an der Spitze des zuständigen Departements. Und schliesslich: es gibt viele Mitglieder des Parlaments, die noch heute nicht wirklich akzeptieren, dass die Alpen-Initiative geltendes Recht ist.

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates hat beschlossen, auf die Aufsichtsbeschwerde der Alpen-Initiative gegen den untätigen Bundesrat nicht einzutreten, da das Parlament zurzeit das Güterverkehrsverlagerungsgesetz GVVG berate. Wird sich wenigstens die Verkehrskommission damit befassen?
Die Verkehrskommission kann und darf sich nicht mit der Aufsichtsbeschwerde befassen, wohl aber mit dem Güterverkehrsverlagerungsgesetz. Dieses muss nach meiner Meinung die Verfassungsbestimmung korrekt umsetzen. Doch der Kommissionspräsident kann keine Mehrheit befehlen. Diese ergibt sich im Verhandlungsprozess. Ich hoffe, wir können die Fassung des Ständerates verbessern.

Der Ständerat hat die Alpentransitbörse aus dem GVVG gestrichen. Falls der Nationalrat das Gleiche tut, können die Güter dann trotzdem auf die Schiene verlagert werden?
Die Alpentransitbörse ist eine geniale Idee des Vereins Alpen-Initiative. Auch der Bundesrat gibt in seiner Botschaft zu, dass sie das wichtigste und kostengünstigste Instrument zur Umsetzung des Verlagerungsauftrages ist. Doch auch wenn das Parlament die Alpentransitbörse fälschlicherweise ablehnen sollte: die Verfassungsbestimmung bleibt und muss umgesetzt werden.

Der Alpenschutz-Artikel der Bundesverfassung steht in einem Spannungsverhältnis zum Landverkehrsabkommen mit der EU. Warum sind ausgerechnet die SP und die Grünen, die ja eine Öffnung gegenüber der EU anstreben, für die Alpentransitbörse, während die Mehrzahl der europakritischen Bürgerlichen beim Alpenschutz bremsen?
Die (Transit-)Verkehrspolitik hat eine europäische Dimension. Idealerweise muss die Alpentransitbörse für alle Alpenübergänge eingeführt werden. Die Schweiz muss sich von aussen bei der EU dafür einsetzen, Österreich als EU-Mitglied von innen. Das ist in beiden Situationen schwierig, auch innenpolitisch. Aber: Die Berglerinnen und Bergler haben einen langen Atem und harte Köpfe – europaweit!

Ist die Verlagerung zwingend an die Fertigstellung der NEAT gebunden?
Die Verkehrsverlagerung ist ein Verfassungsauftrag. Die NEAT ist genauso wie die LSVA, die Schwerverkehrskontrollen auf der Strasse sowie die Subventionierung des Schienengüterverkehrs ein wichtiges Instrument zu deren Umsetzung. Der Verfassungsartikel aber gilt unabhängig davon, welches Instrument wann und wie fertig gestellt oder eingeführt wird.

Die Engpässe auf den Zulaufstrecken zur NEAT müssen im nächsten Jahrzehnt behoben werden, damit auch längerfristig die Verlagerung möglich ist. Ist die Finanzierung dieser Bauwerke gesichert?
Die Verkehrspolitik ist nie zu Ende. Es gibt immer wieder Engpässe und Probleme: bei den Zulaufstrecken, in den Agglomerationen etc. Der nächste Schritt ist ZEB (zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur). Weitere müssen und werden folgen. Darf ich mir noch einen Zusatz ohne Frage erlauben? Ohne Alpen-Initiative würde die Situation im Alpentransitverkehr bedeutend schlechter aussehen als heute: wir hätten keine LSVA, die einschenkt; die NEAT wäre nicht finanziert, wenn sie überhaupt gebaut würde; und es würden ein paar Hunderttausend LKW’s mehr pro Jahr die Alpen auf den Strassen überqueren. Die Aktivistinnen und Aktivisten der Alpen-Initiative verdienen einen grossen Dank und ein grosses Kompliment