22. Juni 2009

Die Bevölkerung im Chamonix-Tal hat sich nach der Katastrophe vom März 1999 (39 Tote) auf beispielhafte Weise gegen den LKW-Verkehr mobilisiert. 10 Jahre später ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Ein Umdenken hat stattgefunden, aber bis zu einer ­Änderung der Verkehrspolitik ist es noch weit.

Der grosse Widerstand der Bevölkerung gegen die Rückkehr der LKWs an den Montblanc hat in Frankreich zu einer Bewusstseinsbildung in Bezug auf das Ausmass der durch den Strassenverkehr verursachten Probleme geführt – und zwar nicht nur im Tal von Chamonix. Er bewirkte auch einen Zusammenschluss der verschiedenen Oppositionsbewegungen gegen den LKW-Verkehr aus unterschiedlichen französischen Regionen und dem Ausland.

Paris hat umgedacht…
Die steigende Ablehnung des Strassenverkehrs wurde auf politischer Ebene sehr stark wahrgenommen. Die französische Regierung hat verstanden, dass ihre Pro-Strassen-Verkehrspolitik nicht mehr von der Öffentlichkeit akzeptiert wird, wenn sie nicht versucht, diese abzuschwächen oder zu retuschieren. So wäre zum Beispiel eine 2. Röhre am Frejus inakzeptabel, und sie wird darum von der öffentlichen Hand als die Bohrung eines Sicherheitsstollens präsentiert. Im Laufe der Verhandlungen des Umwelt-Forums Grenelle – die im Übrigen noch nicht abgeschlossen sind – wurden die nationalen Umweltorganisationen (zu deren Netzwerk auch die Vereine des Montblanc gehören) von der französischen Regierung zur Teilnahme an den Diskussionen eingeladen. In den Diskussionen und Reden ist eine Änderung der Verkehrspolitik spürbar, wie aber sieht es in der Praxis aus? Im Jahr 1999 forderten die Vereine des Montblanc und die BürgerInnen:

Eine Schwerverkehrsabgabe zur Finanzierung des Schienenverkehrs (nach dem Vorbild der LSVA):
Die Öko-Abgabe (oder Öko-Steuer) hat ins Grenelle-Rahmengesetz Eingang gefunden. Sie sollte ab 2011–2012 im nicht mautpflichtigen Strassennetz umgesetzt werden. Ihr Prinzip ist akzeptiert, und ihre Moda­litäten werden im Umsetzungsgesetz der Grenelle festgelegt werden.
Die Verbesserung des bestehenden Eisenbahnnetzes: Mont Cenis (Maurienne), Tonkin (Evian-St. Gingolph), Carpates (Bellegarde–Genève), Alpentransversale Lyon–Turin, usw.:
Die Arbeiten für die Erhöhung des Lichtraumprofils des Mont Cenis und die Sanierung der Eisenbahnverbindung zwischen Bellegarde und Genève sind weit fortgeschritten. Weiters wurden die Elektrifizierung zwischen Valence und Montbélian und die Modernisierungsarbeiten für die Alpentransversale Lyon–Turin in Angriff genommen. Nur die Sanierung der Tonkin-Linie wurde nicht akzeptiert.
Die Verkehrsverlagerung auf die Schiene:
Das Grenelle-I-Gesetz enthält ein konkretes Ziel: Der Anteil des Verkehrs, der weder auf der Strasse noch per Flugzeug abgewickelt wird, soll von 14% (2006) auf 25% (2022) wachsen.
Die Nicht-Wiedereröffnung des Montblanc-Tunnels für internationale Transit-LKWs:
Das Hauptziel wurde nicht erreicht, weil die öffentliche Hand nie die nötigen Massnahmen für die Verkehrsverlagerung ergriffen hat. Die Arbeiten im Bahnbereich wurden zu spät in Angriff genommen, und die Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Lyon und Turin zwar versprochen, aber nicht gebaut. Ein Teil der Forderungen stiess also – wenn auch verspätet – auf offene Ohren, doch die Strassenlobby hat in Frankreich nach wie vor ein sehr grosses Gewicht.
Ziele für die nächsten 10 Jahre
Die Zeit der Versprechen ist vorbei, wir müssen nun eine wirkliche Revolution im Güterverkehrs-Bereich erreichen. Dabei muss dem Schienen- und Flussverkehr Priorität eingeräumt werden, um so die Pro-Strassen-Tendenz umzukehren, und eine bedeutende Reduzierung der Anzahl der LKWs auf den Strassen – und damit auch der Luftschadstoffe und Treibhausgase – zu erreichen. Die Ziele stehen fest, die Umweltprobleme sind gravierend, der Kampf ist aber noch lange nicht gewonnen. Die VertreterInnen der Umweltorganisationen müssen auch weiterhin mit Bestimmtheit ihre Position verteidigen und realistische Vorschläge einbringen. Dies umso mehr, weil die Gefahr eines Brandes in einem Al­pentunnel auch weiterhin sehr präsent ist. Im Montblanc-Tunnel und auf den Zufahrtsstrassen kommt es regelmässig zu Zwischenfällen, so z.B. im vergangenen März – 10 Jahre nach der Katastrophe. Ist das ein Symbol? Oder eine Warnung?

Weitere Infos auf www.arsmb.com
Anne Lassman-Trappier
Präsidentin des CPVH (Komitee für die Erhaltung des Dorfes Les Houches, Chamonix-Tal)