Pierre-Alain Gentil, Ständerat und Präsident des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband (SEV)
1. Einleitung
Ich möchte meine Einführung auf drei Ebenen ausrichten:
Eine Selbstverständlichkeit: Niemand will vor jedem Haus in der Schweiz einen Bahnhof bauen. Wie die Bahn hat auch der Strassenverkehr seinen Platz im Gütertransport.
Der Markt ist weder die einzige noch die beste Instanz, um die Konkurrenz und die Ergänzung zwischen den Transportmitteln zu regeln.
Es ist Aufgabe des Staates, den Güterverkehr zu steuern. Dabei muss er langfristig handeln und das Gesamtinteresse stark gewichten.
2. Der Strassentransport hat seinen Platz im Güterverkehr
Manchmal ist es sinnvoll, offensichtliche Wahrheiten zu wiederholen. Niemand will dem Strassentransport seine Bedeutung im Güterverkehr absprechen, insbesondere in der Feinverteilung. Wir bestreiten jedoch seinen Anspruch auf Vorherrschaft und bekämpfen die Erleichterungen und Wettbewerbsverzerrungen, von denen er in der Schweiz und in Europa profitiert.
3. Der Markt regelt nicht alles am besten
Im Gegensatz zu den Behauptungen aus den Kreisen der Strassentransporteure ist der Markt weder die einzige noch die beste Instanz, um den Gütertransport zu regeln. Der Markt bevorteilt die Kurzfristigkeit, den sofortigen Profit, doch der Güterverkehr (wie im übrigen auch der Personenverkehr) ist auf eine langfristige Ausrichtung angewiesen.
Die Investitionen in diesem Bereich sind ausserordentlich hoch;
Der Bedarf an Regelungen (Normen) ist sehr gross.
Zudem gelten für den Gütertransport noch andere Werte als der direkte ökonomische Gewinn, so der Preis eines Gutes über eine genau bestimmte Distanz. Der Gütertransport hat nämlich Auswirkungen auf:
Umwelt (Luftverschmutzung, Lärm),
Infrastrukturkosten (Unterhalt);
Sozialkosten (Unfälle, Gesundheitsschäden);
Arbeitsbedingungen (Löhne, Gesundheit);
und noch vieles mehr!
Letztlich erfordert die intelligente Lösung des gesamten Transportwesens (Huckepack und andere Angebote des kombinierten Verkehrs) Massnahmen in einer Kostengrösse (beispielsweise Alpentunnel) und eine internationale Koordination in einem Ausmass, das nur die Staaten langfristig und wirksam erreichen können.
4. Wir brauche eine bessere Regulierung
Der Verkehr (von Gütern und Personen) braucht eine bessere (und nicht weniger) Regulierung durch den Staat als heute. Die Behörden müssen insbesondere verstärkt aktiv werden um:
die Gesetze durchzusetzen, die im Strassentransport systematisch verletzt werden (Arbeitszeiten, technische Normen der Fahrzeuge, Einhalten der Gewichtslimiten, Billligfirmen). Selbstverständlich muss auch die Bahn kontrolliert werden, wie das Beispiel der BLS leider eben erst verdeutlicht hat;
darauf zu achten, dass die externen Kosten bei allen Transportmitteln einbezogen werden (Luftverschmutzung, Belastung der Infrastruktur, Unfälle). So gesehen ist der Angriff auf die Schwerverkehrsabgabe durch die Strassenlobby vor den Sommerferien völlig inakzeptabel;
die Verkehrspolitik mit andern politischen Themen und Entscheiden des Parlaments und des Volks abzustimmen. So hat sich das Volk deutlich und wiederholt für die Verkehrsverlagerung ausgesprochen (insbesondere mit der Alpeninitiative). Es gibt deshalb keinen Zweifel, dass der Güterverkehr (auch im Binnenverkehr) als Teil des Service public gilt und durch die öffentliche Hand unterstützt werden muss (Verbilligung der Trassenpreise und indirekte Begünstigungen). Die Volksentscheide haben Vorrang gegenüber dem Markt, beim Verkehr wie in andern Bereichen. Es ist ausserordentlich zu bedauern, dass gewisse öffentliche Unternehmen (besonders die SBB) dies abstreiten und die Unterstützung durch den Staat ablehnen.
Was zurzeit insgesamt zum Thema Regulierung zu hören ist, ist wenig erfreulich. Die letzten Neuigkeiten aus Brüssel (das den Ton angibt in diesen Fragen) sind schlecht. In ihrem soeben erschienenen Zwischenbericht über die Verkehrspolitik hat die Europäische Kommission nach Meinung aller Beobachter einen Rückschritt gemacht. Statt die Haltung zugunsten der Verkehrsverlagerung zu bestärken und die dafür nötigen Mittel zu verlangen, hat die Kommission eine Hymne auf die Komplementarität der Transportmittel gesungen, womit sie zu den reinen und brutalen Regeln des Markts zurückkehrt, was letztlich einen Vorrang des Strassentransports bedeutet.
Mehr denn je ist es deshalb nötig, die öffentlichen Aufgaben und Verpflichtungen zu verteidigen gegen ein simples «laisser faire». In diesem Sinn danke ich den Veranstaltern dieser Tagung, dass sie die Diskussion neu aufnehmen.¨
Danke für ihre Aufmerksamkeit!