9. Mai 2009

Die Alpen-Initiative ist neben dem Bio-Landbau mein liebstes Kind. Sie hat natürlich – wie alle Lieblingskinder – neben mir unzählige Mütter und Väter. Viele von ihnen sitzen hier im Zelt. Doch die Alpen-Initiative ist ein ganz spezielles Kind. Warum?

Die Alpen-Initiative ist eine von sehr wenigen Volksinitiativen, die überhaupt von Volk und Ständen angenommen worden sind. Sie ist die einzige Volksinitiative, die aus dem Alpenraum kommt. Ein paar links-grün-alternative Aktivistinnen und Aktivisten haben diese Initiative lanciert – zunächst ohne Unterstützung von Parteien und Umweltverbänden. Und sie ist wohl die einzige Volksinitiative, die einen wesentlichen Politikbereich der Schweiz nachhaltig prägt: die moderne schweizerische Verkehrspolitik wäre ohne den Alpenschutzartikel undenkbar. Dieser Artikel ist Fundament und Eckpfeiler der fortschrittlichen schweizerischen Verlagerungspolitik. Ohne ihn gäbe es keine LSVA, keine gesicherte Finanzierung der Neat, kein Güterverkehrsgesetz mit einem quantifizierten Verlagerungsziel, ohne ihn gäbe es eine zweite Röhre am Gotthard, ohne ihn gäbe es deutlich mehr Lastwagen auf der A2 und der A13.

Die Alpen-Initiative ist aber nicht nur innenpolitisch wegweisend, sie hat auch eine europapolitische Dimension. Sie widerspricht nämlich der Verkehrspolitik der EU – zwar nicht den rhetorischen Bekenntnissen, aber der tatsächlichen Politik. Darum ist der schweizerische Alpenschutz für die europäischen Verkehrspolitiker ein Ärgernis – genauso wie für die meisten bürgerlichen Verkehrspolitiker in der Schweiz, die normalerweise EU-skeptisch sind. Trotzdem ist der Alpenschutzartikel bei der vom Schwerverkehr betroffenen Bevölkerung auch in der EU sehr populär. Kein Minister eines EU-Landes würde es wagen, gegen Alpenschutz und Verkehrsverlagerung mit Peitsche und Kavallerie anzutreten. Im Unterschied zum exzessiven Bankgeheimnis oder zur schwer erklärbaren Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und -hinterziehung ist unser Anliegen ethisch-moralisch unanfechtbar, nachhaltig, zukunftsfähig und argumentativ kaum zu widerlegen.

Trotz alledem ist unser Kind auch nach Erreichen der Volljährigkeit noch betreuungs- und unterstützungsbedürftig. Der Alpenschutzartikel hat zwar enorm viel bewirkt, aber er ist noch nicht wirklich in die Tat umgesetzt. Deshalb steht hinter dieser Verfassungsbestimmung – wohl ein weltweites Unikum – ein Verein, der nichts anderes zum Ziel hat, als den Artikel auf Strasse und Schiene durchzusetzen.

Weshalb ist das nötig? Einerseits weigern sich Parlaments- und Bundesratsmehrheit, das Ergebnis der ungeliebten Volksabstimmung vom Februar 1994, das seither auf vielfältige Weise immer wieder bestätigt wurde, wirklich zu akzeptieren. Manche Lastwagen-, Strassenbau- und Autopolitiker (ich wähle bewusst nur die männliche Form), wähnen sich noch immer im Abstimmungskampf zur Alpen-Initiative. Sie haben damit aber mehr als 15 Jahre Verspätung. In diesem innenpolitischen Infight haben wir inzwischen einige Erfahrung. Und weicher sind wir in dieser Zeit nicht geworden, nur weisser und vielleicht auch weiser. Anderseits ist der Alpenschutzartikel nicht gegen die EU sondern nur mit ihr wirklich umzusetzen. Deshalb kommen wir runter von unseren Bergen, fahren raus aus unseren Tälern und schwärmen aus nach Rom, Paris, Wien, Berlin, Brüssel und Den Haag. Mit alpinem Charme, alpiner Hartnäckigkeit, Bauern- und Juristenschläue werden wir auch die EU noch zum Alpenschutz bekehren. Nachdem die Börse im Finanzmarktbereich nicht mehr so sexy ist, wird ihr bald einmal die Alpentransitbörse den Rang ablaufen. Bei ihr geht es um reale Werte.

Uns allen und unserem geliebten Kind viel Glück zum Geburtstag!