18. November 2009

Müssen Autoreifen, die von Deutschland nach Italien transportiert werden, auf einem Lastwagen durch die Alpen fahren? Am Gotthard kann man die 40-Tönner zählen, aber man sieht nicht, was sie geladen haben. Die Alpen-Initiative hat am 29. September 2009 in Uri 50 Chauffeure nacheinander zur ihrer Fracht befragt.

tob. Rund 2500 Lastwagen rollen täglich durch den Gotthard-Strassentunnel. Seit Anfang September werden jene, die von Norden nach Süden fahren, im Schwerverkehrs-Zentrum Ripshausen bei Erstfeld kontrolliert. Sind sie zu schwer beladen? Überschreiten sie die zulässige Höhe? Ziehen die Bremsen? Haben die Reifen das vorgeschriebene Profil? Ist die Ladung korrekt verteilt? Hat der Chauffeur genug geschlafen?
Kontrolliert wird auch Udo Behrens. Er ist unterwegs von Dänemark ins Tessin. Auf seinem Lastwagen transportiert er Möbelteile. Vor ihm stehen weitere 49 Lastwagen mit den Landes-kennzeichen Tschechien (CZ), Italien (I), Slowakei (SK), Rumänien (RO), Luxemburg (L), Schweiz (CH), Ungarn (H), Deutschland (D), ­Polen (PL), Frankreich (F), Holland (NL), Belgien (B), Litauen (LT), GB (Grossbritannien), Slowenien (SLO) oder Lettland (LV). Die Chauffeure sind freundlich bis abweisend. Alle 50 Befragten aber sagen, was sie geladen ­haben. Fast alles von dem, was sie verfrachten, könnte ebenso gut auf der Schiene transportiert werden. Im Folgenden die nüchterne Zusammenstellung:

CZ: Strecke Oevel, Belgien–Neapel. Geladen: Leere Behälter.
I: Lille F–San Salvo I. Leer.
SK: Luxemburg–Como. Autoreifen. (beim schweren Unglück im Gotthard-Strassentunnel im Oktober 2001, bei dem elf Menschen ihr Leben verloren haben, war unter anderem ein Lastwagen mit Autoreifen in Brand geraten).
RO: Belgien–Mailand. Elektronische Geräte.
L: Luxemburg–Italien. Computer, ­gerollte Folien usw.
CH: Balsthal–Como. Holzpellets.
H: Ginsheim D–Monticelli I. WC-Papier und andere Hygieneartikel (der ungarische Chauffeur fährt nach 20 Jahren erstmals wieder durch die Schweiz und wundert sich über die Dosierung des Schwerverkehrs).
D: Gernsheim bei Karlsruhe–Rom. ­Ersatzteile für Mercedes.
PL: Frechen bei Köln–Tribano bei Padua. Kohlebriketts.
I: Fontaine F–Neapel. Deckel für Zahnpastatuben.
I: Belfort–Parma. Sieben fabrikneue Peugeots.
PL: Deutschland–Italien. Sammelgut (der Chauffeur hat ganz unterschied-liche Güter geladen und weiss nicht auswendig, was auf der Ladebrücke ist).
I: Holland–Mailand. Pampers.
F: Charleville (nordöstlich von Paris) –Caravaggio I. 25 Tonnen Rahm.
NL: Nancy–Mailand. Plastikfolien.
PL: Hilter D–Verigate I. 22 Tonnen Margarine (beim Unglück im Mont-BlancTunnel 1999, bei dem 39 Menschen ums Leben kamen, war ein Lastwagen mit Margarine in Brand geraten).
I: Burgdorf–Como. Leer (der Chauffeur versteht nicht, weshalb auch leere Lastwagen in Erstfeld kontrolliert werden).
I: Rheinfelden D–Mailand. Medizinische Grundstoffe.
PL: Dänemark–Italien. Porzellan.
I: Belgien–Mailand. Sammelgut.
B: Belgien–Brescia I. Kautschuk-Granulat, Acrylpapier usw.
F: Colmar–Verona. Zwei grosse Aluminium-Spulen.
D: Übach-Palenberg D–Piacenza. Sammelgut.
SK: Belgien–Italien. Papier.
PL: Holland–Italien. Elektronische Geräte.
I: Rastatt D–Vercelli (bei Mailand). Acht Mercedes.
PL: Polen–Tessin. Möbel.
I: Freiburg im Breisgau–Bologna. Filter für Zigaretten.
SK: Holland–Italien. Metall und Stahl.
I: Frankfurt am Main–Novara I. Autoreifen.
NL: Holland–Italien (diverse Orte). Zellulose, leere Behälter, Papier, ­Plastik usw.
B: Belgien–Mailand. Flüssige Schokolade für die Bonbon-Produktion.
B: Belgien–Italien. Plastik, Textilien.
PL: Belgien–Sizilien. Kunststoff Granulat.
LT: Deutschland–Italien. Standmaterial für Messe.
D: Rheinfelden–Pontechiesa. Drei ­fabrikneue Renaults.
CH: Perlen LU–Stabio TI. Papier.
GB: England–Mailand. Medikamente, Spritzen (die Fracht wird gekühlt).
SK: Deutschland–Mailand. Material für Messe.
SK: Deutschland–Mailand. Ebenfalls Material für Messe.
D: Holland–Italien. Zugeschnittener Filz.
RO: Deutschland–Italien. Lebensmittelzusätze.
SK: Frankreich–Italien. Eisenteile (der Lastwagen ist zu schwer und muss einen Teil der Fracht abladen).
SLO: Holland–Tessin. Thermofolie (die Ladung ist falsch verteilt und muss verschoben werden).
D: Donaueschingen–Como. Fichten-Bretter (der Fahrer nennt die Fracht «Schwarzwald-Stahl»).
D: Frankreich–Bellinzona. Beach­volleyball-Sand.
LV: Belgien–Italien. Zehn fabrikneue Fiat Pandas (der Chauffeur weiss nicht, weshalb die Fahrt in die Heimat des Fiat führt).
RO: Deutschland–Mailand. Kartoffel-Mehl.
D: Deutschland–Italien. Schweiss­material (der Chauffeur musste eine Busse bezahlen, weil sein Lastwagen zu hoch war).
D: Dänemark–Tessin. Betten, Möbelteile.

Im 50. Lastwagen (D: Dänemark–Tessin) sitzt Udo Behrens. Er fährt seit 30 Jahren Waren durch Europa. In Frankreich sei er einmal ausgeraubt worden, sagt er. In die Schweiz kommt er gern. Das Schwerverkehrskontrollzentrum in Uri findet er super. Nicht zuletzt wegen der Duschen und des netten Personals. Er lädt seine Betten und Möbelteile im Tessin ab und fährt dann weiter nach Mailand. Dort holt er neue Fracht. Auf dem Rückweg wählt er die Rollende Landstrasse von Novara nach Freiburg im Breisgau. Während der Zug den Lastwagen durch die Alpen trägt, kann Udo Behrens schlafen und so seine Ruhezeiten einhalten. «Aber die Wagen sind dreckig, man kriegt im Zug nichts und es hat keine Klimaanlage – eine Zumutung», sagt Udo Behrens, das Zugsunternehmen habe grossen Nachholbedarf.