19. Februar 2004

Andreas Weissen, Vizepräsident der Alpen-Initiative
Schockerlebnis für die einen, Hoffnungsträger und Vorbild für die andern. Das ist die Schweiz im Umfeld der europäischen Verkehrspolitik. Inzwischen ist der schweizerische Weg auch von der EU weitgehend anerkannt. Doch es bleiben wesentliche Differenzen, auf welchen die Schweiz bestehen muss. Die Schweiz muss darüber hinaus, zusammen mit andern Ländern, auf der Schaffung neuer Verlagerungsinstrumente beharren.

Die Annahme der Alpen-Initiative hat im Ausland erst einmal einen Schock ausgelöst. Die laufenden Verhandlungen mit der Schweiz wurden unterbrochen und erst wieder aufgenommen, als der Bundesrat ein Konzept vorgelegt hatte, das den Grundsätzen der EU-Verkehrspolitik entsprach. Diese offizielle Brüsseler Reaktion hat allerdings verdeckt, dass die Alpen-Initiative in vielen Ländern, insbesondere bei unserem Nachbarn Österreich, als hoffnungsvolles Zeichen wahrgenommen wurde. Die Serie von Volksentscheiden – von der Bahn 2000 bis zur FinöV – die dem öffentlichen Verkehr klar Priorität einräumten, haben die Schweiz in den Augen von Fachleuten und in Kreisen des Umweltschutzes zum gelobten Land der Verkehrspolitik werden lassen. Dass wir dabei für rückwärtsgerichtete Geister eher zum Schreckgespenst wurden, nehmen wir gerne hin. Inzwischen hat die Europäische Union die schweizerische Verkehrspolitik mindestens teilweise auch offiziell anerkannt. Mit dem Landverkehrsabkommen hat sie nicht nur das Nacht- und das Sonntagsfahrverbot akzeptiert, sondern auch die Besteuerung des Schwerverkehrs nach dem Verursacherprinzip (einschliesslich Besteuerung der externen Kosten) sowie die Querfinanzierung der Eisenbahninfrastruktur durch den Strassenverkehr und die finanzielle Stützung des Eisenbahngüterverkehrs. Auch die Einigung über den Ausbau der Eisenbahnlinien jenseits der Schweizer Grenze ist ein wichtiger Puzzlestein in der schweizerischen Verlagerungspolitik. Die diesbezüglichen Versprechungen der EU sind allerdings grossenteils erst noch einzufordern. Das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der EU selber noch immer nach den alten Prinzipien gelebt wird (Eurovignetten-Richtlinie, TEN etc.) und Veränderungen in die richtige Richtung scheinbar noch immer nicht mehrheitsfähig sind. Eine allfällige weitere Annäherung der Schweiz an die EU wird mit diesen (und einigen andern) Differenzen konfrontiert werden. Hoffnungsvoll stimmt die Einführung der Maut in Österreich und hoffentlich bald auch in Deutschland – in beiden Ländern leider vorläufig immer noch im engen Korsett der EU-Bestimmungen – aber auch das Roadpricing in London. Eine weitere wichtige Annäherung der Schweiz an die EU ist mit der Zürcher Konferenz vom November 2001 passiert, als es Bundesrat Leuenberger gelang, seine Amtskollegen aus den Nachbarländern und der EU-Kommission unter dem Eindruck der drei Tunnelkatastrophen vom Mont-Blanc, Tauern und Gotthard von der Notwendigkeit einer sicherheitsbedingten Dosierung der Schwerverkehrs zu überzeugen. Wohl nur dank dieser Übereinkunft konnte in den letzten drei Jahren die vom Verkehrsverlagerungsgesetz verlangte Stabilisierung des Verkehrsvolumens erreicht werden. Ebenso wichtig ist die Anerkennung der Alpen als sensible Zone, was in verschiedenen Dokumenten zum Ausdruck kommt, nicht zuletzt in der Ratifizierung der Alpenkonvention durch die EU. Jetzt wird es darum gehen, der EU klar zu machen, dass über LSVA, Nachtfahrverbot, Bahninfrastrukturausbau und LKW-Kontrollen hinaus zusätzliche Instrumente nötig sind, um dem Volkswillen zum Durchbruch zu verhelfen. Hier darf sich die Schweiz nicht einengen lassen, wenn sie nicht Verrat am Volk üben will. Nötig ist aber eine möglichst weitgehende Koordination mit Österreich und Frankreich, die mit dem alpenquerenden Verkehr ähnliche Problem haben. Nur in dieser Zusammenarbeit können sich die Alpen gegenüber Brüssel durchsetzen. Dies zeigt leider das Beispiel des Konzepts der Ökopunkte, das schliesslich scheiterte. Für die Umweltorganisationen ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit längst Wirklichkeit geworden. Die Alpen-Initiative ist Mitglied der Initiative Transport Europe (ITE), deren Sekretariat sie während Jahren führte. Sie ist auch Mitglied von Transport & Environment (T&E), in dessen Rahmen sie beim Projekt „Safe and Sustainable Freight Transport“ eine Gruppe schweizerischer Organisationen vertritt. Das Projekt, getragen von einer bunten Mischung aus Regierungsstellen, Eisenbahunternehmungen und Umweltorganisationen aus mehreren europäischen Ländern, wirbt auf europäischer Ebene für eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und macht Lobbying für die Bereitstellung von entsprechenden Rahmenbedingungen. Es muss klar werden, dass Strasse und Schiene genauso wenig unter gleichen Konkurrenzbedingungen ins Rennen steigen können wie Igel und Hase. Wer will, dass die umweltfreundliche Variante des Gütertransports die tragend Rolle erhält, der muss eine ungleiche Behandlung der beiden Verkehrsträger akzeptieren.

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