18. November 2013

Am Gotthard wird 2016 der längste Tunnel der Welt eröffnet. In Rotterdam warten über 40 Kilometer Hafenanlagen auf den Ausbau. Besteht da ein Zusammenhang? Regula Rytz* hat sich umgesehen.

(tob) In Rotterdam wird der Hafen für drei Milliarden Euro ausgebaut. Muss uns das in der Schweiz interessieren?
Ja, das muss uns interessieren. Davon konnte ich mich auf einer Reise mit der Verkehrskommission des Nationalrats überzeugen. Bei der Fahrt durch den drittgrössten Seehafen der Welt ist mir richtig bewusst geworden, was auf uns zurollen könnte. Allein zwischen Asien und Europa steigt das Handelsvolumen jährlich um 9% an. Bis 2050 soll sich der Güterverkehr weltweit sogar verdoppeln. Die Frachtgüter bleiben natürlich nicht in Rotterdam liegen, sondern müssen zu den Kunden transportiert werden. Davon sind wir stark betroffen, denn einer der wichtigsten europäischen Güterkorridore führt von Rotterdam über Basel nach Genua – und damit mitten durch die Schweiz.

Denkt man in Hollands Häfen darüber nach, wie die Güter weitertransportiert werden sollen?
Die Hafengesellschaft von Rotterdam hat die gesamte Logistik- und Transportkette im Auge. Da die Autobahnen auch in Holland überlastet sind, soll die Containerflut auf die Schiene und auf den Rhein verlagert werden. Die Holländer haben eine neue Bahnstrecke allein für den Güterverkehr vom Hafen Rotterdam bis an die Grenze zu Deutschland gebaut.

Müssen wir mit einer Verkehrszunahme rechnen?
Ja, das ist leider so. Selbst wenn es gelingt, die Transporte vermehrt auf die Schiene und die Flüsse zu verlagern, wird der Verkehr auch auf der Strasse zunehmen. Das sind die negativen Folgen des Welthandels, der immer verrücktere Blüten treibt. In Rotterdam haben wir zum Beispiel riesige Braunkohlelager gesehen. Weil die USA mit dem Abbau von Schiefergas ihre Abhängigkeit von ausländischen Energiequellen reduzieren, wird nun südamerikanische Kohle zu Spottpreisen nach Rotterdam verschifft, um dann in Deutschland verbrannt zu werden. Dies torpediert die Energiewende und den Klimaschutz. Nur die Kostenwahrheit im Verkehr kann hier etwas ändern.

Mit welchen Zunahmen rechnet man für die Schweiz?
Das Bundesamt für Verkehr rechnet nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels mit einem deutlichen Verlagerungseffekt bei den Containertransporten. Dieser wird durch den geplanten 4-Meter-Korridor für Sattelschlepper noch verstärkt. 2030 sollen sich gemäss Prognosen aber dennoch 1,4 Millionen statt wie heute 1,2 Millionen schwere Nutzfahrzeuge durch unsere Alpen kämpfen. Wir treten also an Ort, wenn sich nicht grundsätzlich etwas ändert.

Warum wird so viel Ware von Rotterdam nach Italien verfrachtet? Italien hat doch auch grosse Meerhäfen?
Das stimmt, doch diese sind zum Teil ungünstig gelegen und in einem schlechten Zustand. Weil selbst Güter aus China und dem Nahen Osten um Afrika herum nach Rotterdam geschifft werden, haben wir es mit einer absurden Situation zu tun: Seefrachten für Italien werden nicht in Genua angeliefert, sondern von Rotterdam aus durch die Schweiz transportiert. Entweder baut die Schweiz die Infrastruktur für diesen Wahnsinn immer weiter aus, oder unser Land findet intelligentere Lösungen und führt die Alpentransitbörse ein.

Wie wichtig ist da der Eisenbahn-Basistunnel am Gotthard?
Dass die Schweiz hier vorangeht, wird anerkannt. Auch Holland hat einiges in die Bahn investiert. Der kombinierte Verkehr funktioniert aber nur, wenn auch Deutschland und Italien die Verbindungen sicherstellen. Wichtig wäre zudem der Ausbau der Rheinhäfen in Basel und die Anbindung an die NEAT. Die Rezepte für einen umweltfreundlicheren Gütertransport sind da. Doch die Zunahme des internationalen Handels wird uns immer wieder auf Feld eins zurückkatapultieren, es sei denn, die Politik gibt Gegensteuer!

Also kann die Schweiz durchaus handeln?
Die Schweiz hat dank der Alpen-Initiative eine gute Ausgangslage. Doch wenn die internationalen Gütermengen explodieren, dann wird es viel politischen Mut brauchen, die Transitflut zu stoppen. Zuverlässiger als die Politik ist da die Physik. Das heisst: Nur wenn die Schleusen für die Lastwagen nicht endgültig geöffnet werden, werden die Transporteure umdisponieren!

Sie sprechen die zweite Strassenröhre am Gotthard an.
Ja, ihr Bau würde als Bereitschaft der Schweiz verstanden, das Wachstum des Güterverkehrs auch auf die Strasse zu lenken. Wenn eine Infrastruktur vorhanden ist, wird sie auch genutzt – alles andere ist ein Märchen. Die Schweiz hat deshalb nur eine Chance: Sie muss die Verkehrskapazitäten begrenzen. Mit der Einführung der Alpentransitbörse kann sie der Wirtschaft einen fairen, transparenten und effizienten Zugang zu den knappen Transportmöglichkeiten sichern. Logistik statt Beton – nur so kommen wir in der Verlagerungspolitik vorwärts. Wir wollen nicht die Lastwagenflut von Rotterdam nach Genua mit einer zweiten Strassenröhre am Gotthard subventionieren.