22. April 2015

Der Gotthard braucht keine 2. Strassenröhre. Ein Verlad von Autos und Lastwagen sei gut machbar, sagen die Fachleute, welche schon heute im Geschäft sind. Verschiedene Unternehmen haben bereits ihr Interesse für den temporären Verlad angemeldet.

tob. «Schau, ein Dreibein», ruft einer. Ich suche Beine, aber ich sehe nichts. Der Kollege klärt auf: «Dort hinten steht eine Rangierlok mit drei Achsen, ursprünglich Baureihe V60 der Deutschen Bundesbahn.» Voilà.

Güterpendelzüge
Auf einer Reise mit Eisenbahnjournalistinnen und -journalisten lernt man einiges. Zum Beispiel, dass auf den Schienen viel innovativer gewirtschaftet wird als man denkt. Besonders im Güterverkehr. So fährt beispielsweise das Unternehmen railCare AG Pendelzüge von Ost nach West und von Nord nach Süd. Es gibt tägliche Verbindungen im Taktfahrplan zwischen Chur und Lausanne, aber auch von Lausanne direkt in die Stadt Genf. Das sind Strecken, auf denen die Autobahnen chronisch überlastet sind und wo es in den nächsten Jahren noch enger werden wird. Die Bahn ist die einzige Alternative, insbesondere für den Güterverkehr. «Wir streben eine Liefergenauigkeit von 96 % an», sagt Philipp Wegmüller von railCare. Ein Ziel, das auf der Strasse kaum zu erreichen ist.

Diese Pendelzüge widerlegen auch die Ansicht, die Bahn sei für verderbliche Güter untauglich und nur auf langen Strecken wirtschaftlich: railCare fährt täglich zwei Züge mit Gemüse und Früchten vom Tessin durch den Gotthard. Je nach Saison können die Züge auch mehr Wein und Teigwaren aus dem südlichen Nachbarland transportieren. «Unsere Züge sind zu 92 % ausgelastet und wir haben keine Probleme mit Staus am Gotthard, weder an Ostern noch an Pfingsten noch im Sommer», sagt Philipp Wegmüller. Während der Sanierung des Strassentunnels könnte ausgebaut werden, was schon heute funktioniert. Die railCare AG, die viel für Coop fährt, bilanziert im Übrigen die Einsparungen an CO2 und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.

Verladezüge
Was auf solchen Reisen die Fachleute bestätigen, haben bereits mehrere Studien gezeigt: Es braucht am Gotthard keine 2. Röhre! So hielt die renommierte Firma SMA und Partner AG zuhanden des Bundesamts für Verkehr fest: «Die Variante mit je zwei stündlichen Rola-Verbindungen Rynächt –Biasca (Gotthard-Basistunnel) und Basel – Chiasso bietet eine attraktive Kombination aus beherrschbarer Terminalgrösse, Ausnutzung der Trassenkapazität auf dem gesamten Korridor und angebotener Transportkapazität.»

Unterdessen haben sich mehrere innovative Unternehmen gemeldet, die eine Rollende Landstrasse für Lastwagen oder einen Autoverlad anbieten möchten. RAlpin etwa transportiert mit ihren Zügen schon heute jährlich über 100’000 Lastwagen von Freiburg im Breisgau D nach Novara I. All diese Lastwagen würden sonst auf der Strasse durch die Schweizer Alpen fahren. «Wir haben das Potenzial für zusätzliche 500’000 Lastwagen», sagt Geschäftsführer René Dancet.

Bei RAlpin werden sowohl das Zugfahrzeug als auch der Sattelauflieger verladen. Es gibt aber auch die Variante, dass nur Sattelauflieger oder Container auf die Bahnwagen geladen werden. Da die meisten Sattelauflieger nicht von einem Kran gehoben werden können, haben die Unternehmen Modalohr/LOHR UIC, CargoBeamer oder Nikrasa neue Modelle entwickelt, die bereits in Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Italien eingesetzt werden. Dabei fahren – anderes als bei RAlpin – die Zugfahrzeuge nicht mit der Bahn mit. Die Vertreter dieser Unternehmen erklärten, dass sie während der Sanierung des Gotthard-Strassentunnels mit ihren Systemen den Verkehr grundsätzlich bewältigen könnten.

Autoverlad
Für den Autoverlad, wie er zwischen Göschenen und Airolo eingerichtet werden könnte, gilt dasselbe: Er ist machbar. Die BLS, die seit über 50 Jahren am Lötschberg einen Autoverlad betreibt, hat wiederholt erklärt, dass sie die geforderten Kapazitäten zur Verfügung stellen und einen Verlad auch am Gotthard betreiben könnte. Was an der Reise der Eisenbahn-Journalisten zudem bekannt wurde: Die BLS könnte die Autozüge, die am Gotthard zum Einsatz kämen, nachher am Lötschberg weiterverwenden. Da die BLS dannzumal ihre Verladezüge ersetzen muss, würden somit Kosten gespart. Das heisst, die Verladelösung käme gegenüber dem Bau einer 2. Röhre nochmals um
über 50 Millionen Franken günstiger.

Bilanz dieser Reise: Es sind genug innovative Unternehmen am Markt, um während der Sanierung des Gotthard-Strassentunnels den gesamten Verkehr auf der Schiene abwickeln zu können.