19. November 2012

Am Gotthard kann die Strassenkapazität jederzeit verdoppelt werden, wenn die Schweiz erst einmal eine zweite Röhre gebaut hat. Das lässt sich weder wegdiskutieren noch gesetzlich aufhalten.

Verschiedene Irrtümer begleiten die Diskussion, wie sich eine zweite Strassenröhre am Gotthard tatsächlich auswirken würde.

Kein Ausbauprojekt? Ein bisschen Seldwyla sei es, zwei Röhren am Gotthard zu bauen und sie dann nur halb zu nutzen, hat Doris Leuthard im Februar 2012 gesagt. Trotzdem plant sie in diese Richtung. Dabei mag die vom Bundesrat vorgeschlagene zweite Röhre auf dem Papier wie ein Sanierungsprojekt aussehen, aber in Tat und Wahrheit schafft sie die baulichen Voraussetzungen für den Vierspur-Betrieb. Sämtliche Studien des Bundesrats haben gezeigt, dass eine Sanierung OHNE zweite Röhre machbar ist. Bei einer Verdoppelung der Röhren kann also nicht von einem reinen Sanierungsprojekt gesprochen werden: Eine zweite Röhre ist ein verkapptes Ausbauprojekt!

Verfassung respektiert? Die Befürworter einer zweiten Röhre wiederholen gerne, dass Alpenschutz und Verfassung respektiert werden. Das trifft nicht zu, denn keine bauliche oder gesetzliche Massnahme kann die vierspurige Fahrt durch den Gotthard auf Dauer verhindern. Der Bau einer zweiten Röhre unter dem Vorwand der Sanierung höhlt den Alpenschutz in Etappen komplett aus und setzt sich über die Verfassung hinweg. Die Verfassungsmässigkeit ist am technischen Kapazitätspotential der zweiten Röhre zu messen, nicht am Willen, diese nur halb zu nutzen!

Unabhängigkeit garantiert? Die Schweiz würde mit einer Verdoppelung des Strassentunnels ihre Selbstständigkeit in Verkehrsfragen aufgeben und sich erpressbar machen. Unabhängige rechtliche Abklärungen haben gezeigt, dass die EU gestützt auf
das Landverkehrsabkommen eine Öffnung aller vier Spuren im Gotthard durchsetzen könnte, sobald sie erstellt sind – das Abkommen erlaubt im Grunde keine künstlichen Beschränkungen der Kapazität.

Nachhaltiges Projekt? Eine zweite Strassenröhre ist entgegen der Erklärungen
des Bundesrats nicht nachhaltig, weder in Bezug auf die Investitionen und deren Folgekosten, noch in Bezug auf den Energieverbrauch, die Luftqualität oder die
Gesundheit der Bevölkerung. Es ist erwiesen, dass die Bahn ökologischer und Ressourcen schonender transportiert als der Lastwagen. Auch in Bezug auf die Sicherheit sind Bahntransporte jenen auf der Strasse weit überlegen.

Isoliertes Tessin? Das Tessin wird während der Sanierung des Strassentunnels nicht isoliert, wie das die Befürworter einer zweiten Röhre behaupten. Ein leistungsfähiger Bahnverlad für Autos und Lastwagen sorgt für die gute Anbindung – auch auf der Strasse. Das hat der Bundesrat selber aufgezeigt. Isoliert wird das Tessin hingegen, wenn auf die zweite Röhre gesetzt wird. Bevor sie in Betrieb wäre, müsste der bestehende Strassentunnel notsaniert werden. Bei diesem Szenario gäbe es KEIN Ersatzangebot auf der Schiene. Das heisst: Das Tessin wäre für den Strassenverkehr während 140 Tagen nur über Passstrassen erreichbar, die Kantone Graubünden und Wallis hätten massiv mehr Verkehr zu erdulden.

Was auch vergessen wird: Das Tessin wird künftig viel besser erreichbar sein. 2014 wird die neue Bahnlinie zwischen Mendrisio und Varese eine direkte Verbindung zur Simplonlinie schaffen und die Reisezeit von Lugano nach Lausanne um rund eine Stunde verkürzen. Ab 2016 wird zudem der Gotthard-Basistunnel die Reise vom und ins Tessin um eine Stunde schneller machen.

Mehr Sicherheit? Viele Autofahrende haben Angst, durch den Gotthard-Strassentunnel zu fahren. Doch die Tunnels sind ebenso sicher wie die offenen Abschnitte der Schweizer Autobahnen. Nach 2001 wurden Millionen in Sicherheitsmassnahmen investiert. In den letzten zehn Jahren starben im Gotthard-Strassentunnel sechs Personen. Im gleichen Zeitraum kamen auf den Schweizer Strassen insgesamt 4086 Menschen ums Leben. Für die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) wirkt sich eine zweite Röhre kaum positiv auf die Sicherheit aus. UND: Gibt es nur drei Prozent mehr Verkehr, was bei einer zweiten Röhre bestimmt der Fall wäre, so erhöht sich die Zahl der Unfälle auf der gesamten Achse! Der vermeintliche Vorteil einer zweiten Röhre entpuppt sich als Nachteil.

Geld im Überfluss? Eine zweite Röhre am Gotthard kostet mindestens 1 Milliarde Franken mehr als die Sanierung mit Ersatzangebot auf der Schiene. Diese Milliarde wird bei anderen Projekten, insbesondere in den Agglomerationen, fehlen! Das verschweigen die Befürworter, ebenso den Umstand, dass sich mit einer zweiten Röhre die ohnehin hohen Betriebs- und Unterhaltskosten verdoppeln würden. Scheitert die Verlagerungspolitik, wird das den Staat weitere Millionen kosten.

Ein Brennpunkt? Gerade mal 17’000 Fahrzeuge fahren täglich im Durchschnitt durch den Gotthard-Strassentunnel. Das ist im Vergleich mit anderen Strassen, wo bis zu 140’000 Fahrzeuge gezählt werden, ausgesprochen wenig. Der Verkehr am Gotthard hat zudem seit 2001 nicht zugenommen. Die Befürworter einer zweiten Röhre geben jedoch vor, der Gotthard sei der verkehrsmässige Brennpunkt des Landes. Die Stau-Spitzenwerte werden überdies beim Freizeitverkehr erreicht und nicht an Werktagen.