22. Februar 2001

Alf Arnold-Rosenkranz, Geschäftsführer der Alpen-Initiative
Seit Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels hat die SBB auf dieser Strecke die Hälfte ihres Personenverkehrs verloren. Dafür stauen sich die Autos auf der Autobahn. Die Bahn kann einen Beitrag zum Abbau der Staus leisten, wenn sie ein attraktiveres Angebot bietet – und das nicht erst nach Eröffnung der NEAT. Die Alpen-Initiative macht konkrete Vorschläge.

Vor 1980, also vor Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels transportierte die Bahn im Mittel täglich 20’000 Personen durch den Gotthard. Heute sind es – trotz allgemeinem Verkehrswachstum – weniger als 10’000. Aufsummiert auf die letzten zwanzig Jahre ergeben sich daraus für die Bahn Verluste von mehr als einer Milliarde Franken oder mehr als 50 Millionen pro Jahr. Noch vor Jahresfrist plante die SBB deshalb eine Verminderung ihres Angebots im Fernverkehr auf der Gotthardroute. Das Bundesamt für Verkehr hat dies in der Fernverkehrskonzession verhindert.

Die Alpen-Initiative hält eine Reduktion des Angebots für eine völlig verkehrte Strategie, wenn sich gleichzeitig vor den Portalen des Strassentunnels die Autos stauen. Sie plädiert deshalb im Gegenteil für Ausbau und Attraktivitätssteigerung des Bahnangebots. Aufgrund verschiedener Statistiken ist das Angebot primär auf den Verkehr zwischen dem Grossraum Zürich/Innerschweiz und dem Tessin auszurichten. Dabei sind die verschiedenen Bedürfnisse von Ferienreisenden, Wochenend- und Tagesausflüglern, Tessiner Wochenpendler-Innen in die Deutschschweiz und Militärpersonen, die im Tessin Dienst tun, zu berücksichtigen. Da sowohl Netz wie Fahrplanangebot in Deutschland und Italien schlechter sind als in der Schweiz, ist der internationalen Verkehr erst in zweiter Linie zu berücksichtigen. Die Alpen-Initiative schlägt Massnahmen auf verschiedenen Ebenen vor:

Fahrplanangebot: Ab Zürich soll jede halbe Stunde ein Schnellzug fahren: abwechselnd ein Neigezug und ein Alpen-Express. Der Alpen-Express soll nach Locarno, der Neigezug Richtung Milano weiterfahren. Weil der Neigezug rund eine halbe Stunde schneller ist als der Alpen-Express, treffen jeweils beide Züge kurz hintereinander in Bellinzona ein. Das ermöglicht ohne zusätzlichen Aufwand einen idealen Anschluss an die regionalen Verkehrsbetriebe. Am Wochenende soll ein zusätzlicher Inter-City dazukommen, der entsprechend seinem Namen auf die Reisenden zu und von den Tessiner Städten ausgerichtet ist.
Rollmaterial: Heute verkehren am Gotthard noch viele nicht klimatisierte und laute Einheitswagen II. Wegen den vielen Tunnels (Lärm) und den schwankenden Temperaturen (Norden – Süden, verschiedenen Höhenlagen, Tunnelwärme) wirkt sich dies besonders unangenehm aus. Demgegenüber soll der Alpen-Express durch besonderen Komfort auffallen. Als Vorbild könnte der Voralpen-Express Luzern – St. Gallen – Rorschach dienen. Komfort heisst: ruhig, klimatisiert, grosse Fenster. Die Schweizer Neigezüge (ICN), welche die SBB in den nächsten Jahren vermehrt am Gotthard einsetzen wollen, entsprechen bereits weitgehend diesen Komfortansprüchen. Das Angebot ist abzurunden mit Ruhewagen und Spielwagen sowie einem fahrenden Lebensmittelladen (Rail Shop).
Verpflegung: Im Bistrowagen, der in jedem Zug mitfahren soll, sollen eine Anzahl ausgewählter Tessiner Spezialitäten die Reisenden erwarten. Am Freitag soll auch am Sitzplatz ein spezielles „Freitagznacht-Paket“ angeboten werden, und am Sonntag ein entsprechendes Pendant.
Fahrkarten: Der Tarif für die Fahrt ins Tessin soll auf Wunsch nicht nur die Fahrt von Norden nach Süden und zurück enthalten, sondern gleichzeitig ein regional und zeitlich beschränktes Generalabonnement für alle öffentlichen Verkehrsmittel im Tessin oder einen seiner Teile (Leventina, Bellinzona und Umgebung, Locarno und Umgebung, Sottoceneri). Zudem soll das Pauschalangebot einen Taxi-Gutschein enthalten für Situationen, wo der öffentliche Verkehr kein Angebot bieten kann
Gepäcktransport: Mit einem Von-Haus-zu-Haus-Service zu akzeptablem Preis soll es möglich sein, das Gepäck z.B. am Freitag Morgen zuhause bereitzustellen und am Abend vor dem Ferienhaus oder im Hotel wieder vorzufinden. Selbstverständlich soll jeder Alpen-Express auch ein Abteil besitzen, wo im Selbstverlad Velos transportiert werden können.
Das Ziel des neuen Angebots muss sein, die Ferien oder das Wochenende für Bahnreisende bereits am Ausgangspunkt der Reise beginnen zu lassen. Nur so kann der (am Gotthard oft fiktive) Geschwindigkeitsvorteil des Autos gegenüber dem öffentlichen Verkehr aufgewogen werden. Die SBB selber sprechen im Zusammenhang mit der 2. Etappe von Bahn 2000 von einem Halbstundentakt am Gotthard.

Als Antwort auf die Avanti-Initiative ist dieser im vorgeschlagenen Sinne möglichst schnell umzusetzen. Gelingt es, statt 10’000 Personen pro Tag wieder 20‘000 oder gar 30’000 mit der Bahn zu transportieren, so können rund 5’000 bzw. 10‘000 Autofahrten eingespart und damit die Staus weitgehend zum Verschwinden gebracht werden.