Christa Mutter, Vorstands- und Ausschussmitglied der Alpen-Initiative
Die Bundesverfassung gibt dem Bundesrat Kompetenz und Auftrag, die Massnahmen zur Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf dem Verordnungsweg zu treffen. Dies wurde bisher weder vom Parlament noch von der Lehre angezweifelt. Die Dringlichkeit verlangt entschieden nach dem schnelleren Verordnungsweg. Auch die Alpentransitbörse kann auf dem Verordnungsweg eingeführt werden.
Der Bundesrat hat einen Auftrag, nicht nur eine Kompetenz
Artikel 84 Absatz 2 BV sagt klar, dass der Bundesrat die notwendigen Massnahmen „trifft“ Der Bundesrat hat also nicht nur eine Kompetenz (es steht nicht „kann treffen“), sondern einen Auftrag, Massnahmen zu treffen . Eine Kompetenz im öffentlichen Recht ist immer zugleich Recht und Pflicht zur Ausübung. Der Alpenschutzartikel verlangt explizit für die Ausnahmen den Gesetzesweg. Auch daraus lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass für den Regelfall der Verordnungsweg gilt. Art. 7 Abs. 3 des Verkehrsverlagerungsgesetzes verlangt, dass der Bundesrat dem Parlament spätestens 2006 ein Ausführungsgesetz zum Alpenschutzartikel vorlegt. Diese Bestimmung kann nicht als Auftrag verstanden werden, den Auftrag der Verfassung an den Bundesrat zur Regelung der Massnahmen zu unterlaufen. Sie ist vielmehr als Auftrag zu verstehen, ein Gesetz im Sinne von Art. 84 BV zu unterbreiten, also eines, das die Ausnahmen bestimmt.
Der Verordnungsweg wurde nie angezweifelt
In der Botschaft zur Alpen-Initiative vom 12.2.92 zieht der Bundesrat den Verordnungsweg nicht grundsätzlich in Zweifel. Er bezeichnet es nur als „rechtssetzungspolitisch … inopportun“, dass die Massnahmen auf dem Verordnungsweg, die Ausnahmen aber auf dem Gesetzesweg beschlossen werden sollen. (Seite 24) Hätten Bundesrat und Parlament an der Rechtmässigkeit des Verordnungsweges Zweifel gehabt, so hätten sie die Alpen-Initiative für ungültig erklären müssen. Sie haben den Alpenschutzartikel aber auch bei der Totalrevision der Bundesverfassung im Jahr 1998 unverändert übernommen. Professor Martin Lendi äussert in seinem Kommentar zum Alpenschutzartikel keinen Zweifel am Verordnungsweg. Auch Lenkungsabgaben sind auf dem Verordnungsweg möglich Professor Paul Richli hält in einem Gutachten für das damalige EVED fest, dass die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung mit Bezug auf die Rechtsetzung auch für die Einführung von Lenkungsabgaben gelte: „Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb der Bundesrat nicht auch Lenkungsabgaben sollte einführen dürfen, wenn er tendenziell schärfere Massnahmen wie das Gebot des vollständigen Verlagerns des fraglichen Schwerverkehrs auf die Schiene anordnen bzw. konkretisieren darf.“ Richli schliesst zwar den Gesetzesweg „nicht kategorisch aus“: „Sollte eine Verlagerungslösung derweise aber nicht zeitgerecht zustande kommen, was zumal im Falle eines erfolgreichen Referendums möglich wäre, so wäre der Bundesrat zum Erlass von Verordnungsrecht aufgerufen.“ Er warnt aber ausdrücklich vor dem Gesetzesweg: “Dies könnte ihn (den Bundesrat) in eine heikle politische Lage bringen, falls eine ähnliche Lösung vorher in einem Referendum verworfen worden sein sollte. Man wird sich also reiflich überlegen müssen, ob es angezeigt sei, entgegen der (systemwidrigen) Anordnung in Artikel 36sexies Absatz 2 BV den Gesetzgeber zu bemühen.“ Selbst wenn der Bundesrat entgegen der Meinung von Prof. Richli zur Ansicht gelangen sollte, dass eine Abgabe auf dem Verordnungsweg nicht eingeführt werden könne, hat er die Kompetenz, die Alpentransitbörse als Umsetzungsmassnahme zu beschliessen. Denn diese stellt im juristischen Sinne keine Abgabe dar. Die gesetzte Frist verlangt nach dem schnelleren Verordnungsweg Das Initiativkomitee der Alpen-Initiative hat bewusst dem Bundesrat einen klaren Handlungsauftrag erteilen wollen, um den Willen des Volkes direkt und ohne eine absehbare Verwässerung oder Verzögerung durch das Parlament umzusetzen. Die bisherige Entwicklung bei der Umsetzung des Alpenschutzartikels sowie der Vorentwurf des Güterverkehrsgesetzes vom Mai 2005 zeigen, dass diese Überlegungen richtig waren. Der Bundesrat hat in der Botschaft zur Alpen-Initiative den Willen der Initianten richtig erkannt: „Offenbar soll damit (mit dem Verordnungsweg) ermöglicht werden, die notwendigen Massnahmen unverzüglich in die Tat umzusetzen.“ Entsprechend gehandelt hat er nicht. Im Rahmen der bilateralen Abkommen mit der EU hat das Parlament die Frist um fünf Jahre bis 2009 (15 Jahre nach Annahme der Alpen-Initiative!) verlängert, was vom Volk akzeptiert wurde. Mit dem offenbar anvisierten Gesetzesweg riskiert der Bundesrat nun aber, dass auch diese Frist an unnötigen Manövern im Parlament scheitert. Nur auf dem Verordnungsweg können die dringend notwendigen schärferen Massnahmen, insbesondere die Alpentransitbörse, noch rechtzeitig eingeleitet und umgesetzt werden. Fribourg/Freiburg, 20.2.06 Anhang: Gesetzliche Grundlagen
Bundesverfassung (Fassung 1998)
Art. 84 Alpenquerender Transitverkehr
1 Der Bund schützt das Alpengebiet vor den negativen Auswirkungen des Transitverkehrs. Er begrenzt die Belastungen durch den Transitverkehr auf ein Mass, das für Menschen, Tiere und Pflanzen sowie ihre Lebensräume nicht schädlich ist. 2 Der alpenquerende Gütertransitverkehr von Grenze zu Grenze erfolgt auf der Schiene. Der Bundesrat trifft die notwendigen Massnahmen. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn sie unumgänglich sind. Sie müssen durch ein Gesetz näher bestimmt werden. 3 Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden. Von dieser Beschränkung ausgenommen sind Umfahrungsstrassen, die Ortschaften vom Durchgangsverkehr entlasten.
Art. 196 Übergangsbestimmungen
1. Übergangsbestimmung zu Art. 84 (Alpenquerender Transitverkehr) Die Verlagerung des Gütertransitverkehrs auf die Schiene muss zehn Jahre nach der Annahme der Volksinitiative zum Schutz des Alpengebietes vor dem Transitverkehr abgeschlossen sein.
Art. 182 Rechtsetzung und Vollzug
1 Der Bundesrat erlässt rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung, soweit er durch Verfassung oder Gesetz dazu ermächtigt ist.
Verkehrsverlagerungsgesetz vom 8. Oktober 1999
Art. 1 Ziel
3 Falls das Verlagerungsziel nach den Absätzen 1 und 2 gefährdet erscheint, legt der Bundesrat Zwischenschritte für die Verlagerung fest und trifft die notwendigen Massnahmen oder beantragt diese der Bundesversammlung. Er schlägt nötigenfalls weitere Massnahmen im Rahmen der Botschaft für ein Ausführungsgesetz zu Artikel 84 der Bundesverfassung vor.
Art. 7 Referendum, Inkrafttreten und Geltungsdauer
… 3 Dieses Gesetz gilt bis zum Inkrafttreten eines Ausführungsgesetzes zu Artikel 84 der Bundesverfassung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2010. Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung spätestens im Jahre 2006 eine Botschaft für ein Ausführungsgesetz zu Artikel 84 der Bundesverfassung.