«Bei der Alpen-Initiative geht die Umsetzung extrem langsam vonstatten», sagt der Zürcher Rechtsprofessor Heribert Rausch.* Unter anderem, weil die Politiker zum Trötzeln neigen und lieber Bauwerke einweihen als innovative Logistik fördern.
tob. Bis heute sind 266 Volksinitiativen zustande gekommen. Über 165 davon wurde abgestimmt. Nur 15 wurden bisher angenommen, darunter 1994 die Alpen-Initiative.
Zehn Jahre nach Annahme der Alpen-Initiative hätte laut Verfassung die Zahl der Lastwagenfahrten durch die Alpen um die Hälfte reduziert sein müssen. Nun haben Bundesrat und Parlament das Ziel auf 2019 hinausgeschoben. Das heisst, sie wollen die Alpen erst 15 Jahre nach dem Termin, den das Stimmvolk vorgegeben hat, wirksam vor dem Transitverkehr schützen. Bringen Volksinitiativen also gar nichts? «Das ist eine falsche Vermutung», sagt Heribert Rausch. Er bezeichnet die Volksinitiativen sogar als Motor der Gesetzgebung. Das gilt auch für die Alpen-Initiative. «Die Schweiz hätte ohne die Alpen-Initiative kein Verkehrsverlagerungsgesetz, auch das Nachfolgegesetz GVVG, das demnächst bereinigt wird, hat letztlich nicht das Parlament erfunden. Und wie viel Geld wäre in die NEAT investiert worden, wenn nicht die Alpen-Initiative mit dem Verlagerungsziel im Hintergrund stünde und den nötigen Druck erzeugte?»
Sofort wirksam
Unmittelbar wirksam wurde das in der Alpen-Initiative formulierte Verbot für den Ausbau der Transitstrassen. Es wird zwar immer wieder politisch angegriffen, doch das Volk hat es 2004 mit seinem Nein zu einer zweiten Strassenröhre durch den Gotthard bestätigt. Zum Vergleich: Unmittelbar wirksam nach der Abstimmung wurden 1990 respektive 2005 auch die eidgenössischen Volksinitiativen «Stopp dem Atomkraftwerkbau» und «Für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft». Die Moratorien von zehn beziehungsweise fünf Jahren traten direkt in Kraft.
Ohne Alpen-Initiative wäre auch die Alpentransitbörse in keinen Gesetzesentwurf eingeflossen, wie sie das jetzt ist. «Die Zeit arbeitet für die Alpen-Initiative und die Transitbörse: Man kann eine gute Idee nicht 10 Jahre schlechtreden», sagt Heribert Rausch. Auch bei der LSVA sei das so gegangen. Zuerst habe die Politik die Abgabe abgewehrt, heute wolle niemand mehr darauf verzichten, sogar in der EU werde heute eine ähnliche Abgabe entwickelt.
Reflex statt Reflexion
Dass sich Regierung und Parlament mit der Umsetzung von Volksinitiativen schwertun, ist laut Rausch üblich. Generell hat er festgestellt, dass es bei Volksinitiativen so etwas wie einen behördlichen Abwehrreflex gibt. In seiner Abschiedsvorlesung sprach er von «Reflex statt Reflexion». Dabei zeuge es, so Rausch, von einem eigenartigen Demokratieverständnis, wenn Regierung und Parlament nach einer Abstimmung ihren Widerstand gegen die vom Volk vorgebrachten Anliegen fortsetzen.
Schwer tun sich die Leute an den Schalthebeln der Macht laut Heribert Rausch auch, weil sie meist einseitig technikgläubig sind. «Im Bundeshaus denken sie nur an die Hardware wie Strassen- und Schieneninfrastruktur, aber nicht an die Software.» Zur Software aber gehören auch Aufgaben, wie «Leerfahrten von Lastwagen reduzieren», «Unsinnstransporte vermeiden» oder eben eine Alpentransitbörse. «Die Alpentransitbörse ist Logistik», sagt Rausch.
So verwundert es nicht, dass nicht nur die Alpen-Initiative zögerlich umgesetzt wird. Das Gleiche war der Fall mit der Rothenthurm-Initiative. 20 Jahre nach deren Annahme konnten die Initianten 2007 aber feststellen, dass zwar nicht alles zum Besten bestellt ist beim Moorschutz, dass aber wohl mehr erreicht wurde, als ursprünglich beabsichtigt war. «Die Rothenthurm-Initiative hat zu einem eigentlichen Entwicklungsschub im Naturschutzrecht geführt», sagt Heribert Rausch. Er zieht den Schluss, dass Volksinitiativen Wirkung entfalten «namentlich auch in steinigen Problemfeldern, in denen es Bundesrat und Parlament an Entschlusskraft gebricht.» Volksinitiativen, so Rausch, schreiben Rechtsgeschichte. Das gilt auch für die Alpen-Initiative.