23. Dezember 2003

Andrea Hämmerle
Der Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative wirkt als Einladung für die EU-Lastwagen und gefährdet so die Zulaufstrecken und die Rentabilität der NEAT. Die Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene wird nur durch griffige Massnahmen gewährleistet, nicht durch leere Versprechen. Massnahmen hat das Parlament aber nicht beschlossen.

Der Avanti-Gegenvorschlag bedeutet nicht nur, dass die zweite Röhre am Gotthard gebaut werden kann, sondern auch, dass die von allen, selbst vom TCS, gewünschte Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene sabotiert wird: – NEAT-Zulaufstrecken gefährdet: Bei einem Ja zum Avanti-Gegenvorschlag haben die Nachbarländer keinen Grund mehr anzunehmen, die Schweiz mache mit der Verlagerung tatsächlich ernst. Deshalb werden sie ihrerseits darauf verzichten, die (vertraglich zugesicherten! ) Zulaufstrecken zur NEAT auszubauen. Diese sind aber dringend erforderlich. – Einladung für EU-Lastwagen: Die zweite Röhre ist eine Einladung an die EU, uns ihre Lastwagen zu schicken: Der deutsche Verkehrsminister Manfred Stolpe hat bereits anlässlich seines Besuches in der Schweiz am 2.10.03 ausgeführt, dass er glücklich wäre, wenn die zweite Röhre gebaut würde: „Wir stehen hier vor einer grossen europäischen Herausforderung, und der Nord-Süd-Warenverkehr wird an Bedeutung und Volumen noch zunehmen.“ – NEAT-Rentabilität gefährdet: Eine zweite Tunnelröhre und die weiteren Ausbauten auf der Nord-Süd-Achse würden die Strasse für den Güterverkehr zweifelsohne attraktiver machen. Der Bundesrat wird die heutige Dosierung des Schwerverkehrs im Gotthardtunnel kaum aufrecht erhalten, wenn eine zweite Röhre einmal gebohrt ist. Die Rentabilität der 15 Milliarden teuren NEAT würde damit gefährdet. Der Bundesrat selbst hat noch 2002 vor dieser Wirkung der 2. Gotthard-Strassenröhre in seiner Botschaft zur Avanti-Initiative gewarnt: „Der Tunnel würde sodann die Wirtschaftlichkeit der NEAT beeinträchtigen und ein falsches Signal betreffend Verlagerungspolitik setzen.“ Nun verlangen ausgerechnet die gleichen Kreise, die in den letzten Monaten nicht müde werden, die Rentabilität der NEAT anzuzweifeln, eine zweite Röhre. – Kompetenzwirrwarr: Gemäss geltendem Alpenschutzartikel (Art. 84 Absatz 2) trifft der Bundesrat die nötigen Massnahmen zur Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene. Das Parlament ist nur zuständig für die Definition der Ausnahmen. Der Avanti-Gegenvorschlag lässt Absatz 2 unberührt, verlangt nun aber in einem neuen Zusatz zu Absatz 3 ein (vom Parlament zu beschliessendes) Gesetz, das die Einhaltung des Verlagerungsziels regeln soll. Damit entsteht ein Kompetenzwirrwarr: Wer ist nun für die Verlagerung zuständig, Bundesrat oder Parlament? Den Auftrag, ein Ausführungsgesetz zum Alpenschutzartikel zu machen hat sich das Parlament übrigens bereits im Verkehrsverlagerungsgesetz gegeben. Es ist bezeichnend, dass dies das Parlament offenbar schon vergessen hat…. – Drohende Verzögerungen: Mit einem Gesetz sind auch die Tore für weitere Verzögerungen offen. Das im Avanti-Gegenvorschlag verlangte Gesetz kann so formuliert werden, dass es niemandem gefällt, und anschliessend mit einem Referendum bekämpft werden. Am Schluss haben BR und Parlament die bequeme Situation, dass die Verlagerungsforderung als blosses Bekenntnis in der Verfassung stehen bleiben kann, ohne dass eine Umsetzung erfolgen muss. Die Mutterschaftsversicherung lässt grüssen… – Leeres Versprechen: Das Gesetz bietet keine Sicherheit für die Verlagerung des Güterverkehrs. Im Avanti-Gegenvorschlag steht nämlich nicht, dass dieses in Kraft sein und Wirkung entfalten muss, bevor eine zweite Röhre in Angriff genommen wird. Das Parlament ist uns auch die Antwort schuldig geblieben, mit welchen Mitteln es die Verlagerung sicherstellen will. Bekenntnisse und Versprechen allein genügen nicht. Bis aus der SchwerVerkehrsPartei SVP die Schweizerische VerlagerungsPartei wird, wird es noch einige Zeit dauern. – Finanzielle Unterstützung des Eisenbahngüterverkehrs gefährdet: Der Bund unterstützt heute die Verlagerung des Güterverkehrs mit rund 300 Mio. Franken pro Jahr. Der Zahlungsrahmen von total 2,85 Milliarden Franken wurde als flankierende Massnahme zum Landverkehrsabkommen für einen Zeitraum von elf Jahren beschlossen. Diesen Subventionen (und den Dosierungsmassnahmen) ist zu verdanken, dass in den vergangenen Jahren trotz Vierzigtönner-Kontingenten der Strassentransit nicht noch mehr angewachsen ist. Angesicht der laufenden Sparhysterie, die von den Avanti-Befürwortern angeheizt wird, ist zu befürchten, dass diese Mittel über kurz oder lang nicht mehr voll eingesetzt werden können. Bereits wurde im Rahmen des Entlastungsprogramms Abstriche bei der Förderung des Wagenladungsverkehrs gemacht. All diese Überlegungen machen deutlich: Wer die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene nicht gefährden will, stimmt am 8. Februar NEIN.