15. Dezember 2003

Der Avanti-Gegenvorschlag ebnet den Weg für den Bau einer zweiten Röhre. Die Folgen für die Alpen wären fatal: Massiv zunehmender Verkehr brächte noch mehr Dreck, Lärm und Gestank in die Alpentäler. Aber damit nicht genug: Eine Annahme der Avanti-Vorlage würde auch die Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene praktisch verunmöglichen.

aa. Am 20. Februar 1994 hat das Schweizer Volk gegen den Willen von Bundesrat und Parlament ja gesagt zur Alpen-Initiative. Seither steht der Alpenschutz in der Bundesverfassung. Konkret soll der alpenquerende Transitgüterverkehr innerhalb von zehn Jahren nach der Abstimmung auf die Schiene verlagert und auf eine Erweiterung der Kapazitäten der alpenquerenden Strassen verzichtet werden. Rund zehn Jahr nach der Abstimmung wollen Bundesrat und Parlament das Ausbauverbot für Transitstrassen völlig aushöhlen. Der Gotthard ist mit rund 80 Prozent des alpenquerenden Verkehrs die wichtigste Transitroute. Gerade sie soll vom Ausbauverbot ausgenommen und damit der Bau einer zweiten Röhre ermöglicht werden. Blauäugig haben der Stände- und auch der Nationalrat darauf verzichtet, im Gegenvorschlag einen konkreten Bauauftrag zu formulieren. Das Avanti-Strassenbauprogramm wird erst ein Jahr nach der Abstimmung vom Parlament beschlossen. Es ist äusserst unwahrscheinlich, dass der Nationalrat, welcher sich schon bei der parlamentarischen Iniziative Giezendanner für den Bau einer zweiten Röhre ausgesprochen hat, dieses Bauvorhaben in die zweite oder dritte Priorität zurückstellen wird. Zudem untersteht dieses Programm nicht dem fakultativen Referendum. Das heisst, dass die Stimmbevölkerung dazu überhaupt nichts mehr zu sagen haben wird.

Scherbenhaufen vorhersehbar Wird die zweite Röhre am Gotthard gebaut, so ist sie möglicherweise noch vor dem Basistunnel der NEAT im Betrieb. Sie wird wie ein Magnet auf den EU-Schwerverkehr wirken. Der deutsche Verkehrsminister Manfred Stolpe hat anlässlich seines Besuches in der Schweiz am 2. Oktober 2003 ausgeführt, dass er über einen Bau der zweite Röhre glücklich wäre: «Wir stehen hier vor einer grossen europäischen Herausforderung, und der Nord-Süd-Warenverkehr wird an Bedeutung und Volumen noch zunehmen.» Wenn in ein paar Jahren die finanzielle Stützung des Bahngüterverkehrs enflällt, die wegen der Finanzlage des Bundes ohnehin gefährdet ist, stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Das Verkehrsverlagerungsgesetz sowie die Förderung des Bahngüterverkehrs sind bis zum Jahr 2010 befristet. Spätestens 2006 müsste der Bundesrat dem Parlament ein Ausführungsgesetz zum Alpenschutzartikel vorlegen. Nun schafft das Parlament im Gegenvorschlag mit dem neuen Absatz 3 des Alpenschutzartikels gleich auch noch eine weitere leere Selbstverpflichtung, die Verlagerung per Gesetz sicherzustellen.

Wer ist zuständig? Diese Regelung stellt einen Widerspruch zum unveränderten Absatz 2 dar, wo die entsprechende Kompetenz dem Bundesrat zugesprochen ist. Die Absicht ist offensichtlich: Das Parlament soll das Anliegen weiter verzögern können. Wenn es dann irgendwann zu einem Entscheid kommen sollte, werden Strassenverkehrsverbände und Wirtschaft alles unternehmen, diesen mittels Referendum zu bodigen. Dann hätten Bundesrat und Parlament die bequeme Situation, dass sie den Alpenschutzartikel als blossen Wunsch in der Verfassung stehen lassen könnten, ohne ihm Taten folgen zu lassen. Der Gegenvorschlag ermöglicht also nicht nur den Bau der zweiten Röhre, sondern untergräbt gleichzeitig auch die Verlagerungspolitik (siehe Kasten)! Strassen bauen, Probleme ernten Die Folgen für die Alpen wären katastrophal: Die zweite Röhre ermöglicht fast eine Verdoppelung des Verkehrsvolumens – mit den entsprechenden Konsequenzen für Menschen und Umwelt. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Gefahrgutvorschriften bei einem zweiröhrigen Gotthardtunnel gelockert würden. Das Resultat ist eine Verlagerung von Gefahrenguttransporten von der Schiene auf die Strasse und damit markant mehr gefährlich Transporte auf der ganzen Transitroute zwischen Basel und Chiasso. Unvergessen bleibt die hehre aber leere Versprechung von Innenminister Hans Hürlimann anlässlich der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels 1980: «Dieser Tunnel ist kein Korridor für den Schwerverkehr.» Heute donnern täglich 3’500 schwere Brummer durch das Loch. Mit einer zweiten Röhre wären es schon bald 7’000. «Beim Verkehr führt ein grösseres Angebot allemal zu einer grösseren Nachfrage», so Stadler. «Und der Weg über den Gotthard ist nun einmal der kürzeste auf der Nord-Süd-Achse in Mitteleuropa.»