22. Juni 2009

Mit volkswirtschaftlicher und ökologischer Vernunft hat es wenig zu tun, wenn Politiker immer wieder für eine zweite Röhre des Gotthard-Strassentunnels werben. Sehr viel aber mit der Bauwirtschaft, die neue Aufträge sucht.

aa. Erst gerade haben uns die Statistiker vorgerechnet, dass 2007 0,8 Prozent weni­ger Personenwagen die Alpen gequert haben als 2001. Durchschnittlich verkehren am Gotthard 16’600 Fahrzeuge pro Tag, während sich andernorts 80’000 oder mehr über die Autobahn drängen. Stau gibt es nur an einigen Wochenenden im Sommerhalbjahr. Der Direktor des Bundesamts für Strassen, Rudolf Dieterle, hat es so ausgedrückt: «Niemand baut ein 20-Zimmer-Haus, nur damit er an Weihnachten oder Ostern die ganze Verwandtschaft komfortabel unterbringen kann.» (Zentralschweiz am Sonntag vom 3.5.09) Genau diese Villa aber wollen uns einige Politiker mit einem neuen Vorwand aufschwatzen.

Neuer Vorwand
Während der Sanierung des heutigen Gott­hardtunnels soll das Tessin nicht vom Verkehr abgeschnitten werden. Um den Verkehr aufrechtzuerhalten, müsse man vorher eine zweite Röhre bauen. Damit aber keine von der Verfassung verbotene Kapa­zitätssteigerung stattfindet (Alpenschutzartikel), würde der zweite Tunnel nach der Sanierung selbstverständlich nur einspurig betrieben. Wer das glaubt, ist selber schuld!

Der freisinnige Neuenburger Ständerat ­Didier Burkhalter, Vorstandsmitglied des Vereins PPP (Public Private Partnership), will uns die zweite Röhre sogar schenken: «Von der Planung bis zum Betrieb und Unterhalt würde der private Partner die volle Verantwortung für eine Vertragsdauer von 30 Jahren übernehmen.» Damit der Staat nicht bezahlen muss – er könnte sein Geld auf dem Markt ohnehin billiger ­aufnehmen – sollen die BenützerInnen das neue Loch mit einer Tunnelgebühr zwischen Fr. 20.– bis 50.– finanzieren. Der Haken an der Geschichte: Damit das möglich wäre, müsste das Volk zuerst die Bundesverfassung ändern, welche die Strassen für gebührenfrei erklärt.

Die wirklichen Gründe
Ist es Zufall, dass das parlamentarische Quartett, das im letzten Jahr Vorstösse für die zweite Röhre eingereicht hat, enge Beziehungen zum Baugewerbe hat? Ständerat Dick Marty (FDP, TI) ist Verwaltungsrat des Strassen- und Tunnelbauunternehmens Facchinetti SA in Neuenburg, sein Kollege Filippo Lombardi (CVP, TI) amtet als Verwaltungsrat der Bauunternehmung Ennio Ferrari SA in Lodrino und des Tunnelbauers Pizzarotti SA in Lugano, Nationalrat Fabio Abate (FDP, TI) als Verwaltungsrat der Impresa Barella SA in Chiasso und der Freiburger Nationalrat Jean-François Rime (SVP, FR) als Verwaltungsratspräsident der Sagé­rime SA in Bulle (Leitplanken, Zäune, Lärmschutzwände etc.). Mit zum Team gehört auch der ehemalige FDP-Präsident und Alt-Nationalrat Franz Steinegger, der sich seit seinem Rücktritt aus der Politik immer lauter für die zweite Röhre einsetzt, die er früher abgelehnt hat. Er ist Verwaltungsratspräsident des grossen Baukonzerns CSC Impresa Costruzioni SA, der national und international im Tunnelbau engagiert ist.