Alf Arnold, Geschäftsführer der Alpen-Initiative
Seit 1994 steht der Alpenschutzartikel in der Bundesverfassung. Er verlangt eine Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene innerhalb von zehn Jahren. Die zehn Jahre sind längst vorbei, und das Verlagerungsziel ist noch in weiter Ferne. Die Alpen-Initiative drängt deshalb auf eine schnelle Einführung der Alpentransitbörse. Statt den Betrieb zu subventionieren, soll der Bund einen Teil dieser finanziellen Mittel zur Beseitigung allfälliger Engpässe im Schienennetz einsetzen.
Was ist seit Annahme der Alpen-Initiative am 20. Februar 1994 geschehen?
1998 hat das Volk das Ausführungsgesetz zur Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und anschliessend die Finanzierung der Eisenbahngrossprojekte (FinöV) befürwortet. Aufgrund des Landverkehrsabkommens wurde die LSVA 2001 gleichzeitig mit einer schrittweisen Erhöhung der Gewichtslimite von 28 auf 40 Tonnen, dem provisorischen Verkehrsverlagerungsgesetz sowie einer Subventionierung des Eisenbahngüterverkehrs in Kraft gesetzt. Nach dem LKW-Brand im Gotthardtunnel vom Oktober 2001 wurde zudem das Dosiersystem eingeführt. Dank dem neuen Verkehrsregime ist die Zahl der alpenquerenden Lastwagenfahrten vom Maximum von 1,4 Millionen im Jahr 2000 auf 1,25 Millionen 2004 gefallen. Im vergangenen Jahr zeigt die Tendenz (9 Monate) eine Erhöhung der Bahntransporte um 2%. Die Zahl der Lastwagen ist in den ersten neun Monaten 2005 um 4% gefallen (weitere Zahlen fehlen bis zur Stunde).
Eine Detailanalyse ergibt folgende ernüchternde Bilanz:
40-Tonnen-Effekt: Die höhere Gewichtslimite hat den Strassentransport attraktiver gemacht. Mit weniger Lastwagen wurden mehr Güter transportiert. Die Zahl der alpenquerenden Lastwagenfahrten ist zurückgegangen, während – absurderweise – der Marktanteil der Strasse in Tonnen zunahm.
LSVA-Effekt: Die Anlastung eines Teils der externen Kosten hat der Attraktivitätssteigerung der Strasse durch die höhere Gewichtslimite entgegengewirkt, diese aber nicht ganz ausgeglichen. 2008 wird die LSVA nochmals leicht erhöht, was das Verhältnis Strasse/Schiene aber nicht mehr wesentlich beeinflussen wird.
Subventionseffekt: Mit jährlich gegen 300 Millionen Franken hat die Schweiz den Güterverkehr auf der Schiene verbilligt. Dank den Subventionen sind die Tonnagen zwar gestiegen, der Marktanteil der Schiene ist aber ausser im Jahr 2004 (und möglicherweise 2005) laufend zurückgegangen.
Wie geht es weiter?
Lötschberg-Effekt: Die Verlagerungswirkung des Lötschberg-Basistunnels ist bescheiden. Ein Teil der Güterzüge (ausser den Rola-Zügen) wird weiterhin die Bergstrecke befahren müssen. Auch südlich des Simplons bleibt eine Steilstrecke, die für schwere Züge eine zusätzliche Lokomotive nötig macht. Im Mittelland fahren die Güterzüge aus Lärmschutzgründen nachts über die Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist, die mehr Steigungen aufweist als die alte Linie.
Gotthard-Effekt: Der Gotthard-Basistunnel wird frühestens 2015 fertig, der Ceneri-Basistunnel gar erst 2018. Auch danach bleibt für die Züge via Chiasso eine kleine Steilrampe südlich von Lugano. Nur für die Züge, welche die Grenze auf der einspurigen Luino-Linie queren, wird wirklich eine Flachbahn Realität. Auf den Zulaufstrecken zum Basistunnel zeichnen sich schon jetzt etliche Engpässe ab, für deren Beseitigung erst noch eine Finanzierung gefunden werden muss. Längerfristig könnte auch die Porta Alpina, aber auch die Absicht der SBB, die IC-Züge halbstündlich statt nur stündlich verkehren zu lassen, die Tunnelkapazität für den Güterverkehr negativ beeinflussen. Es ist damit auch hier nicht ausgeschlossen, dass ein Teil der Güterzüge weiterhin über den Berg fahren müssen.
Spar-Effekt: Die allgemeine Sparpolitik von Bundesrat und Parlament lässt es sehr unwahrscheinlich erscheinen, dass der Bund der mangelnden Attraktivität der Schiene dauerhaft mit Millionensubventionen nachhilft.
Produktivitätseffekt Strasse: Auch auf der Strasse wird die Produktivität zweifellos weiter zunehmen. Die Transportunternehmen greifen immer mehr auf osteuropäische Billigfahrer zurück. In den Niederlanden und in Deutschland laufen bereits Versuche für die Zulassung von 60-Tönnern, wie sie in Nordeuropa schon seit Jahren verkehren. Sie würden die Kosten des Strassentransportes um weitere 20 Prozent senken.
Zulaufstrecken-Effekt: Die in verschiedenen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU bzw. den Nachbarländern vereinbarten Schienenausbauten in Deutschland und Italien wurden nur teilweise realisiert.
Fazit: Ohne zusätzliche Massnahmen wird der Alpenschutz-Artikel auch weiterhin Papier bleiben. Nur das Instrument der Alpentransitbörse kann im gegebenen Umfeld die Verlagerung garantieren. Die Alpen-Initiative drängt deshalb darauf, dass der Bundesrat endlich von seinen Kompetenzen Gebrauch macht und auf dem Verordnungsweg die Alpentransitbörse einführt. Statt den Betrieb zu subventionieren, soll der Bund einen Teil der eingesparten Mittel zur Beseitigung allfälliger Engpässe im Schienennetz zur Verfügung stellen.