Mit Entsetzen hat die Alpen-Initiative vom schrecklichen Unfall im Gotthardtunnel Kenntnis genommen. Seit Jahren warnt sie vor den Risiken des Schwerverkehrs, aber bisher ist von der Verlagerung auf die Schiene wenig zu sehen. Ist die Tunnelkatastrophe vom 24. Oktober eine Chance für die Verlagerungspolitik?
«Für Tunnels und Brücken muss eine neue Kategorie von gefährlichen Gütern definiert werden – ‘Güter mit besonderem Gefährdungspotenzial für Tunnel und Brücken’.» Dies war eine Schlussfolgerung der Tagung unserer internationalen Dachorganisation ITE (Initiative Transport Europe) vom vergangenen Frühling mit dem Thema Gefahrgut-Transporte. Vorangegangen war die Katastrophe im Mont-Blanc-Tunnel, wo ein brennender Lastwagen mit Mehl und Margarine 39 Menschen in den Tod riss. Auch am Gotthard waren es, soweit bis jetzt bekannt, keine eigentlichen Gefahrgüter gemäss gesetzlicher Definition. Die Ladung bestand aus Autoreifen und Planen, die unter enormer Hitze- und Rauchentwicklung verbrannten und den Tod zahlreicher Menschen verursachten. Während die Strassenlobby den Gotthard-Unfall ohne jede Pietät für ihre Forderung nach einer zweiten Tunnelröhre nutzte, ist für die Alpen-Initiative klar: Jetzt muss die Verlagerung auf die Schiene mit Volldampf vorangetrieben werden. Während der Tunnel repariert wird, sollen nicht Umfahrungen auf der Strasse gesucht werden. Die drei anderen Routen über die Schweizer Alpen sind wegen ihrer Steilheit, Höhenlage und den vielen Kurven völlig ungeeignet für den Schwerverkehr. Ausserdem sind die je ca. sechs Kilometer langen Scheiteltunnel am San Bernardino und am Grossen St. Bernhard sicherheitstechnisch weit schlechter gerüstet als der Gotthardtunnel. Es ist nicht zu verantworten, die schweren Brummer über diese Routen zu schicken.
Jetzt Verlagerung vorantreiben Vielmehr sind alle in- und ausländischen Bahnreserven zu nutzen. Nach Berechnungen der SBB, die schnell und offensiv auf die Krise reagiert hat, ist es möglich, die Hälfte des Schwerverkehrs, der vor dem Unfall den Gotthardtunnel befuhr, innerhalb von zwei Monaten auf die Schiene zu übernehmen und gleichzeitig für die Personenwagen einen Autoverlad zwischen Göschenen und Airolo anzubieten. Was in der Notsituation möglich ist, soll auch längerfristig weitergeführt werden!
Unbelehrbare fordern zweite Röhre Gleich mit zwei Initiativen will die Strassenlobby eine zweite Röhre durchboxen: mit der vom TCS eingereichten Volksinitiative (Avanti-Initiative) und einer vom Aargauer Nationalrat Ulrich Giezendanner lancierten parlamentarischen Initiative. Auch nach der Sitzung der Verkehrskommission des Nationalrates vom 29. Oktober ist unklar, ob die beiden Initiativen getrennt oder zusammen weiterberaten werden sollen. Wahrscheinlich wird die Initiative Giezendanner nicht vor März 2002 in den Nationalrat kommen. Klar ist jedoch, dass der Bundesrat seinen Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative bis Ende Mai 2002 dem Parlament vorlegen muss. Die Avanti-Initiative will nicht nur die zweite Röhre, sondern auch einen Ausbau der Gotthard-Nordrampe von Erstfeld bis Göschenen. Zudem soll die A1 zwischen Genf und Lausanne und zwischen Bern und Zürich auf sechs Spuren ausgebaut werden. Der Bundesrat lehnt die Initiative und insbesondere die zweite Röhre ab. Bis zu einer Volksabstimmung können je nach Entwicklung noch ein bis zwei Jahre ins Feld gehen. Die nächsten Monate werden zeigen, wann wir den Alpenschutz vor dem Volk verteidigen müssen.