20. Februar 2003

Pia Steiner, Ökonomin
Trotz schwächerer Verkehrserschliessung geht es dem hinteren Schächental im Kanton Uri wirtschaftlich besser als dem oberen Reusstal, das von Autobahn und Eisenbahn direkt erschlossen ist. Ein Bericht im Auftrag der Alpen-Initiative stützt damit im Wesentlichen die Resultate einer grossen Studie der britischen Regierung: Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung sind nicht direkt abhängig vom Niveau der Verkehrserschlie-ssung. Andere Faktoren können entscheidender sein.

Der britische SACTRA-Bericht zeigt, dass Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung nicht direkt abhängig sind vom Niveau der Verkehrserschliessung. Die theoretische Erwartung, dass Verbesserungen in der Verkehrsinfrastruktur zu Wirtschaftswachstum führen, ist gemäss Analyse des SACTRA-Berichts empirisch nicht oder nur sehr schwach nachweisbar. Die vorliegende Analyse der Wirtschafts- und Bevölkerungsdatenzweier Regionen im Kanton Uri bestätigt im Grundsatz die Resultate der SACTRA-Studie. In einem Vergleich ausgewählter Gemeinden wurde im Auftrag der Alpen-Initiative untersucht, ob die Resultate des SACTRA-Berichts auf das Fallbeispiel Uri übertragbar sind. Das hintere Schächental mit Spiringen und Unterschächen wurde als Beispiel für ein relativ weit von Autobahn und Bahnlinie entferntes Gebiet gewählt. Das obere Reusstal mit den Gemeinden Göschenen, Wassen und Gurtnellen repräsentiert die Gruppe der Gemeinden mit direktem Autobahnanschluss. Anhand von Wirtschafts- und Bevölkerungs-daten dieser Gemeinden wurde analysiert, ob die Hypothese, dass eine bessere Verkehrsinfrastruktur zu mehr Wirtschaftswachstum führt, in diesen beiden Regionen auch empirisch unterstützt wird. Zu Beginn der Studie wurde die Distanz zum nächsten Autobahnanschluss als zentrales Kriterium betrachtet. Die Erhebung der Verkehrserschliessung und die Analyse der Wirtschafts- und Bevölkerungsstrukturen zeigten aber, dass die Distanz zum nächsten Regional- und Wirtschaftszentrum für die beiden untersuchten Regionen vermutlich ebenso wichtig ist. Steht die „Distanz zum nächsten Autobahnanschluss“ im Zentrum, so erfüllen sich die theoretischen Erwartungen, dass eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur zu Wirtschaftswachstum führt, gar nicht: Trotz direkter Lage an der Autobahn musste das obere Reusstal in den letzten Jahren einen gravierenden Beschäftigungs- und Bevölkerungsschwund hinnehmen. Das hintere Schächental hingegen mit deutlich grösserer Distanz zur Autobahn litt weniger unter Beschäftigungsverlusten und konnte die Bevölkerungszahl sogar leicht steigern. Die Wahl des Kriteriums „Distanz zum nächsten Wirtschafts- und Regionalzentrum“ als Hauptkriterium der Verkehrserschliessung führt zu einem anderen Bild. Das hintere Schächental erscheint nun gar nicht mehr so abgelegen und liegt im Vergleich zum oberen Reusstal näher am Regionalzentrum Altdorf. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die These, dass eine gute Verkehrserschliessung das Wirtschaftswachstum fördert, durchaus plausibel. Die Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung ist von zahlreichen Einflussgrössen wie beispielsweise den Standortfaktoren und dem wirtschaftlichen Strukturwandel abhängig. Die Verkehrserschliessung ist sicherlich für die Entwicklung einer Region nicht allein verantwortlich. Gerade bei einem allgemein hohen Niveau des Transportwesens wirken zusätzliche Massnahmen weniger stark und die Unterschiede einzelner Regionen halten sich in relativ engen Grenzen. Dies kann mit ein Grund sein, weshalb die theoretischen Erwartungen in der Realität nicht so oft bestätigt werden. Der Einfluss einer Änderung des Transportniveaus kann überlagert werden von den Auswirkungen anderer Entwicklungen. (Grafik Bevölkerungsentwicklung) Die SACTRA-StudieDepartment of the Environment, Transport and Regions (GB), The Standing Advisory Committee on Trunk Road Assessment (SACTRA): „Transport and the Economy“, 1999 Im Auftrag des britischen Verkehrsministeriums untersuchte das „Standing Advisory Committee on Trunk Road Assessment“ (SACTRA) die Auswirkungen von Verkehrsprojekten auf die Wirtschaft. Im Zentrum der Arbeiten standen unter anderem die Fragen, ob Verbesserungen im Verkehrsbereich zu Wirtschaftswachstum führen und ob es möglich ist, das Verkehrswachstum vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Die Analyse des SACTRA-Berichts beschränkt sich nicht nur auf Infrastrukturmassnahmen sondern erstreckt sich auch auf die Auswirkungen von Massnahmen im übrigen Transportbereich wie z.B. Preisänderungen, Reduktionsmassnahmen etc. Neben ökonomischen Auswirkungen können Massnahmen im Transportbereich auch ­ teils beabsichtigte teils unbeabsichtigte ­ Auswirkungen in den Bereichen Sicherheit, Umwelt, soziale Integration und Kohäsion haben. So kann eine Massnahme unter bestimmten Umständen auch sinnvoll sein, wenn keine positive ökonomische Auswirkung nachzuweisen ist. Der SACTRA-Bericht behandelt im ersten Teil die theoretischen Überlegungen zu Transport und Wirtschaftswachstum und kommt zum folgenden Schluss:

Verbesserungen im Transportbereich führen nur unter bestimmten Bedingungen auch zu Wirtschaftswachstum. Sie können auch gegenteilige Folgen haben.
Auch wenn ein Projekt wirtschaftlich vorteilhaft ist, kann eine verbesserte Erschliessung zu Abfluss von Kapital und / oder Arbeit aus der Region am wirtschaftlich schwächeren Ende der Strasse führen.
Der zweite Teil des Berichts untersucht die heutigen Kosten-Nutzen-Analysen von Verkehrsprojekten und stellt darin gravierende Mängel fest:

Externe Kosten und räumliche Verteilungseffekte von Verkehrsprojekten werden nicht oder zu wenig berücksichtigt.
Zudem führt die Annahme von vollständigem Wettbewerb zu Resul-taten, die den Erfahrungen der Praxis widersprechen.
Den Abschluss des Berichtes bilden Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität der Kosten-Nutzen-Analysen.