Echo Nr. 71
Rita Huwiler, 47jährig, Naturheilpraktikerin, ist vorbestraft. Die engagierte Umweltaktivistin wurde vom Urner Obergericht wegen Nötigung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 7 Tagen und einer Busse von 400 Franken verknurrt.
Der Grund: Sie hatte sich 1996 und 1999 als Demonstrantin an den beiden Autobahnblockaden vor dem Gotthadtunnel beteiligt. «Wir wollten mit diesen Aktionen ein Zeichen setzen gegen den ständig zunehmenden Verkehr auf der Gotthardautobahn mit all seinen negativen Auswirkungen. Die Politiker sollten dazu aufgefordert werden, mit der Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene endlich ernst zu machen», sagt Rita Huwiler. Das sei in der Verfassung so festgehalten. Ein Zeichen gesetzt hat jetzt die Urner Justiz. Alle an diesen Aktionen Beteiligten wurden mit Bussen bestraft. Für die Widerholungstäterin forderte Staatsanwalt Bruno Ulmi gar Gefängnis. Land- und Obergericht Uri folgten dem Antrag des Staatsanwaltes und bestraften Ende Mai die ansonsten unbescholtene Bürgerin mit unverständlicher Härte. Achtenswerte Beweggründe für ihr Verhalten wollten die Urner Richter nicht gelten lassen.
Die in Ebikon aufgewachsene und seit über 15 Jahren in Brig wohnhafte Rita Huwiler ist eine Kämpferin der ersten Stunde für den Alpenschutz. Bereits bei der Lancierung der Alpen-Initiative in der Schöllenenschlucht wirkte sie mit und koordinierte darauf die Unterschriftensammlung. Im Mai 1990 zog sie per Saumtier mit den Unterschriften nach Bern. In der Abstimmungskampagen unterstützte und koordinierte sie unermöglich alle regionalen Aktionen, und sie freute sich zusammen mit vielen anderen Alpenschützern am 20. Februar 1994 über die erfolgreichen Annahme der ersten Volksinitiative aus dem Alpenraum. Die heutige Situation zeigt klar, dass mit der Verankerung in der Verfassung alleine die Arbeit nicht getan ist. Bei der Umsetzung des Alpenschutz- Artikels, einem jahrelangen, aufwändigen und mitunter auch zermürbenden politischen Prozess, war Rita Huwiler immer am Puls des Geschehens, als Geschäftsführerin oder Vorstandsmitglied der Alpen- Initiative, als Organisatorin und Begleiterin von Wanderungen oder anderen Events, aber auch als «unverbesserliche Aktivistin», wie sie sich selber bezeichnet. Für Rita Huwiler gehören Gesundheit und Wohlbefinden zu den wichtigsten Gütern. Als Krankenschwester und Naturheilpraktikerin mit eigener Praxis weiss sie, wovon sie spricht: «Schwerpunkt meiner Arbeit bildet die Prävention und die Behandlung der Ursachen anstelle blosser Symptombekämpfung. » Ein gleiches Vorgehen wünscht sie sich bei der Lösung der anstehenden Verkehrsprobleme. Statt dessen werden die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen entlang der Autobahnen gegen das Recht auf freie Fahrt ausgespielt. «Diese Situation gibt mir zu denken», so Rita Huwiler. Das Urteil zeige mit aller Deutlichkeit, wie verschiedene Interessen unterschiedlich bewertet werden. «Wie wichtig werden Menschen genommen, die unter den Folgen des Verkehrs krank werden, nicht mehr schlafen können und in ihrer Psyche beeinträchtigt werden?», fragt Rita Huwiler. Ein anderes Thema seien die vielen einfach in Kauf genommenen Verkehrstoten. Für Rita Huwiler ist klar: «Was der Verkehr diesen Menschen antut, ist permanente Nötigung in einem krassen Fall.» Dass die betroffenen Personen kaum mit der Unterstützung der Justiz rechnen können, zeigt das Urteil aus dem Kanton Uri.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Strafe für Rita Huwiler kaum nachvollziehbar. «Wir haben mit dieser Aktion auf ein wichtiges Thema aufmerksam gemacht und dafür lediglich den Verkehr angehalten – das notabene auf einer chronischen Staustrecke. Für mich ist es ungeheuerlich, wenn Leute, welche sich für die Gesundheit einsetzen, zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Das steht doch in keiner Relation zu den lächerlichen Bussen für Lastwagenfahrer mit überschrittener Lenkzeit, mit mangelhaften Fahrzeugen oder mit verbotenen Gütern, welche mit ihrem Verhalten die Gesundheit von hunderten von Menschen fahrlässig oder gar mutwillig aufs Spiel setzten.» Obwohl sie dieses Urteil so nicht akzeptieren kann, wird der Fall nicht ans Bundesgericht weiter gezogen. Das Strafmass liegt im Ermessen der jeweiligen Richter (Kasten), da sind die Chancen auf einen Erfolg in Lausanne bescheiden.
Ziel der Blockaden am Gotthard war, auf ein wichtiges Anliegen hinzuweisen. Der Urner Staatsanwalt allerdings sprach von «verbrecherischen Absichten» und verwies die Verurteilten auf die legalen Möglichkeiten unseres Rechtsstaates. Da allerdings ist er bei Rita Huwiler an der falschen Adresse. «Ich habe ein paar Jahre meines Lebens für die Alpen-Initiative eingesetzt. Der Alpenschutz ist seit fast 10 Jahren Verfassungsartikel. Wenn das nicht ein Papiertiger bleiben soll, muss mit allen Mitteln Druck gemacht werden. » Die Prozesse in Uri mit diesem harten Urteil hinterlassen einen schalen Nachgeschmack. Uri gehört zu den Regionen, welche am stärksten unter den Folgen des Transitverkehrs leiden. Eigentlich müsste man in diesem Kanton ein besonderes Interesse an einer Verkehrsverlagerung zeigen und solchen Aktionen mit etwas mehr Feingefühl begegnen. Aber ganz im Gegenteil. Die Urner Justiz hat klar zum Ausdruck gebracht, dass es künftig niemand mehr wagen soll, für solche oder ähnliche Anliegen die Autobahn zu betreten.
Andere Länder – andere Richter
Im Oktober 1999 blockierten sieben Mitglieder der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI) auf der A 2 in Schweizerhalle eine Fahrspur, worauf sich ein Stau bildete. Die Aktivisten verteilen Flugblätter und demonstrierten so für mehr Sicherheit auf Autobahnbaustellen. Der Liestaler Statthalter forderte für den GBI-Funktionär und die weiteren sechs Aktivisten bedingte Gefängnisstrafen zwischen 10 und 5 Tagen. Im August 2002 hiess das Baselbieter Strafgericht die Einsprache der Verurteilen gut und hob die Strafen auf. Auch das Kantonsgericht wies die Appellation im Punkt Nötigung und damit die geforderten Gefängnisstrafen ab. Der Verantwortliche der Aktion wurden zu einer Busse von 250 Franken, die Mitangeklagten zu 150 Franken verurteilt.