Kaspar Schuler, Geschäftsführer Greenpeace Schweiz
Wir Umweltorganisationen haben im Jahr 2000 auf das Referendum gegen die bilateralen Verträge mit der EU verzichtet. Denn das Parlament hat damals die Reduktion des Transit-Schwerverkehrs auf 650’000 Fahrten versprochen, bis zwei Jahre nach Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels. So wurde es auch im Verkehrsverlagerungsgesetz verankert. Wird dieses Versprechen jetzt gebrochen?
Eigentlich ist alles geregelt, klar und überfällig: Die Verfassung schreibt in der Übergangsbestimmung (Art. 196.1) zum Alpenschutzartikel (Art. 84) vor, dass die Verlagerung des alpenquerenden Schwerverkehrs bis 2004 abgeschlossen sein muss. Der Bundesrat hätte auch die Kompetenzen, die nötigen Massnahmen selber zu beschliessen. Doch aus Angst vor der EU wagte er nicht zu handeln.
Erst als er vor der Notwendigkeit stand, dem Volk die 40-Tonnen-Limite im Landverkehrsabkommen schmackhaft zu machen, legte er unter dem Referendumsdruck der Umweltorganisationen dem Parlament ein provisorisches Verkehrsverlagerungsgesetz (VVG) vor. Darin wollte er ein Verlagerungsziel von 0,7 bis 1 Mio. Lastwagenfahrten bis zwei Jahre nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnel (ca. 2017 +2) erreichen.
Das Parlament ist den Umweltorganisationen entgegengekommen und hat 650’000 Fahrten als Ziel festgelegt und die Verlagerungsfrist gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates rund 10 Jahre verkürzt: Das Verlagerungsziel soll bereits zwei Jahre nach Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels erreicht sein: 2009. Was immer noch fünf Jahre später ist als in der Bundesverfassung vom Volk festgeschrieben.
Dieser Kompromiss ist in einem gemeinsamen Positionspapier der Bundesratsparteien vom 8. März 1999 festgehalten. Wörtlich heisst es dort: „Die Arbeitsgruppe schlägt im weiteren vor, dass im Allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss insbesondere als Eck- und Zielwert festzulegen ist, dass die Zahl der schweren Güterfahrzeuge auf den Transitstrassen im Al-pengebiet (Gotthard, San Bernardino, Simplon und Grosser St. Bernhard) bis im Jahr 2007 schrittweise auf 650’000 Fahrten reduziert werden muss. Zur Erreichung dieses Ziels wird – ausgehend von den 125 Mio. Franken des Jahres 1999 – für die Übergangszeit ein Kreditrahmen von jährlich 300 Millionen Franken bewilligt.“
Darauf wurde das vom Parlament auch so im VVG bzw. im zugehörigen Zahlungsrahmen verankert, wenn auch mit dem Zieltermin 2009 statt 2007.
Aufgrund dieses Versprechens und des darauf beruhenden VVGs verzichteten die Umweltorganisationen, vorab Greenpeace und der WWF, auf ein Referendum gegen das Landverkehrsabkommen. Wir schluckten die darin enthaltene 40-Tonnen-Limite und die für die Verlagerung ungenügende Höhe der LSVA. Das Verkehrsverlagerungsgesetz wurde vom Volk durch die Zustimmung zu den bilateralen Abkommen indirekt abgesegnet. Sollen jetzt dieses Versprechen – und ebenso das VVG – plötzlich nicht mehr gelten?
Das Parlament hat kein Recht, die Frist beliebig weiter in die Zukunft zu verschieben. Der Volkswille ist zu respektieren. Wenn Bundesrat und Parlament den Vollzug des Alpenschutzartikels innerhalb der gesetzten Frist für unmöglich halten, dann müssten sie ehrlicherweise eine Änderung der Verfassung beantragen.
Darüber hinaus gibt es auch keinen sachlichen Grund für eine Verknüpfung der Verlagerungsfrist mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels:
Alpentransitbörse ermöglicht die Verlagerung: Mit der Alpentransitbörse ist ein nachgewiesen effizientes und kostengünstiges Instrument vorhanden, das garantiert, dass die Güter von der Strasse auf die Schiene gehen. Es kann innerhalb von maximal drei Jahren realisiert werden.
Genügend Schienenkapazität: Zur Zeit und für einige weitere Jahre sind genügend Schienenkapazitäten für die Verlagerung vorhanden. Durch eine bessere zeitliche Verteilung und eine Verlängerung der Züge kann diese sogar gesteigert werden.
Kein NEAT-Problem: Die ersten Engpässe werden nicht im NEAT-Perimeter entstehen, sondern auf den Zulaufstrecken. Durch kleinere Investitionen, wie sie im ZEB1 vorgesehen sind, kann die Kapazität weiter gesteigert werden. Nötig ist, dass diese vorgezogen realisiert werden.
Gotthard-Basistunnel betriebswirtschaftlich nicht entscheidend: Der Gotthard-Basistunnel wird die Betriebskosten der Schiene auf der Strecke durch die Schweiz in der Grössenordnung von 15-20% verringern (weniger Traktionsmittel, längere Züge, höhere Geschwindigkeiten, kürzere Strecke). Legt man diesen Produktivitätsgewinn aber auf die gesamte Transportstrecke der Güter um (1000 und mehr km), so resultiert nur eine Kostenreduktion von etwa 5%, die bei der Verkehrsmittelwahl nicht entscheidend sind. Dies umso weniger, als davon ausgegangen werden kann, dass die Produktivität auf der Strasse weiter zunimmt. Man spricht z.B. bereits von 60-Tönnern.
Bisherige Verlagerungseffekte verpuffen: Der von 2001 bis 2006 durch LSVA (höhere Kosten) und Gewichtserhöhung (mehr Güter in weniger Fahrzeugen) erzielte Verlagerungseffekt ist mit der LSVA-Erhöhung 2008 erschöpft. Sie kann aufgrund des Landverkehrsabkommens nicht weiter erhöht werden. Falls sich die ASTAG mit den geplanten Klagen gegen die LSVA-Erhöhung 2008 durchsetzt, ist sogar mit einer Verringerung der Verlagerungswirkung zu rechnen.
Wir, das heisst Greenpeace und der WWF, fordern das Parlament auf, zu seinem Versprechen von 1999 zu stehen. Der Fehler von damals – ein Ziel zu formulieren ohne die nötigen Instrumente zu beschliessen – kann heute dank der Alpentransitbörse vermieden werden. Eine Zielerreichung im Jahr 2009 ist zwar nicht mehr möglich, realistisch ist jedoch 2012. Um nicht wortbrüchig zu werden, erwarten wir vom Nationalrat, dass er den Zieltermin des Ständerates entsprechend korrigiert.
Zürich / Bern, 7.2.08
Es gilt das gesprochene Wort