Schon bald könnten über 25 Meter lange Lastwagen durch ganz Europa rollen. Die EU-Kommission möchte in einer neuen Richtlinie den grenzüberschreitenden Verkehr der bis zu 60 Tonnen schweren Gigaliner offiziell erlauben. Wenn diese riesigen Lastwagen dereinst an unserer Grenze stehen, steigt der Druck auf die Schweiz.
mhh/tob. Dass EU-Verkehrskommissar Siim Kallas ein Freund der Megatrucks ist, hat er schon letztes Jahr bewiesen: Im Juni 2012 änderte er an einer Tagung der Autoindustrie eigenmächtig die gängige Interpretation der alten Richtlinie im Sinne der Gigaliner. Nun möchte die europäische Kommission mit einer neuen Richtlinie zu den «Abmessungen von Strassenfahrzeugen», die Mitte April 2013 vorgestellt wurde, den grenzüberschreitenden Einsatz überlanger Lastwagen zwischen Nachbarstaaten definitiv legalisieren.
Schädlich, gefährlich, teuer
Mit den Gigalinern hat es die Lastwagenlobby geschafft, ihr Lieblingsthema auf die europäische Agenda zu hieven. Kaum eine Tagung, wo die Strassentransportlobby nicht davon schwärmt, wie viel Diesel und wie viele Arbeitskräfte mit den so genannten «Ökokombis» gespart werden könnten. Doch es ist eine Tatsache, dass diese riesigen Lastwagen zu einer massiven Rückverlagerung der Gütertransporte von der Schiene auf die Strasse und zu mehr Lastwagenverkehr führen würden. Als Folge davon steigen die CO2-Emissionen. Megatrucks sind ausserdem gefährlich für alle Verkehrsteilnehmenden – Fussgänger, Velofahrende, Automobilistinnen und Automobilisten.
Überdies verursachen Gigaliner massive Kosten an der Infrastruktur. Eine Studie von 2011 im Auftrag des Bundesamts für Strassen (ASTRA) hat gezeigt, dass die generelle Zulassung von Gigalinern auf dem schweizerischen Strassennetz grundsätzlich nicht möglich ist. Beschränkt man sich nur auf die Autobahnen, entstehen Kosten von mehreren Hundert Millionen Franken. Trotz dieser Massnahmen «könnte die heutige Sicherheit nicht überall gewährleistet werden», so der Bericht. Der süsse Wunsch der Logistiker wäre also ein gefährlicher Albtraum für die Gesellschaft.
Bedrohlich für die Schweiz
Der grenzüberschreitende Verkehr von Gigalinern stellt auch für die Schweiz eine reale Gefahr dar. Stehen die riesigen Lastwagen erst einmal an unserer Grenze, könnten unsere Gesetzesbestimmungen ebenso schnell fallen wie seinerzeit die 28-Tonnen-Limite – zum Beispiel als Gegengeschäft zu Gunsten einer hiesigen Wirtschaftsbranche. Doch die Alpen-Initiative hat vorgesorgt: Die maximale Länge der Lastwagen steht dank unserer Bemühungen seit kurzem im Gesetz. Eine allfällige Änderung kann also mit dem Referendum bekämpft werden.
Auch Regionen innerhalb der EU stehen den Gigalinern skeptisch gegenüber. So sagt etwa Florian Mast, Vertreter des Bundeslandes Tirol in Brüssel: «Österreich und vor allem die an der Brennertransitachse liegenden Länder wie Tirol, Südtirol und Trient haben genauso mit dem Problem des Transitverkehrs zu kämpfen wie die Schweiz. Wir setzen uns darum gemeinsam mit den Arge-Alp-Ländern gegen die Gigaliner ein. Die Annahme des Vorschlags der Kommission wäre ein erster Dominostein, der die – jedenfalls in ihren Grundsatzpapieren stets auf Nachhaltigkeit ausgerichtete – europäische Verkehrspolitik ins Wanken bringt.»
Zweite Röhre für die Gigaliner?
Zwar heisst es bei den offiziellen Stellen in Bern, Gigaliner seien in der Schweiz kein Thema. Aber wer genau nachschaut, findet anderes. Das ASTRA schreibt auf seiner Website: «In der EU gibt es Bestrebungen, Länge und Gewicht von Fahrzeugen auf maximal zulässige 25,25 Meter und 60 Tonnen zu erhöhen (…) Sollte sich die europäische Kommission dazu entschliessen, die Vorschriften entsprechend anzupassen, könnte die Schweiz trotz breiter politischer Ablehnung der Zulassung von Gigalinern unter Druck geraten, ihre Längen- und Gewichtslimiten (…) anzupassen und damit Gigaliner ganz oder teilweise auch in der Schweiz zuzulassen.»
Gemäss der Studie des ASTRA von 2011 ist die Autobahn A2 zwischen Basel und Chiasso in der Schweiz die tauglichste Strasse für Gigaliner – genau der für die EU interessanteste Abschnitt! Falls es also Ausnahmen von der heute geltenden Beschränkung (18,25 Meter und 40 Tonnen) geben sollte, dann auf dieser Strecke, auf der auch der Gotthard-Strassentunnel liegt. Wird eine zweite Röhre gebaut, so wäre wohl die Gefahr für Gigaliner auf dieser Achse noch grösser!
Dass die Gotthardachse im Vordergrund steht, lässt sich ebenfalls auf der Website des ASTRA nachlesen. Wörtlich steht dort, dass auf der Nord-Süd-Achse «geeignete Massnahmen gefunden werden könnten, sodass die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine Zulassung von Gigalinern gegeben wären».
Einige wenige positive Zeichen gibt es in der EU. Der seit letztem Jahr in Deutschland laufende Test der Megatrucks etwa darf als Misserfolg gewertet werden und hat den künstlich kreierten Elan der Befürworter vorläufig etwas gebrochen. Trotzdem müssen wir auch in der Schweiz wachsam bleiben. Die Alpen-Initiative engagiert sich deshalb federführend in der Koalition NoMegatrucks, welche bereits über 40 Schweizer Organisation umfasst. www.nomegatrucks.ch