Doris Leuthard: «die Erneuerbare». So titelte jüngst eine deutsche Zeitung. Der Artikel feierte unsere Verkehrs- und Energieministerin und den von ihr ausgerufenen Atomausstieg. Doch die Unvereinbarkeit zwischen ihrer Energie- und ihrer Verkehrspolitik wird immer deutlicher.
mh. Verkehrs- und Energiepolitik sind eng miteinander verbunden. «Es gibt keine Energiewende ohne Verkehrswende», schrieb Jürg Grossen, GLP-Nationalrat und Mitglied des Alpenrats der Alpen-Initiative, in einem Kommentar im Zürcher «Tages-Anzeiger» und im Berner «Bund». Auslöser für diese Aussage war der neue Verlagerungsbericht des Bundesrats.
In diesem Bericht muss Doris Leuthard alle zwei Jahre aufzeigen, wie gut sie ihre Hausaufgaben gemacht hat. Im Verlagerungsbericht 2013 hält sie resignierend fest, dass sie sich nicht stärker gegen die Lastwagenflut durch die Alpen wehren könne. «Der Bundesrat liegt wie ein Käfer auf dem Rücken und jammert, anstatt sich mit griffigen Massnahmen wie einer Alpentransitbörse wieder auf die Beine zu helfen», kritisiert Jürg Grossen die bundesrätlichen Feststellungen.
Schlimmer noch: Leuthard als zuständige Bundesrätin stellt das Verlagerungsziel infrage. Die Luftbelastung im Alpenraum sei zwar heute nach wie vor zu hoch, aber neue Lastwagen seien bald so sauber, dass die Bevölkerung in den Alpen nicht mehr lange auf «grenzwertig saubere Luft» warten müsse. Sie klammert dabei aus, dass die Luftgrenzwerte im Tessin und im Kanton Uri auch in Zukunft nicht eingehalten werden.
Ausserdem kommt eine europäische Studie mit Beteiligung der Universität Basel und des Tropeninstituts zum Schluss, dass Feinstaub auch unterhalb der geltenden Grenzwerte enorm schädlich ist. Bei einem Anstieg von 5 Mikrogramm steigt die Sterbewahrscheinlichkeit um 7 Prozent! Laut Prognosen werden in Moleno TI an der A2 auch 2020 Werte von über 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erwartet – der heutige Grenzwert liegt bei 20 Mikrogramm. Wegen der jährlich hunderttausenden Toten durch Krebs, Asthma, Allergien und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Europa will die EU die Grenzwerte tiefer ansetzen.
Seit den neunziger Jahren versucht die EU, mit den Euro-Normen die Abgase der Lastwagen zu vermindern. Die Emissionen von Stickstoffen und Feinstaub konnten dadurch gesenkt werden. «Bessere Lastwagen» bedeutet aber noch lange nicht «gute Lastwagen». Die Entwicklung der CO2-Emissionen beweist, dass Lastwagen heute die Luft einfach anders belasten.
In Europa sind sie für ein Viertel der CO2-Emissionen des Verkehrs verantwortlich. Während in der Schweiz die CO2-Emissionen seit 1990 pro Jahr um etwa 130’000 Tonnen reduziert werden konnten, haben jene des Verkehrs jährlich um 75’000 Tonnen zugenommen. Laut Bundesrat könnten durch die Umsetzung des Verlagerungsziels 175’000 Tonnen CO2 eingespart werden. Das wäre ein echter Beitrag zum Klimaschutz! Es kommt hinzu: Neue Lastwagen schlucken immer noch gleich viel Diesel wie vor 25 Jahren. Der Grund dafür sind die neuen Filter: Sie erlaubten zwar eine Senkung der Stickstoff- und Feinstaubemissionen, haben aber die Effizienz verschlechtert. Gleichzeitig hat sich der alpenquerende Güterverkehr seit 1980 verdoppelt. Im Verlagerungsbericht geht Doris Leuthard von einem weiteren Anstieg des Schwerverkehrs bis 2020 aus. Mit einer zweiten Strassenröhre am Gotthard würde sie die Schleusen für die Lastwagen weit öffnen!
Der Alpenraum hat sich in den letzten hundert Jahren doppelt so stark erwärmt wie der globale Durchschnitt. Gerade für die sensible Alpenregion sollte deshalb ein spezieller Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel geleistet werden. Der Bundesrat hat die Aufgabe, sich für die vom Volk verlangte Verlagerung einzusetzen. Das ist nicht nur wichtig, um die Alpen vor Feinstaub und Schwefeloxiden zu schützen, es geht auch darum, die steigenden CO2-Emissionen des Schwerverkehrs zu senken.