Professor Alan McKinnon, Forschungszentrum für Logistik (Logistics Research Centre), Heriot-Watt University, Edinburgh.
Die derzeit in Grossbritannien diskutierte leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (Lorry Road-User Charge, LRUC) hat ihren Ursprung in der Treibstoffkrise im September 2000. Damals blockierten britische Spediteure (und Landwirte) Erdölraffinerien und Strassen, um gegen hohe Treibstoffsteuern zu protestieren. Diese Krise war mitausschlaggebend dafür, dass die britische Regierung sich bereit erklärte, neue Wege zu suchen, um im Ausland und in Grossbritannien zugelassene LKW gleichwertig zu besteuern.
Im Jahr 2002 kündigte der britische Finanzminister in seiner Haushaltsrede an, dass die Regierung eine kilometerabhängige Besteuerung von LKW einführen werde, mit dem Ziel, britische und ausländische Spediteure steuerlich gleichzustellen. Er erklärte, dass „ausländische Spediteure ihren fairen Anteil an den Kosten für die Benutzung unserer Strassen entrichten sollten“ und schlug vor, „eine kilometerabhängige Schwerverkehrsabgabe voranzutreiben und im Gegenzug die Steuerbelastung des britischen Speditionsgewerbes zu senken“ (HM Treasury, 2002). Diese Steuersenkung war notwendig um sicherzustellen, dass dem britischen Spediteurgewebe aus der neuen Abgabe keine zusätzlichen Kosten erwuchsen. Die britische Regierung befindet sich ungefähr in der Mitte des Beschaffungsprozesses des LRUC-Systems. Ihr Beschaffungsmodus basiert auf einer „output-orientierten Spezifizierung“, d.h. es werden LRUC-Parameter definiert, und die Anbieter können ein System wählen, das diesen technischen Anforderungen entspricht. Die genauen Details und Kosten des Mauterhebungssystems werden daher erst bekannt werden, wenn der Prozess gegen Ende 2005 abgeschlossen ist. Die Anforderungen an die „erste“ und „zweite“ Generation des Systems wurden in einem im Mai 2004 veröffentlichten Beschaffungsprospekt spezifiziert (HM Customs and Excise, 2004). Im „politischen Grundmodell“ (baseline policy model) wird für das System der ersten Generation eine Erfassung der LKW-Strecken „an allen Tagen und zu jeder Tageszeit“, eine Unterscheidung von Autobahnenfahrten und Nicht-Autobahnfahrten sowie die getrennte Erfassung von spezifischen Strassenstrecken gefordert. Ausserdem wird verlangt, dass vier von Strassenart und Tageszeit abhängige Abgabenklassen eingeführt werden können. Der km-Satz soll auch von drei bei der Zulassung erfassten Fahrzeugeigenschaften abhängen: höchstzulässiges Gesamtgewicht, Achsenzahl und Emissionsklasse. Im System der zweiten Generation wird eine grössere Variabilität der Sätze in Abhängigkeit von Strassenart, Tageszeit und geographischer Region („definiert als Polygone auf der Karte von Grossbritannien“) möglich sein. Es gibt keinen Hinweis auf den Zeitpunkt des Wechsel von der ersten in die zweite Generation.
Das LRUC-Programm wird drei Systeme umfassen:
Hauptsystem: Für regelmässige Nutzer des britischen Strassennetzes. Es scheint wahrscheinlich, dass für diese Nutzungskategorie ein GPS-System zur Ortung der Fahrzeuge eingesetzt wird.
System für gelegentliche Nutzer: Dieses wird v.a. von ausländischen Fahrern genutzt werden, deren LKW unregelmässig in Grossbritannien unterwegs sind. Die Maximalstrecke, die ein LKW pro Jahr zurücklegen muss, um als „gelegentlicher Nutzer“ eingestuft zu werden, ist in keinem der zur LRUC veröffentlichten Berichte angeführt. Es ist wahrscheinlich, dass diese Fahrzeuge ein „Erfassunggerät für geringe Nutzung“ einbauen müssen und dass die meisten im Ausland zugelassenen LKW in diese Kategorie fallen.
Treibstoffsteuer-Rückerstattungs-System: Dieses wird notwendig sein, um einen Grossteil oder sogar die gesamte von den Spediteuren entrichtete Treibstoffsteuer zurückzuerstatten.
So soll sichergestellt werden, dass das britische Speditionsgewerbe als Ganzes eine vollständige Abgeltung für die zusätzlichen Mauteinnahmen erhält. Schätzungen zufolge beläuft sich der Wert des Vertrags für die Einführung und den Betrieb der LRUC für 10 Jahre auf etwa 4 Milliarden £ (INPUT, 2004). Diese Schätzung basiert z.T. auf den Betriebskosten des deutschen Mautsystems, die sich laut einem Bericht aus dem Jahr 2003 auf 20 bis 24 Prozent der jährlichen Mauteinnahmen belaufen (Anon, 2003). Dabei sollte aber bedacht werden, dass die Maut in Deutschland nur auf Autobahnen und nur für Fahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht ab 12 Tonnen erhoben wird. Die LRUC wird auf dem gesamten Strassennetz Grossbritanniens erhoben werden und alle Fahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von über 3.5 Tonnen erfassen. Die deutschen Betriebskosten beinhalten auch keine Kosten für ein Treibstoff-Rückerstattungs-System, das ein integraler Teil der LRUC sein wird. Die Betriebskosten in Grossbritannien werden wahrscheinlich die zusätzlichen Einnahmen, die zur Gänze von ausländischen Spediteuren stammen, beträchtlich übersteigen.
Es können fünf Grundziele der Schwerverkehrsabgaben identifiziert werden:
Gleichwertige Besteuerung ausländischer und britischer Spediteure für die Nutzung des britischen Strassennetzes. Das ist das am deutlichsten genannte Ziel in den öffentlichen Stellungnahmen und jenes Ziel, das im britischen Speditionsgewerbe die grösste Unterstützung geniesst.
Entkoppelung der LKW- und PKW-Besteuerung. Dadurch könnte die Regierung die Verkehrsnachfrage flexibler mittels Steuern lenken.
Variable Besteuerung der LKW in Abhängigkeit von der zurückgelegten Strecke, der Gewichtsklasse und den Emissionsnormen.
Variable Besteuerung in Bezug auf geographische Unterschiede hinsichtlich Umweltbelastung und Wegekosten.
Variable Besteuerung in Bezug auf Tageszeit, Strassenart und geografisches Gebiet hinsichtlich Staudichte.
Die Schwerverkehrsabgabe in Grossbritannien hat sich in den letzten drei Jahren von einem Projekt zur Harmonisierung der von britischen und ausländischen Spediteuren bezahlten Steuern zu einem ausgefeilten System entwickelt, das es der Regierung ermöglichen wird, die Maut je nach Strasse, Tageszeit und Ort zu variieren. Die Regierung betrachtet die LRUC als „wertvollen Schritt“ auf dem Weg zu einer vollständigen Besteuerung aller Fahrzeuge für die Strassennutzung (Department for Transport, 2004). Zwischen der Umsetzung der LRUC und der Einführung allgemeiner Strassenbenutzungsgebühren (Road Pricing) werden aber mindestens 7 bis 12 Jahre vergehen. In der Zwischenzeit wird ein teures und komplexes Mautsystem für LKW entstehen, das der Regierung ermöglicht, eine Staugebühr für jene Fahrzeuge zu erheben, die nur 14 Prozent des Verkehrs in Grossbritannien und nur 5 Prozent der prognostizierten Verkehrszuwachses zwischen 2000 und 2010 ausmachen (Gewichtung: 1 LKW = 2.5 PKW). Es wurde argumentiert, dass eine derartige, nur auf LKW ausgelegte Staugebühr ungerecht und grossteils nutzlos wäre (McKinnon, 2004). Wenn die Regierung aber nicht plant, die LRUC zur Verkehrslenkung zu verwenden, bevor eine umfassenderes Staugebührsystem eingeführt wird, dann stellt sich die Frage, warum sie in diesem Stadium die hohen Kosten und das Risiko der Entwicklung eines solchen Systems eingeht. Mittels einer alternativen Methode, die zur Besteuerung der LKW vorgelegt wurde, könnten die anderen Hauptziele (Ziele 1 bis 3, siehe oben) zu einem Bruchteil der Kosten und des Risikos erreicht werden (McKinnon and McClelland, 2004). Bei dieser alternativen Methode würden zum Zeitpunkt der alljährlichen Fahrzeugkontrolle die im Vorjahr zurückgelegte Strecke mittels Tachograph erfasst und diese Strecke mit dem km-Satz für das jeweilige Fahrzeug multipliziert werden. Dieser km-Satz würde auf Grundlage des höchstzulässigen Gesamtgewichts, der Achsenanordnung und der Emissionsnormen berechnet werden. Die während des Vorjahrs von den Betreibern bezahlte Treibstoffsteuer könnte zurückgefordert werden und zwar mittels Referenzzahlen für verschiedene Fahrzeugklassen, die auf dem Treibstoffverbrauch basieren. Dadurch würde der Treibstoffzoll effektiv in eine streckenabhängige Besteuerung umgewandelt. Es würde der Tendenz zur Meldung von kürzeren als den wirklich gefahrenen Strecken entgegengewirkt, und ausserdem bestände ein Anreiz zu geringem Treibstoffverbrauch. Ausländische und in Grossbritannien zugelassene Fahrzeuge würden gleich hohe Mautsätze pro km zahlen und die auf britischen Strassen gefahrenen Strecken mittels eines Systems melden, welches demjenigen gleicht, das in der Schweiz für Fahrzeuge ohne Erfassungsgerät (OBU) verwendet wird. Die Einhaltung würde durch stichprobenartige Kontrollen sichergestellt werden. Diese alternative Methode der Strassenbenutzungsbesteuerung für LKW könnte als Zwischenmassnahme verabschiedet werden, bis eine vollständige Einführung von Staugebühren für alle Fahrzeuge als technisch durchführbar und politisch akzeptabel erachtet wird.