22. Februar 2001

Stephanos Anastasiadis, Transport & Environment (T&E), Brüssel
Eine Übersicht über den Stand der europäischen LSVA-Diskussion

Die European Federation for Transport and Environment (T&E) ist Europas bedeutendster Dachverband von Nicht-Regierungsorganisationen aus dem Bereich Verkehr und Umwelt. T&E tritt für einen umweltgerechten Ansatz im Verkehr ein. T&E wurde 1989 vor dem Hintergrund ins Leben gerufen, dass viele Entscheidungen welche die Umweltbelastungen des Verkehrs bestimmen –sowohl in positiver wie in negativer Weise- auf europäischer Ebene gefällt werden. Unsere Arbeit bezieht sich auf die Begrenzung von Fahrzeugemissionen, Qualitätsstandards für Kraftstoffe, Förderung von Infrastruktur, Sicherheitsanforderungen, Luftqualitätsstandards, Deregulierung und weitere Themen. „Europa“ stellt eine grosse Chance und auch eine grosse Herausforderung dar bei der Arbeit für höhere Umweltstandards. Derzeit sind 37 NGOs aus 20 Ländern, aus EU-Mitgliedsstaaten sowie Ländern Mittel- und Osteuropas und der EFTA, bei T&E Mitglied. Wir arbeiten eng mit EU-Körperschaften, wie der Europäischen Kommission, zusammen und haben auf europäischer Ebene einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Die EU und die heutige Eurovignetten-Richtlinie In Europa gibt es derzeit keine kilometerabhängige Schwerverkehrsabgabe nach Schweizer System, dennoch sehen viele der im Verkehrs- und Umweltsektor Beschäftigten die Schweizer LSVA als gutes Vorbild für Europa. In der EU gibt es an Stelle dessen die Eurovignette. Es handelt sich dabei um eine zeitabhängige Abgabe, die in der Regel jährlich bezahlt wird und für die Benutzung von Autobahnstrecken der beteiligten Mitgliedsländer erhoben werden darf. Die Eurovignette gilt für alle schweren Nutzfahrzeuge über 12 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht. Nicht alle EU-Mitgliedsländer machen beim Eurovignetten-Konzept mit. Die Wegekosten-Richtlinie stellt einen Rahmen dar. Die Mitgliedsländer entscheiden selbst ob sie daran teilhaben wollen oder nicht. Zur Zeit wenden sechs EU-Mitgliedsländer die Eurovignetten-Richtlinie an, die Höhe der Gebühren hängt von der Emissionsklasse und der Achszahl der Fahrzeuge ab. Beispiel: Ein vierachsiger Lkw, der keine Euro-Abgasnorm erfüllt bezahlt €1550 pro Jahr, einer der mindestens Euro II erfüllt, bezahlt €1250 pro Jahr. Die Zukunft der Eurovignette ist unklar, Deutschland wird im Jahr 2003 aussteigen und die Vignette durch eine nationale kilometerabhängige Schwerverkehrsabgabe ersetzen. Andere Mitgliedsstaaten werden vielleicht diesem Beispiel folgen. Es hat wenig Sinn, das derzeitige System aufrecht erhalten zu wollen, wenn das zentralste und wichtigste Transitland nicht mehr daran teilnimmt. Die Kommission, die als einziges EU-Organ das Recht hat, Änderungen der Gesetzgebung vorzuschlagen und zu beschliessen, plant derzeit nicht die Richtlinie für Schwerverkehrsabgaben zu ändern. Die Richtlinie wurde zuletzt 1999 geändert. Trotzdem fordert T&E und andere Organisationen eine Revision der aktualisierten Wegekosten-Richtlinie 1999/62/EC, um sie zu einer Rahmen-Direktive für eine europäische leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe umzuwandeln. Die geplante deutsche Regelung entspricht der jetzige Richtlinie, darf aber nur auf Autobahnen angewendet werden. Wir beurteilen eine kilometerabhängige Schwerverkehrsabgabe, die auf allen Strassen erhoben wird, als bedeutend besser für die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Das Schweizer Beispiel zeigt, dass ein verursachergerechtes Abgabensystem technisch und politisch auch machbar ist. Das Europäische Parlament hat kürzlich einen Bericht des EU-Parlamentariers Paolo Costa angenommen, in dem eine Infrastrukturabgabe für den Verkehr gefordert wird. Der Bericht hat als Anhang die europaweite Petition „Faire Preise im Güterverkehr – Schwerverkehrsabgabe für Europa“, die von 500 Organisationen unterzeichnet wurde und eine europaweite kilometerabhängige Schwerverkehrsabgabe fordert. Die Alpen-Initiative ist eine der treibenden Kräfte hinter dieser Petition. Die Kommission ist bisher nicht auf die Petition eingegangen, wird aber unter wachsenden Druck geraten, jetzt wo das Parlament diese formell beschlossen und an die Kommission weitergeleitet hat. DeutschlandDeutschland plant ab 2003 eine kilometerabhängige Schwerverkehrsabgabe einzuführen. Anders als die Schweizer LSVA wird die deutsche leider nur auf Autobahnen erhoben werden. Wenn es so kommt, ist das nicht ausschliesslich Deutschlands Fehler: Die geltende Wegekostenrichtlinie 1999/62 erlaubt nur, Gebühren auf Autobahnen zu erheben. Damit eine LSVA wie in der Schweiz auch in Europa möglich wird, ist somit die bestehende Richtlinie zu ändern. Dafür kämpft T&E. Noch ist nicht im Detail beschlossen, wie das deutsche System funktionieren wird. Deutschland hat die Suche nach dem am besten geeigneten Zahlungssystem und der Person oder Gruppe, die das System verwalten soll öffentlich ausgeschrieben. Die Eingabefrist ist Ende Januar 2001 abgelaufen, eine Entscheidung wird in Kürze erwartet. Aufgrund der Grösse des Projekts musste die Ausschreibung nach EU-Recht europaweit durchgeführt werden, so dass möglicherweise nicht eine deutsche Firma den Zuschlag bekommt. Der Rückhalt für die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe in der deutschen Bevölkerung ist schwer abschätzbar, da keine Studien darüber vorliegen. Es kann allerdings angenommen werden, dass es eine breite Unterstützung gibt, da Umfragen im allgemeinen zeigen, dass die Bevölkerung ein Umweltbewusstsein besitzt und angibt bereit zu sein, für eine bessere Umweltqualität auch zu bezahlen. Die Bevölkerung zeigt sich ausserdem betroffen vom ständigen Anwachsen der Lastwagenzahlen auf den Strassen. Die Zeitungen berichten regelmässig über die grosse Anzahl Lkw und die daraus resultierenden Gefahren. Die Verkehrs- und Umweltorganisationen sprechen sich einstimmig für eine LSVA aus. Der Verkehrsclub Deutschland VCD begrüsst die Einführung einer leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe, obwohl er, wie auch T&E, Bedenken bei der Ausgestaltung der Abgabe anmeldet. Österreich Österreich arbeitet nicht mit der Eurovignette, betreibt aber ein ähnliches System auf nationaler Ebene. Es hat auch beschlossen, die jährliche Abgabe in ein umweltfreundlicheres und ökonomisch effizienteres Konzept umzuwandeln. Dieses soll für Lkw über 3,5 Tonnen gelten. Eine Abstufung nach der Entfernung wird Teil des Konzepts sein. Die österreichischen Pläne waren schon weiter fortgeschritten als die deutschen, wurden jedoch von der neuen Regierung wieder gestrichen. Es sieht jetzt so aus, als werde Österreich dem deutschen Weg folgen. Eine Ausschreibung wurde jedoch bisher nicht gemacht, es wird unmöglich sein das ursprünglich geplante Einführungsdatum Mitte 2002 einzuhalten. Sonstige Länder Auch andere Länder, die mit der Eurovignette arbeiten, werden wahrscheinlich in absehbarer Zukunft ihr Konzept ändern. Zum Beispiel haben die Niederlande vorgesehen, eine Stau-Abgabe um die dicht besiedelten Gebiete in den westlichen Landesteilen zu erheben. In einem zweiten Schritt wird auch dort geplant, die Eurovignette durch ein entfernungsabhängiges Konzept zu ersetzen. Nicht in allen Ländern stehen Umweltziele hinter den Strassenbenutzungsgebühren. Zum Beispiel hat das traditionelle Mautsystem zur Benutzung der Öresund-Brücke zwischen Dänemark und Schweden rein finanzielle Gründe. Frankreich und Italien erheben beide Autobahngebühren. Diese sind zwar kilometerabhängig, ihre Motivation ist allerdings ebenfalls nur finanzieller Art. Fazit Der Weg zu einer europäischen LSVA ist noch weit. In einigen EU-Mitgliedsländern sind positive Ansätze vorhanden, doch auch dort sind immer wieder politische Klippen zu umschiffen und Rückschläge wie in Österreich nicht auszuschliessen. Zudem sind die EU-Projekte einzig für Autobahnen vorgesehen und nicht wie in der Schweiz für das gesamte Strassennetz. Dies ist unsinnig, da externe Kosten überall entstehen, auf Hauptstrassen in dicht besiedeltem Gebiet sogar in grösserem Umfang als auf Autobahnen. Eine Beschränkung der Gebühren auf Autobahnen hat zusätzlich die unerwünschte Konsequenz, dass Lastwagen die Autobahnen meiden und auf die Hauptstrassen ausweichen. Diese räumliche Verlagerung ist ganz und gar nicht im Sinne der gewünschten Verkehrslenkung hin zu mehr Nachhaltigkeit. Es gibt viele gute Gründe und von Seiten der EU auch viele Bekenntnisse, zu einem verursachergerechten Gebührensystem. Die positiven Ansätze sprechen dafür, dass die Schweizer LSVA tatsächlich ein Vorbild in Europa ist. Von alleine wird jedoch in den EU-Ländern nichts geschehen. Es muss immer noch gegen beträchtliche Widerstände gekämpft werden. Eine andauernde Informations- und Überzeugungsarbeit auf europäischer Ebene sowie in den einzelnen Mitgliedsländern ist dringend nötig. Entsprechende Initiativen sind jedoch vorhanden. T&E führt zur Zeit ein Projekt zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene durch. Die LSVA und die Schaffung der notwendigen Grundlagen auf europäischer Ebene nehmen dabei einen wichtigen Stellenwert ein. Das Projekt wird unter anderem auch vom UVEK unterstützt. In ständigem Kontakt mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament sollen die Grundlagen für eine zügige Umsetzung einer europäischen LSVA geschaffen werden. T&E hat einen Vorschlag erarbeitet, wie die geltende Richtlinie abgeändert werden sollte. Auf nationaler Ebene setzen sich die Mitgliedsorganisationen von T&E ein, damit die Verkehrs- und Finanzministerien die LSVA positiv aufnehmen. Die Schweizer LSVA kann jetzt, nach der erfolgreichen Einführung, als Beispiel für die Machbarkeit dieses Konzepts dienen. Nur mit stetigem Einsatz wird die Wende zu einer umweltfreundlichen und wirtschaftlichen Verkehrspolitik in Europa zu schaffen sein, bei der eine LSVA nach Schweizer Vorbild eine zentrale Rolle spielt.