17. November 2011

Martine Rebetez ist Klimaexpertin. Sie ist überzeugt, dass die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene eine wichtige Massnahme zum Schutz des Klimas ist. Ein Gespräch.

es. Die vielseitig engagierte Professorin Martine Rebetez ist Mitarbeiterin in der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Lausanne und arbeitet als Professorin an der Universität Neuenburg. Daneben ist sie als Expertin im Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaveränderungen (kurz Weltklimarat) und als Mitglied im Vorstand von ProClim tätig. Studiert hat sie Geografie und Klimatologie. Nach dem Studium arbeitete sie in den wissenschaftlichen Forschungsabteilungen verschiedener Universitäten. Heute ist die Wissenschaftlerin eine gefragte Expertin, wenn es um die Analyse der Klimaveränderungen in der Schweiz geht. Neben einer eindrücklichen Anzahl wissenschaftlicher Publikationen hat Martine Rebetez auch ein Buch publiziert: «Helvetien im Treibhaus. Der weltweite Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Schweiz» (Originaltitel: «La Suisse se réchauffe – effet de serre et changement climatique», Neuauflage 2011).

Alpen-Initiative: Was sind die direkten Konsequenzen und die sichtbaren
Anzeichen für einen Klimawandel in der Schweiz?
Martine Rebetez: Da kann ich drei Beispiele nennen. Das bekannteste ist sicher der Rückzug der Gletscher. Dann das Schmelzen der Permafrostböden und als drittes die Zunahme der starken Niederschläge im Sommer, einhergehend mit einem Anstieg der Schneefallgrenze im Winter. Daraus ergibt sich ein erhöhtes Risiko für Murgänge und Erdrutsche.

Also werden sich die Auswirkungen in den Bergen am stärksten bemerkbar machen?
Genau. Aber nicht nur in den Bergen, sondern auch am Bergfuss muss man mit negativen Auswirkungen des Klimawandels rechnen. Dagegen gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen der Alpennord- und der Alpensüdseite.

Inwieweit trägt der Verkehr, insbesondere der Schwerverkehr, zur Klimaveränderung bei?
In den Industrieländern ist der Verkehr ganz klar einer der Hauptverursacher und für einen Grossteil der Treibhausgase verantwortlich. Obwohl bei den Motoren technische Fortschritte erzielt worden sind, nehmen die Treibhausgasemissionen zu. Die Dieselmotoren der Lastwagen sind übrigens nicht nur für unser Klima problematisch, sondern stellen auch ein grosses Problem für die Gesundheit der Menschen dar. Dieselmotoren produzieren giftige Feinstaubpartikel und grosse Mengen an Stickoxiden. Diese Stickoxide sind doppelt gefährlich, da sie nicht nur giftig sind, sondern sich im Sommer zudem ins ebenfalls schädliche Ozon umwandeln.

Manche sagen, dass auch die Feinstaubpartikel zur Klimaveränderung beitragen.
Das stimmt, aber statt die Erde aufzuheizen, kühlen sie die Erde kurzfristig, das heisst für ein paar Tage oder Wochen ab.

Bedeutet das, dass sich eine Klimaveränderung verhindern lässt, wenn mehr gefahren wird?
Nein, überhaupt nicht. Hier handelt es sich um zwei ganz verschiedene Grössenordnungen. Die Dieselmotoren setzen viel CO2 (Kohlendioxid) frei, was dazu führt, dass sich die Temperaturen langfristig, also für länger als ein Jahrhundert, erhöhen.

Leidet auch der Wald, vor allem der Bergwald unter der Klimaveränderung?
Der Wald leidet nicht zwingend an den Folgen, aber er ist davon betroffen. In höheren Lagen wird er von den steigenden Temperaturen profitieren. In tieferen Lagen werden einzelne Baumarten unter den trockenen Sommermonaten leiden.

Sie haben von starken Niederschlägen gesprochen, jetzt reden Sie von der Trockenheit. Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, die Intensität der Regenfälle nimmt zu, aber zwischen diesen starken Niederschlägen werden die Trockenperioden immer länger. Durch die steigenden Temperaturen bräuchte es jedoch entsprechend mehr Feuchtigkeit für den Boden und die Vegetation.

Braucht es ein Umdenken bezüglich der Standorte und der Bauweise unserer Häuser sowie der Wahl unserer Verkehrswege?
Mit dem zunehmenden Risiko für Überschwemmungen und Murgänge müssen wir unsere Infrastruktur notgedrungen anpassen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es diese Ereignisse schon immer gegeben hat, nur waren sie weniger häufig und nicht so heftig. Wie die Folgen für uns aussehen werden, hängt von unserer Fähigkeit ab, uns den neuen Bedingungen anzupassen. Auch mit einem schwierigen Klima ist eine sichere Welt vorstellbar.

Welchen Rat würden Sie unseren Politikerinnen und Politikern geben?
Ich werde häufig um Rat gefragt. Ich schätze diese Rolle und informiere gerne über den Klimawandel. Wenn ich meinen Rat in einem Satz zusammenfassen müsste, würde ich sagen: Wir müssen sehr schnell handeln, dabei aber langfristig denken. Ich setze den Schwerpunkt klar auf Massnahmen in der Schweiz, weil die Emissionen der Industrieländer bereits einen zu grossen Einfluss auf unser Klima haben. Um beim Schwerverkehr einen effizienten Beitrag zu Gunsten des Klimas zu leisten, liegt für mich der Schlüssel zum Erfolg eindeutig in der Verlagerung der Güterströme von der Strasse auf die Schiene. Wir müssen alles unternehmen, um diesen Transfer in die Wege zu leiten.

Bildlegende

In den Bergen erhöht sich das Risiko für Murgänge. Dabei muss es nicht immer so schlimm herauskommen wie in Gondo im Oktober 2000.