20. August 2012

Elena Strozzi
Der Entscheid von Doris Leuthard für eine zweite Strassenröhre am Gotthard hat die Westschweiz geweckt. Hier wurde bisher kaum darüber diskutiert.

es. Die Reaktionen in der Romandie kamen umgehend und tönten alle ähnlich, vor allem am Genfersee, wo die Verkehrssituation bereits heute sehr prekär ist. Patrick Eperon, Koordinator des Komitees rail-route Vaud-Genève (mitgegründet von den Wirtschaftsverbänden der Region) erklärte, man erwarte vom Bundesrat, dass er rasch aufzeige, wie er all die Projekte im Mittelland finanzieren wolle: «Ansonsten haben wir das Chaos auf unseren Strassen, darunter würden vor allem die Wirtschaft und der Flughafen in Genf leiden.»

Insbesondere die Finanzierung des Tunnelprojekts stösst in der Westschweiz sauer auf. Zu oft zahle man an Infrastrukturen, aber selber erhalte man nichts, so der Tenor. Letztes Beispiel: Der Bau des EisenbahnBasistunnels an Lötschberg und Gotthard für rund 20 Milliarden Franken, welche der Romandie nichts bringen. Weshalb also 2,8 Milliarden Franken ausgeben und am Gotthard einen weiteren Strassentunnel graben? Auf dieser gewiss wichtigen Transitstrecke verkehren durchschnittlich pro Tag 17’000 Fahrzeuge. Zwischen Lausanne und Genf sind es hingegen 75’000 bis 100’000!

Im westlichen Teil des Landes wohnen 38 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Die Mobilitätsbedürfnisse sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Für den Ausbau der Schieneninfrastruktur aber wurden nur gerade 26 Prozent der Bundesmittel ausgeben. Hier besteht eindeutig Nachholbedarf! Der FDP-Nationalrat Olivier Français gilt als politisches Schwergewicht in der Waadt. Er hat es so formuliert: «Das Projekt Gotthard darf erst nach all den anderen, bereits präsentierten Verkehrsprojekten realisiert werden.»

Bereits im Juni hatte der Waadtländer SVP-Nationalrat Jean-Pierre Grin seine Besorgnis geäussert und in einer Interpellation den Bundesrat gefragt, wie er gedenke, all diese Projekte zu finanzieren. Doris Leuthard sieht keine Probleme und verweist auf die verschiedenen Töpfe im Bundeshaushalt – die aber letztlich aus denselben Quellen finanziert werden. Nochmals Patrick Eperon: «So, wie die Vorlage jetzt präsentiert wird, steht der Gotthard in Konkurrenz zu anderen Projekten, insbesondere der Umfahrung von Morges oder etwa der künftigen Querung des Lac Léman bei Genf. Wir werden uns wehren.»

Sicher ist, auch wenn es der Bundesrat verneint, dass der Gotthard in Konkurrenz
zu anderen Unterhaltsprojekten von Nationalstrassen in der Westschweiz steht, beispielsweise zur A5 Colombier–Cornaux oder zur A9 Montreux–Roche. Mit einer zweiten Gotthardröhre würden dem Unterhaltstopf jährlich rund 190 Millionen Franken fehlen (13 Prozent des gesamten Budgets), dies, um nachher zwei und nicht nur einen Tunnel zu unterhalten! Pascal Broulis, Waadtländer FDP-Staatsrat, erklärte offen: «Es hat nicht genug Geld, und der Bundesrat weiss es.» In der Westschweiz scheinen sich alle einig: ohne gesicherte Finanzierung kein zweiter Gotthardtunnel.

Grosse Infrastrukturprojekte in der Westschweiz
Schiene:

Erweiterung Bahnhof Lausanne: 1100 Mio.
Erweiterung Bahnhof Genf: 790 Mio.
Kreuzungspunkt zwischen Coppet und Genf, Sanierung Bahnhof Renens: 180 Mio.
Verbesserungen auf der Linie Bern–Lausanne: 300 Mio.

Strasse:

Umfahrung Morges: 5,5 Mia. mit Autobahn Glatttal.
Querung Genfersee: 3 Mia.
Umfahrung La Chaux-de-Fonds: 520 Mio.