Der Permafrost taut auf und lässt Berge bröckeln. Das weiss man. Aber wie können in den Voralpen und Alpen die Wanderwege gefahrlos begangen werden, wenn sich das Klima weiter erhitzt und sich extreme Wetter häufen? Der Verein Schwyzer Wanderwege denkt mit.
tob. Stefan Gwerder geht voraus. Er räumt Äste zur Seite, füllt da und dort ein Loch im Weg, schaut sich um, welcher umgestürzte Baum nicht einfach liegen gelassen werden kann. Der Hang unterhalb der Rigi-Hoflue fällt steil ab zum Vierwaldstättersee. Die Buchen müssen ein gewaltiges Wurzelwerk haben, um sich da halten zu können. Seidelbast und Leberblümchen blühen, der Weg ist schmal und dann stoppen wir vor einem Schneerutsch im Wigärtlerzug. «Vor einer Woche war diese Stelle praktisch unpassierbar, obwohl weit herum kein Schnee mehr liegt», sagt Stefan Gwerder. Er ist Geschäftsleiter des Vereins Schwyzer Wanderwege.
Der Verein ist eingebunden ins Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel» des Bundes, respektive ins Projekt «Sicher Wandern 2040» (siehe Box). In einer Zusammenschau halten die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL sowie das Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF fest, dass sich die Schweiz auf trockenere Sommer, heftigere Niederschläge, mehr Hitzetage und schneeärmere Winter einstellen muss. Das hat Folgen, auch für die Wanderwege im Gebiet der Rigi.
Stefan Gwerder stammt aus dem Muotatal, hat Automechaniker gelernt und wohnt heute in Steinen SZ. Der 35-Jährige ist Vater von zwei Buben. Er arbeitet rund 80 Prozent für die Schwyzer Wanderwege und nebenher für die Erlebniswelt Muotathal mit Hüttenhotel, Restaurant und Huskies. Festgestellt hat er, dass mehr Leute in den Bergen unterwegs sind – wegen Corona, aber auch, weil die Menschen wegen der Sommerhitze vermehrt die kühleren Temperaturen suchen. «Mich freut es ‹usinnig›, dass wieder mehr Leute wandern», sagt er und geht weiter voraus auf dem Weg zum Steg über den Fallenbach.
Plötzlich steht er still und zeigt hangaufwärts. Ein riesiger Felsbrocken klemmt zwischen den Bäumen, er ist unterspült worden und scheint zu schweben. «Früher oder später stürzt auch dieser Stein herunter – solche Stellen gibt es unzählige entlang unserer Wanderwege im Kanton Schwyz», sagt Stefan Gwerder.
Gehäufter Steinschlag
Einer, der die Situation im Schwyzer Wald seit über 30 Jahren beobachtet, ist Sigi Weber, Revierförster im Gebiet Arth, Gersau und Küssnacht. «Ich stelle fest, dass wir es heute öfter mit Steinschlag zu tun haben als noch vor ein paar Jahren», sagt er. Jüngstes Beispiel: Im Dezember 2020 stürzte ein Felsbrocken nahe an die Verkehrsachsen an der Rigi-Nordlehne. Für Sigi Weber ist zudem klar, dass die Trockenheit das Sterben der Eschen beschleunigt hat: «Der Wald hat sich auch sonst vom trockenen Sommer 2018 nie richtig erholt, und die Buchen haben gelitten wie noch nie.» Dann fügt er hinzu: «Ich mache nicht auf Panik, wir müssen die Lage einfach nüchtern anschauen.»
« Wir werden künftig wohl mehr Geld für die Sicherung von Wanderwegen ausgeben müssen. »
Wir erreichen den Steg über den Fallenbach. Die Runse ist steil und unwegsam, das Wasser rauscht unter uns hindurch zum Vierwaldstättersee hinunter – in diesem Gebiet gab es innerhalb kurzer Zeit mehrere markante Steinschläge. Gefertigt wurde der Steg aus Douglasienholz aus der Region. Er ruht auf Betonsockeln und Stahlträgern. Der alte Übergang aus Baumstämmen war nicht mehr sicher. Der Wildbach hatte sich in den Hang gefressen und die Verankerung unterspült. «Wegen der latenten Gefahr von Hochwassern haben wir den Steg jetzt extra höher und weiter weg von Hang gebaut», sagt Stefan Gwerder. Er befürchtet, dass es im Kanton Schwyz künftig häufiger zu Rutschungen, Hangmuren und Murgängen kommt.
Arbeit von Freiwilligen
Der Verein Schwyzer Wanderwege hat rund 1000 Mitglieder. In allen Gemeinden des Kantons sorgen Ortsverantwortliche für die Sicherheit auf den 1700 Kilometern Wanderweg. Viele Freiwillige sind mit dabei. Anders wären die Aufgaben nicht mehr finanzierbar. «Wir werden künftig wohl mehr Geld für die Sicherung von Wanderwegen ausgeben müssen, gerade auch dort, wo der Wald seine Schutzfunktion teilweise eingebüsst hat», sagt Stefan Gwerder – dies wegen Windwurf oder Borkenkäfern, für die ein trockener Sommer ein besonderes Fressen ist.
Auf dem Rückweg erzählt Stefan Gwerder vom «Elend», einer nahen Felswand aus Nagelfluh. Aus ihr brechen immer häufiger Steine heraus. Dann zeigt er auf ein unscheinbares kleines Felsband am Weg. «Hier sieht man, dass auch der Wasen an diesem steilen Hang eine wichtige Funktion hat. In einem sehr trockenen Sommer kann die oberste Schicht mit Gras und Moos nicht mehr wachsen, die Wurzeln sterben ab und halten Humus und Schiefer nicht mehr zusammen.» Ist der Wasen für die Schwyzer Gebiete mit Schiefer und Nagelfluh das, was der Permafrost für die Hochalpen ist? Fallen diese natürlichen Bindemittel weg, wird es gefährlicher.
Was ist zu tun?
tob. Der Bund hat 2013 das Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel» lanciert. Es soll aufzeigen, wie sich die Schweiz an das veränderte Klima anpassen kann.
Insgesamt 50 Projekte wurden gestartet. Eines davon heisst «Sicher Wandern 2040». Dabei wurden in drei Regionen Fallstudien durchgeführt, unter anderem im Kanton Schwyz an der Rigi. Daran beteiligt hat sich der Verein Schwyzer Wanderwege. Mit der «Einwirkung von klimawandelbedingten Naturgefahren auf das Wanderwegnetz im Rigigebiet» hat sich zudem eine Bachelorarbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften befasst.