ip. Die Schweiz ist besonders vom Klimawandel betroffen – und sie hat nicht nur die Mittel, sondern steht auch in der Verantwortung zu handeln. Das sagt die Klimatologin und Mitunterzeichnerin des «Klima-Appells der Forschenden» Martine Rebetez im Interview.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Alpen aus?
Die Temperaturen steigen hier stärker als anderswo. Der durchschnittliche globale Temperaturanstieg beträgt rund 1 Grad, in der Schweiz beläuft sich die Erwärmung auf 2 Grad. Bei einem globalen Temperaturanstieg von 4 Grad wird es in der alpinen Region um mehr als 7 Grad wärmer.
Was hat das für Folgen?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass die meisten Gletscher verschwinden, dass es weniger Schnee gibt, sich die Vegetation verändert und der Permafrost in den Alpen auftaut. Zudem nimmt das Risiko für Naturkatastrophen stark zu. Der Temperaturanstieg führt zu intensiveren Niederschlägen. Im Jahresdurchschnitt bleibt die Regenmenge ungefähr gleich, doch es gibt mehr Trockenperioden und mehr Starkniederschläge, die Überschwemmungen, Erdrutsche und Murgänge zur Folge haben. Letztere können sehr plötzlich auftreten, nicht nur bei Regen. Bricht ein Riegel, der sich durch das Schmelzen des Gletschers gebildet hat, können zudem von einer Sekunde auf die andere enorme Wassermengen freigesetzt werden, die alles mit sich reissen. Diese Risiken können durch die Sicherung sensibler Bereiche reduziert werden, doch die dafür notwendigen Arbeiten und Kosten sind enorm.
Warum sind die Gletscher das Symbol des Klimawandels?
Sie sind das deutlichste Zeichen für die Klimaerwärmung im Alpengebiet. Der Rückgang der Gletscher ist für jede und jeden sichtbar. Wenn wir nicht sofort handeln, werden die Gletscher vollständig verschwinden. Wir können bestenfalls hoffen, dass bis Ende dieses Jahrhunderts noch ein Drittel des heutigen Gletschervolumens bestehen bleibt.
Sie haben den Klima-Appell unterzeichnet, in dem Forschende zum Handeln aufrufen. Warum haben Sie die Zurückhaltung der Wissenschaft abgelegt?
Ich akzeptiere es nicht mehr, dass den Forschungsergebnissen keine Taten folgen. Die Menschen verstehen nicht, warum nicht gehandelt wird. Vor vielen Jahren bin ich zum Schluss gekommen, dass 2020 die Frist abläuft und sich die Veränderungen durch die Klimaerwärmung sichtbar manifestieren. Ich glaubte lange Zeit, dass die Entwicklung aufgehalten werden kann, dass die CO2-Emissionen gesenkt würden. Doch dem war nicht so. Die Menschen mobilisieren sich erst im Notfall. Wir können die verlorene Zeit nicht aufholen, doch wir können das Schlimmste noch verhindern. Das ist der Grund für mein Engagement.
Was muss die Schweiz tun?
Die anderen Länder schauen, was die Schweiz macht. Wir sind ein reiches Land, verfügen über hervorragendes technisches Know-how, und wir sind direkt vom Klimawandel betroffen. Wenn wir nicht handeln, wie wollen wir dann erwarten, dass Brasilien, China oder Afrika handelt? Die Schweiz könnte noch viel mehr machen, insbesondere beim Strassen- und Transportverkehr. Ich wünsche mir, dass die alpine Region Bestrebungen unternimmt, um energieautonom zu werden: mit Sonnenenergie – diese ist in den Alpen auch im Winter ausreichend vorhanden – und mit fossilfreien Transporten. Das hätte für die Alpen eine zukunftsträchtige Dynamik. Doch diesem Wandel steht nicht nur die Mentalität der Menschen im Weg, sondern auch gewisse Finanzinteressen. Ein Beispiel: Nationalrat Albert Rösti ist Präsident von Swissoil. Da besteht klar ein Interessenkonflikt zwischen dem Wohlergehen der Bevölkerung, die ihn gewählt hat, und den Finanzinteressen in Bezug auf die fossile Energie, die CO2-Emissionen verursacht.