Thomas Giedemann ist in dritter Generation Eisenbahner. Während 30 Jahren fuhr er Züge durch die Schweiz. Unmenschlicher seien die Schichten bei SBB Cargo geworden, sagt der Tessiner. Vor kurzem hat er aus gesundheitlichen Gründen aufgehört.
tob. Angefangen hat Thomas Giedemann bei den SBB als 20-Jähriger. Ein Bubentraum erfüllte sich. Er sass in der Lokomotive und fuhr Reisezüge vom Tessin nach Zürich und Luzern, zog mit seiner Maschine tausende von Tonnen Güter über die Gotthard-Bergstrecke und beförderte die Tessiner Pendlerinnen und Pendler im Regionalverkehr, er fuhr am Tag und er fuhr in der Nacht. 1991 war für ihn die Lokomotivführerwelt noch in Ordnung.
Die Auftrennung
Mit der Bahnreform von 1999 ändert sich viel. Unter dem Titel der Liberalisierung wurden die SBB in eine Aktiengesellschaft umgekrempelt und in drei Bereiche aufgetrennt: Personenverkehr, Güterverkehr (SBB Cargo) und Infrastruktur. Lokführer Giedemann konnte wählen, in welcher Division er künftig angestellt sein wollte. Er entschied sich für SBB Cargo. «Am Anfang durfte ich gleichwohl noch zwischendurch Personenzüge fahren, aber nicht mehr lange», erzählt er.
Dann gab es oft Ärger, wenn beispielsweise ein Personenzug wegen einer defekten Lok stehen blieb, der Güterzug aber einfach vorbeifuhr. Das wäre vor der Aufteilung der SBB in drei separate Bereiche nicht passiert. «Als dann einmal der neue Chef von SBB Cargo zu einer Besprechung nach Bellinzona mit dem Flugzeug anreiste, fragten wir uns – ist das der neue Stil bei der Bahn?»
Das Schrumpfen
Nicht nur der Job als Lokomotivführer ist nicht mehr der gleiche, sondern auch der Güterverkehr innerhalb der Schweiz hat sich stark verändert. Jüngst hat SBB Cargo fast die Hälfte aller sogenannten Bedienpunkte aufgehoben. Die Bahn nimmt an immer weniger Orten in der Schweiz Güter für den Transport entgegen. Die Marktanteile der SBB am Binnengüterverkehr sind denn auch weiter geschrumpft und Arbeitsplätze gingen in grosser Zahl verloren.
Für Thomas Giedemann ist klar: «Ein flächendeckendes Schienengüternetz gehört zum Service public. Wenn man sich nur auf Hauptachsen konzentriert, so funktioniert das nicht. Das haben sie SBB und die Politik beim Personenverkehr gemerkt. Die Strecken Zürich – Bern oder Genf – Lausanne sind zwar Gold wert, aber nur dank des weniger rentablen Regionalverkehrs, der als Zubringer funktioniert.»
Die Nacht
Thomas Giedemann, Sohn einer Tessinerin und eines Baslers, ist seit langem Mitglied der Alpen-Initiative. Mit 22 Jahren begann er, sich in der Freizeit für die Anliegen der Eisenbahner einzusetzen. Seit Anfang Jahr arbeitet er im Tessiner Sekretariat der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Wenn man länger mit ihm redet, staunt man über das grosse Fachwissen und spürt seine Begeisterung für die Bahn – und auch sein leises Bedauern, dass er als Lokführer aufhören musste, weil der Körper des 50-Jährigen nicht mehr mitmachte.
«Früher war in den Schichten viel mehr Abwechslung für die Lokführer sowie mehr gesunder Menschenverstand bei der Festlegung ihrer Dienste. Die Güterzüge aber fuhr ich praktisch nur noch nachts. Das zehrt einen aus, vor allem wenn man älter wird.» Der Lokführer ist nicht der Einzige, der in der Nacht arbeitet. Aber er sitzt alleine im Führerstand, es ist dunkel dort drinnen und ebenso draussen. Zudem surrt der Motor sein monotones, einschläferndes Lied. «Alles sagt dem Körper, er solle schlafen – und er darf nicht.»
Die Schliessungen
Als in der Folge der Liberalisierung 2004 auf der Gotthard-Strecke etliche Güterzüge an andere Eisenbahnunternehmen verloren gingen, liess sich Thomas Giedemann weiterbilden und fuhr für SBB Cargo auch Züge nach Italien, hauptsächlich nach Gallarate westlich von Mailand. «Das Tessin ist eine Randregion, jeder Arbeitsplatz wichtig ist», sagt er. Lange hat das Tessin für seine Officine Bellinzona gekämpft, unter anderem mit einem historischen Streik. Nun sollen die Unterhaltswerkstätten nach Castione verlegt werden. Das wäre nicht so schlimm, wenn nicht über 150 Stellen gestrichen würden.
Auch ennet des Gotthards, in Goldau, will SBB Cargo ein Depot schliessen. Das ist gerade für die Lokführer aus der Zentralschweiz ein schwer erträglicher Entscheid, nachdem schon das SBB Cargo-Depot in Erstfeld geschlossen worden ist. Die Schichten für Güterzüge beginnen oft mitten in der Nacht, da wäre es gut, wenn die Leute direkt vor Ort wohnen könnten und nicht mit dem Auto zur Arbeit fahren müssten. Thomas Giedemann versteht auch diesen Entscheid nicht, da das neue Computersystem Caros der SBB Cargo den Standort Goldau als wirtschaftlich sinnvolles Depot errechnet, wo ein Lokführerwechsel vorgenommen werden kann.
Thomas Giedemann hat keine Familie, das sei in diesem Beruf von Vorteil. «Die Nachttouren bei den Güterzügen werden immer extremer und unwürdiger», bilanziert er. Seinem Körper wurde es bereits zu viel. Und den SBB fehlt ein weiterer, erfahrener und motivierter Lokführer.