Kaum soll es mit dem Bau der 2. Gotthardröhre losgehen, wird der beschlossene einspurige Betrieb der beiden Tunnel schon torpediert. Die Alpen zur Feiertags- und Staubewältigung unter einer Blech- und Emissionslawine begraben? Die Städte und das Tessin mit Stau und Smog zudeckeln? Das wollen und dürfen wir nicht zulassen.
mif. Der Bau der 2. Gotthardröhre ist eine Mogelpackung. Davor hatte die Alpen-Initiative bereits 2015 klar gewarnt. Frühestens ab 2032, wenn die 2. Röhre gebaut und die alte saniert ist, können beide Röhren je einspurig mit maximal 1000 Durchfahrten pro Stunde und Fahrtrichtung befahren werden. Die gesetzlich limitierte Kapazität dient der Sicherheit. Bereits jetzt will Nationalrat Walter Wobmann infolge punktueller Stauaufkommen mögliche Folgen der Öffnung aller Spuren auf Verkehrsaufkommen und Stausituation prüfen lassen. Ein Affront gegen den Alpenschutzartikel und das Verbot der Kapazitätserweiterung auf den Alpen-Transitstrassen. Diese billige Stauverlagerungspolitik droht den Alpenraum und dessen Bewohner zu ersticken. Der Stau nimmt zu und bringt die Verkehrs-Hot-Spots Basel, Autobahnkreuz Härkingen, Luzern und Lugano bis Chiasso zum Platzen. Das abgas- und feinstaubgeplagte Mendrisiotto versinkt im Smog.
Die Halbwertszeit politischer Versprechen wird immer kürzer, zum Schaden unseres Alpenraums, des grössten Biodiversitätsreservats in ganz Europa. Dass die Stimmbevölkerung 2016 im Rahmen der Abstimmung zum Bau der 2. Röhre mit dem Sicherheitsargument bloss geködert und damit getäuscht wurde, scheint sich jetzt zu bestätigen.
Ungenutzte Verlagerungspotenziale
Ab 2032 wider aller Versprechen die aktuell wegen eines Vergaberechtsstreits noch nicht mal angebohrte 2. Röhre am Gotthard zusammen mit dem alten Gotthardröhre jeweils zweispurig zu betreiben, ist nicht nur verfassungswidrig. Es ist auch absurd, weil die Möglichkeiten zur Verlagerung noch nicht ausgeschöpft sind. So müssen noch 200’000 Lastwagen pro Jahr von der Strasse auf die Schiene, bis das gesetzliche Maximum von 650’000 alpenquerenden Lastwagenfahrten pro Jahr endlich erreicht ist. Mit dem Bau der 23 Mia. teuren NEAT hat die Schweiz den Begehrlichkeiten unserer Nachbarländer nach leistungsfähigen Verkehrswegen Genüge getan. Damit unser Flachbahn-Hochleistungskorridor durch die Alpen Volllast erreicht, müssen unsere Nachbarn die Zulaufstrecken auf Vordermann bringen.
Um die Strassenkapazitäten auf Europas Nord-Südachse wird derzeit heftig gestritten. Bayern liegt sich in den Haaren mit dem Tirol, das die Kapazitäten beschränken will. Die Bevölkerung entlang der Brenner-Route leidet unter dreimal so viel Lastwagen wie Gotthard und San Bernardino zusammen. Auch hier staut sich der Freizeitverkehr saisonal ins Unerträgliche. Noch hält das Dosiersystem am Gotthard die Verkehrslawine ab. Doch sobald es Lockerungen gibt, wird sie sich über die unbestritten kürzeste Nord-Südverbindung durch die Alpen ergiessen.
Desaster für das Tessin
Eine Kapazitätserweiterung am Gotthard wäre ein Desaster für das Tessin. Die Anzahl der Staustunden zwischen Lugano und der Landesgrenze in Chiasso hat sich gegenüber 2020 mehr als verdoppelt. Im Mendrisiotto hat sich der Wert nahezu verdreifacht, weil hier Grenzgängerverkehr, Transport- und Freizeitverkehr aufeinanderprallen. Die Bevölkerung hat genug von Abgas, Lärm und Feinstaubemissionen. Wer kann, zieht weg in die Seitentäler. Weniger Stau würde der zweispurige Betrieb der Gotthard-Strassentunnels nicht bringen: Statt Profit winkt nur Schaden. Wer die Schweiz auf der Nord-Südachse durchquert, spart keine Minute. Diese blindwütige Politik bürdet unseren Alpen einen Schaden auf, den wir nie mehr ausgleichen können.
Mehrverkehr und Stauverlagerung
Der Solothurner Nationalrat Walter Wobmann will den Stau, der sich vor allem zu Ostern, Auffahrt, Pfingsten sowie Ferienstart und -ende am Gotthard ansammelt, mit dem zweispurigen Betrieb der beiden Tunnels verflüssigen. Diese kurzsichtig ausgelegte Verdrängung von Stauproblemen auf andere Nadelöhre entlang der Nord-Südachse ist gefährlich und widersinnig. Die gesamte Bevölkerung entlang der Nord-Südachse müsste Mehrverkehr und damit Mehremissionen in Kauf nehmen. In Basel, Luzern und im Tessin drohen verstopfte Autobahnen und unzählige Staustunden. Noch sind weder die Nord-Südachse noch die Alpen von derart dicken Verkehrsadern durchpflügt wie die Mittellandachse (siehe die aktuelle Karte des Bundesamtes für Strassen ASTRA). Die soeben publizierten Zahlen 2021 unterstreichen, dass sich der grösste Teil des Schweizer Verkehrs auf den Nationalstrassen auf der Ost-Westachse von St. Margrethen bis nach Genf breit macht. Im Vergleich dazu ist die Verkehrsbelastung auf der Nord-Süd-Achse viel geringer, vor allem vor und nach dem Gotthard. Dasselbe Bild zeigt sich auf der dünn eingefärbten Ausweichroute San Bernardino.