Die zweite Röhre ist noch lange nicht gebaut und bereits werden Rufe nach einem Vierspurbetrieb am Gotthard laut. Die Alpen-Initiative setzt sich entschieden gegen diese Demontage des Alpenschutzes ein.
Was Autofanatiker wie SVP-Nationalrat Walter Wobmann schon letzten Sommer gefordert haben, einen Vierspurbetrieb bei den Gotthard-Strassentunnels, scheint nun auch in bürgerliche Kreise vorgedrungen zu sein. Der Urner Landrat Georg Simmen (FDP) sagte im Rat zu den Staus am Gotthard und zum Ausweichverkehr durch die Urner Dörfer «das Problem werden wir gelöst haben, wenn wir auf vier Spuren durch den Gotthard können». Entsprechend müsse der Alpenschutzartikel geändert werden. Dabei sollte langsam allen klar sein: Mehr Strassen zu bauen und zu betreiben, um den Stau zu verhindern, so sagte bereits 1955 der Forscher Lewis Mumford, sei genauso wie «seinen Hosengürtel zu öffnen, um Übergewicht loszuwerden». Denn durch zusätzliche Strassenkapazität am Gotthard würde das Problem der Engpässe nur verschoben, nicht behoben, und vor allem noch mehr Autos und Lastwagen angezogen.
Angriff auf Alpenschutzartikel
Der Alpenschutzartikel der Bundesverfassung (Art. 84), der durch die Annahme der Alpeninitiative beschlossen wurde, hält fest: «Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden.» Auch der Bundesrat hat in der Abstimmung zur 2. Gotthardröhre festgehalten: «Ein JA wahrt den Alpenschutz: Verfassung und Gesetz begrenzen den Verkehr.» Ein Vierspurbetrieb verstösst eindeutig gegen unsere Verfassung.
Abstimmungsversprechen 2016
Der Bundesrat hat in den Abstimmungsunterlagen festgehalten: «Die Kapazität des Tunnels wird mit der von Bundesrat und Parlament beschlossenen Lösung nicht erhöht. Das garantieren der Alpenschutzartikel in der Verfassung und die mit dem Gesetz neu eingebaute Schranke: Auch nach der Sanierung des Gotthard-Strassentunnels darf demnach stets nur eine Fahrspur pro Richtung offen sein. Die andere dient als Pannenstreifen.» Diese Versprechungen wurden im Abstimmungskampf 2016 unzählige Male wiederholt und bekräftigt. Dass nun wenige Jahre später bei einigen nichts mehr davon übrig scheint, ist bedenklich.
Die Befürworterinnen und Befürworter haben sich 2016 vor allem aus Gründen der Sicherheit für die 2 Milliarden Franken teure zweite Röhre ausgesprochen. Statt wie heute mit Gegenverkehr 17 Kilometer durch den Gotthard zu fahren, sollen die zwei Röhren jeweils mit einer Spur und Pannenstreifen mehr Sicherheit bringen. Bei einem Vierspurbetrieb würden die Pannenstreifen pro Richtung wegfallen. Das reduziert die Sicherheit deutlich und widerspricht dem im Abstimmungskampf prominent ins Feld geführten Sicherheitsargument massiv.
- « Zusätzliche Strassenkapazität zieht noch mehr Verkehr an, zu Lasten der Schweizer Bevölkerung. »
Problem wird nur verschoben
Es stimmt, der Gotthard-Strassentunnel ist ein Engpass auf der Nord-Süd-Achse. Aber sollte dieses Nadelöhr geweitet werden, wird sich der Stau nicht – wie magisch – auflösen, sondern in andere Regionen verschieben. Es wird im Tessin, beispielsweise bei Chiasso, oder auch im Raum Luzern und Basel wohl zu substanziell mehr Stau führen. Staus nur von einem Ort zum anderen zu verschieben, ist zu kurz gedacht und kann nicht im Interesse der jetzt schon verkehrsgeplagten Schweizer Bevölkerung sein.
Gotthard im Rampenlicht
Andernorts in der Schweiz gibt es auch Stau und sehr viel Verkehr – jedoch bei weitem nicht so grosses Aufsehen. Man denke an Wallisellen (ZH), Muttenz (BL), Würenlos (AG), Schönbühl (BE), Renens (VD) oder den Reussporttunnel Luzern (LU), dort beträgt der durchschnittliche tägliche Verkehr (DTV im Jahre 2022) 100’000 Autos, und teils deutlich mehr. Dagegen könnte man die Situation am Gotthard mit einem täglichen Durchschnittsverkehr von 18’600 Fahrzeugen fast schon als entspannt bezeichnen. Klar, während der Feiertage und Ferienzeiten im Sommerhalbjahr kommt es zu deutlich mehr Verkehr als üblich und zu Stau. Die Staulängen am Gotthard sind jedoch nicht mit Staus andernorts vergleichbar, da vor dem Strassentunnel der Verkehr aus Sicherheitsgründen mit Ampelsystemen dosiert wird.
Problematik Ausweichverkehr
Problematisch am Stau beim Gotthard und San Bernardino ist vor allem der Ausweichverkehr. Um den Stau zu umfahren, weichen unzählige Ferienreisende auf ihrem Weg durch die Alpen auf die Dorfstrassen der Berggemeinden aus – zum grossen Leid der lokalen Bevölkerung in Uri, im Tessin und in Graubünden. Der Transitverkehr gehört auf die Autobahn. Das Problem gilt es mit griffiger Verkehrsführung und schlauem Verkehrsmanagement zu lösen – und zwar jetzt. Ein Vierspurbetrieb am Gotthard-Strassentunnel ist dies sicher nicht. Denn mit mehr Strassen würde eine noch grössere Blechlawine angelockt. Und dies würde schon sehr bald zu noch mehr Ausweichverkehr führen.
Verkehrslawine eindämmen
Ein Vierspurbetrieb am Gotthard löst das Problem der Verkehrslawine durch die Alpen nicht – im Gegenteil. Die Alpen-Initiative bringt weitsichtige Lösungen:
- Attraktive öV-Angebote: Um den Stau am Gotthard zu reduzieren, ist die Verlagerung der Personen und Güter auf die Schiene und den öV die wirkungsmächtigste Massnahme. Mit attraktiveren Angeboten können künftig noch mehr Personen von der Zugreise überzeugt werden (zumindest für den langen Teil der Reise). Die Infrastrukturen dafür sind in der Schweiz und Italien vorhanden.
- Slot-System: Ein Slot-System, bei dem man sich einen Slot für die Alpenquerungen reservieren muss, würde den Stau vor dem Gotthard und am San Bernardino deutlich reduzieren, da (fast) nur Autos mit entsprechender Fahrberechtigung auf der Strecke unterwegs sind und es zu keiner Überlastung führen kann. Am Brenner wollen die Verkehrsminister der Länder Bayern, Tirol und Südtirol ein solches Slot-System erst mal für Lastwagen, später dann eventuell auch für Autos einführen. Ein Slot-System finden wir auch in der Schweiz prüfenswert. Wir fordern den Bundesrat, das Parlament und die Verwaltung auf, dies zu tun.
- Maut: Für die Fahrt auf alpenquerenden Strassen des nationalen Netzes (Gotthard, San Bernardino, Simplon, Grosser St. Bernhard) könnte eine Abgabe eingeführt werden. Dies sollte das Verkehrswachstum dämpfen, bei dynamischer Ausgestaltung kann sie ausserdem zur Spitzenglättung beitragen. Zudem könnten mit den Einnahmen Massnahmen zur Minderung des Strassenverkehrs finanziert werden. Wichtig wäre es, für die regionale Bevölkerung (bspw. aus dem Tessin und Uri) eine faire Lösung (mit Rabatten oder Abonnementen) anzubieten.
- Massnahmenbündel gegen Ausweichverkehr-Problem: Das Problem des Ausweichverkehrs durch die Dörfer kann mit einem schlauen Verkehrsmanagement deutlich reduziert werden. Folgende Massnahmen schützen die Anwohnenden und die Umwelt vor Blechlawinen, Lärm und Schadstoffen:
-
-
-
- Temporeduktion auf der Autobahn und den anderen Strassen
- Ein- und Ausfahrten für den Transitverkehr schliessen und die Passstrasse für gewisse Fahrzeugkategorien z.B. Camper sperren
- Ausweichrouten auf dem Navigationsgerät nicht anzeigen lassen
- Fahrverbote für Transitreisende auf den Kantons- und Gemeindestrassen an gewissen Wochenenden und Feiertagen einführen (wie an der Brenner-Route im Tirol). Dies befreit die Dörfer von Stau und verschafft Anwohnenden, Ambulanz,
- Feuerwehr und Polizei sowie dem öffentlichen Verkehr freie Fahrt.
-
-