db. Bisher fahren keine so genannten Gigaliner durch die Schweiz. Das hiesige Maximalgewicht von Lastwagen ist gesetzlich beschränkt und mit der Europäischen Union gesichert. Jetzt steigt der Druck, dies zu ändern.
Über 25 Meter lang und bis zu 60 Tonnen schwer. Die EU will den Gigalinern – sie nennt diese in üblich technokratischer Manier European Modular System – nämlich grenzüberschreitend den Weg ebnen. Den Anstoss dafür gab die EU-Kommission im Juli 2023 mit dem Paket für einen «grüneren Güterverkehr». Neu sollen Mitgliedstaaten, die Gigaliner in ihrem Hoheitsgebiet zulassen, diese auch bei grenzüberschreitenden Einsätzen zwischen benachbarten Mitgliedstaaten nutzen können, ohne dass ein bilaterales Abkommen erforderlich ist und ohne Beschränkung nur eine Grenze zu überschreiten.
Die Büchse der Pandora
Klingt vorerst nicht mal so schlimm? Doch wer die politischen Dynamiken etwas mitverfolgt, merkt schnell, dass Europa damit die Büchse der Pandora öffnet. Bereits
jetzt werden Stimmen laut, die nach mehr schreien. Nordische Logistiker wollen Gigaliner auf dem gesamten transeuropäischen Verkehrsnetz zulassen. Sie sehen den Kommissionsvorschlag als «einen ersten Schritt in diese Richtung». Diesem Ruf werden im EU-Parlament gewiss Politiker folgen und Anträge stellen für Gigaliner, europaweit, und zwar jetzt.
Die EU verspricht sich einen billigeren Transport. Dem ist sicher so. Aber je billiger die Tonne auf der Strasse, desto schwieriger ist es für die Bahn, in diesem unfairen Konkurrenzkampf mitzuhalten. Hinweise, dass dadurch Güter von der Schiene auf die Strasse rückverlagert werden, seien «zu vernachlässigen», postuliert die EU-Kommissionsvertreterin in ersten Parlamentsberatungen. Hört man sich jedoch bei europäischen Bahnbetreibern um, ist von klaren Rückverlagerungseffekten um stolze 13 % die Rede.
Im Falle einer Zulassung dürften diese Zahl und damit die CO2-Emissionen weiter steigen. Und damit fällt auch das grüne Mäntelchen, das die EU den Gigalinern umlegt. Gigaliner bremsen ganz klar das Erfolgsmodell der Schweizer Verlagerungspolitik aus und schaden Mensch und Umwelt. Sie reduzieren weder Staus noch die Belastung durch Lärm, Treibhausgase und Luftschadstoffe, wie dies die Kommission ins Feld führt, sondern sorgen durch die Rückverlagerung auf die Strasse zu noch mehr Belastungen. Vereinzelte Vorteile sind vorhanden, beispielsweise dass es in Zeiten von Fahrermangel weniger Chauffeure braucht. Aber in der Summe setzt die EU aufs falsche Pferd.
« Die Bahn kann ein x-Faches eines Gigaliners transportieren und erst noch umweltfreundlicher. »
Es formiert sich Widerstand
Wie eine erste Aussprache des Verkehrsausschusses des EU-Parlaments zeigt, sehen dies auch Abgeordnete von Christ- und Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken so. Es formiert sich fraktionsübergreifend Widerstand. Die Angst vor der drohenden Rückverlagerung des Gütertransports auf die Strasse ist gross.
Dieser frühe Widerstand ist wichtig. Denn es ist nicht das erste Mal, dass die EU-Kommission den Weg für Gigaliner ebnen will. Bereits vor 15 Jahren startete sie ihren ersten Versuch. Es formierte sich europaweit breiter Widerstand, aus der Zivilgesellschaft, aber auch aus gewichtigen europäischen Mitgliedsländern wie Deutschland. Auch die Alpen-Initiative beteiligte sich aktiv daran und vereinte die Schweizer Gegner des Vorhabens. Der Widerstand war erfolgreich, die EU liess von ihren Plänen ab.
Heute stehen die Vorzeichen anders. In Deutschland scheint die Skepsis mittlerweile verflogen oder – ehrlicher gesagt – erstickt. Gigaliner verkehren jetzt schon auf immer mehr Strecken. Der Gesetzesvorschlag geht nun durch die Mühlen der europäischen Politik. Ein Entscheid fällt wohl erst nach der Europawahl vom Sommer 2024. Wir setzen darum alle Hebel in Bewegung, um in Zusammenarbeit mit europäischen Umweltverbänden und verbündeten Kräften im EU-Parlament die europaweite Zulassung zu verhindern. Damit die Schweiz nicht wortwörtlich unter die Räder kommt, setzen wir auf das bewährte Erfolgsrezept – für Güter die Bahn. Diese kann ein x-Faches der Fracht eines Gigaliners transportieren, und dies weitaus umweltfreundlicher!
Helvetia wohnt in Europa – warum der Druck auf die Schweiz steigt
In der Schweiz stellen sich sowohl Umweltschutzverbände als auch der Bund und selbst die Lastwagenlobby gegen die 60-Tönner. Die aktuelle Gewichtslimite von maximal 40 Tonnen droht jedoch zum Spielball der bilateralen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU zu werden.
Bis 1999 durften in der Schweiz die Lastwagen maximal 28 Tonnen schwer sein. Seit 2005 sind es 40 Tonnen, im kombinierten Verkehr Strasse/Schiene gar 44 Tonnen. Vor 1999 hatten etliche Politiker beteuert, die 40-Tonnen-Limite sei für die Schweiz «kein Thema». Dann aber war alles plötzlich ganz anders: Im Rahmen der bilateralen Verhandlungen I mit der EU wurde die Gewichtslimite zum Verhandlungspfand der Schweiz und 1999 zu Gunsten anderer Interessen wie der Landerechte der Swissair selig endgültig aufgegeben.
Zurück in die Zukunft: Mittelfristig wird die EU wohl alles unternehmen, um den wichtigen Nord-Süd-Korridor durch die Schweiz für Gigaliner zu öffnen. Im Tauziehen um die institutionellen Fragen und neue bilaterale Abkommen könnten die Verhandlungsführenden kreativ werden. Die Schweiz, die sich heute der Entwicklung noch geschlossen entgegenstellt, könnte morgen diese 25 Meter lange und 60 Tonnen schwere Kröte schlucken, um bei anderen Dossiers europäische Eingeständnisse zu erwirken.