fg. Lastwagenfahrten durch die Alpen nehmen zu – das Verlagerungsziel ist noch längst nicht erreicht. Dazu kommt der wachsende Lieferwagen- und Personenverkehr. Zu spüren ist dies auch in Wassen. Ein Augenschein vor Ort.
In der Schweiz kennen es fast alle. Das «Chileli» von Wassen. Von der Schulreise oder vom Familienausflug, wo die Lehrerin oder der Vater mit dem pendelnden Sackmesser versucht hat, die Funktionsweise von Kehrtunnels zu erklären. Oder aus dem Sketch von Emil (Stichwort: «Regardez la l’église!»). Genau bei diesem «Chileli» sitze ich auf einer Bank. Mein erstes Mal in Wassen (UR), im Dorf selbst. Aber neben der beeindruckenden Natur, der steilen Berglandschaft, der hübschen Kirche und einigen schönen alten Dorfhäusern, sehe und höre ich vor allem eines. Den Lastwagen- und Autoverkehr auf der Autobahn A2, der hochfrequentierten Nord-Süd-Achse. Vor allem die schweren Brummis, von welchen jede Minute mehrere durchfahren, verursachen eine sehr unangenehme Lärmkulisse. Kein Wunder, denn ein Lastwagen produziert zirka 10-mal mehr Lärm als ein Auto. Sogar im Innern der Kirche hört man den Lärm der Autobahn. Zudem belastet der massive Verkehr auf der Autobahn auch die Luft. Ich frage mich, wie das für die Einwohnerschaft von Wassen sein muss.
Viel zu viele Lastwagen
Und Abhilfe ist für die Anwohnerinnen und Anwohner der Transitachsen nicht in Sicht. Die Entwicklung in der Verlagerungspolitik geht leider in die falsche Richtung. 916’000 Lastwagen haben die Alpen 2023 gequert. Das sind schlicht-weg zu viele und vor allem mehr als noch vor einigen Jahren. Gemäss dem üterverlagerungsgesetz dürften es seit 2018 noch 650’000 sein. Die überschüssigen 266’000 Lastwagen, die jährlich durch
die Alpen brettern, würden in einer Reihe gestellt eine längere Schlange bilden als vom hohen Norden Norwegens in Tromsø nach Neapel in Süditalien. Dazu kommt ein Vielfaches an Privatfahrzeugen – diese Blechlawine des Personen- und Freizeitverkehrs alleine würde sogar bis nach Kapstadt in Südafrika reichen. Obwohl es auch hier eine einfache Alternative gibt: die Bahn.
« Die Verlagerung dient nicht dem Selbstzweck – der Verkehr auf der Schiene entlastet Menschen und Umwelt spürbar. »
Fabio Gassmann, Leiter Alpenschutzpolitik
Verlagerung braucht neuen Schwung
Viele Jahre gab es kleine Fortschritte in der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Aber nun stimmt der Trend nicht mehr. Gerade vor diesem Hintergrund muss die Politik nun wirksame zusätzliche Massnahmen ergreifen, um wieder Schwung in die Verlagerungspolitik zu bringen. Die Alpen-Initiative fordert zusätzliche finanzielle Mittel, um die Verlagerung neuer Verkehre zu fördern, eine vollumfängliche und rasche Anpassung der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) an die Teuerung und die Einführung einer Alpentransitabgabe für den Schwerverkehr.
Mein Besuch in Wassen, hat mir sehr eindrücklich vor Augen geführt, dass die Verlagerungspolitik kein Selbstzweck ist. Ganz im Gegenteil: Die Reduktion der alpenquerenden Lastwagenfahrten oder das Nacht- und Sonntagsfahrverbot helfen mit, die Belastung durch den Verkehr für die Menschen und die Umwelt in den Alpen in einem erträglicheren Rahmen zu halten. Nicht vorzustellen, wie es in Wassen heute wäre, würden durch die Schweiz so viele Lastwagen verkehren wie zum Beispiel am Brenner, wo jährlich zwei Millionen Lastwagen drüber donnern. Doch nicht so dramatische Zustände wie am Brenner zu haben reicht nicht. Wir müssen das gesetzliche Verlagerungsziel endlich erreichen! Wir bleiben dran. Es lohnt sich. Für die Menschen in Wassen, aber auch für die ganze Bevölkerung in der Schweiz.
Wie lebt es sich in Wassen – Nahe der Autobahn A2?
Philipp Baumann wohnt im Wassner Dorfteil, welcher direkt auf die Autobahn A2 ausgerichtet ist. Für ihn gehört die Autobahn zum Alltag – er fasst die Situation bei einem kurzen Gespräch zusammen.
«Den Lärm an der A2 bei uns in Wassen würde ich als allgegenwärtig beschreiben. Das ist natürlich störend und hat ausserdem in den letzten Jahren extrem zugenommen. Bis auf ein paar Monate im Winter ist der Lärm das ganze Jahr da. Besonders nervig und störend sind die hupenden Autofahrer, wenn es Stau gibt. Ich persönlich habe mich bis zu einem gewissen Grad an den Verkehrslärm der Autobahn gewöhnt und kann diesen ausblenden. Die Luftverschmutzung durch den Strassenverkehr hingegen sehe ich als Gefahr für unsere Gesundheit.
Neben der Luftverschmutzung und dem Lärm stört mich aber vor allem, dass wir als Bewohnerinnen und Bewohner von Wassen im Sommer etwa fünfmal so lange brauchen, um einen Termin im Unterland wahrzunehmen – nicht nur die Autobahn, auch die Kantonsstrassen in den Talboden sind überlastet und verstopft. Insofern finde ich es sehr egoistisch von vielen Leuten, wie sie ihre Autoreisen planen: Jeder will genau an Ostern in den Süden in die Ferien fahren. Unter dem Motto: Nach mir die Sintflut.»