cb. Zum 25. Jahrestag der Abstimmung über die Alpeninitiative und zum 30. Geburtstag des Vereins ein Gespräch mit dem Präsidenten Jon Pult über Erfolge in der Alpenschutzpolitik, absurde Transporte und den Klimawandel. Ein Rück- und Ausblick.
Als vor 25 Jahren die Alpeninitiative vors Volk kam, warst du 10-jährig und konntest selbst noch nicht mit abstimmen. Hast du bestimmte Erinnerungen?
Ich erinnere mich vor allem an die «Arena»-Sendung zur Alpeninitiative-Abstimmung im Schweizer Fernsehen, die im Vorfeld ausgestrahlt wurde. Ich war fasziniert, wie der Urner Landammann Hansruedi Stadler und Nationalrat Andrea Hämmerle gegen den damaligen Verkehrsminister Adolf Ogi ihre Argumente vorbrachten. Das ist meine älteste Politik-Erinnerung. Sehr früh hatte ich also Sympathie für die Sache der Alpen-Initiative! (lacht)
Was hat der Verein Alpen-Initiative seit der Abstimmung in Sachen Alpenschutz- und Verlagerungspolitik erreicht?
Die Alpeninitiative war eine Zäsur in der Verkehrspolitik der Schweiz: Die Verkehrspolitik hat sich seit 1994 radikal verändert. Kein Land in Europa hat die Verlagerung der Güter auf die Schiene und den Alpenschutz so erfolgreich umgesetzt wie die Schweiz. Während in den Nachbarländern der alpenquerende Transitverkehr auf der Strasse markant zugenommen hat, ging er in der Schweiz stark zurück. In der Schweiz werden heute 70 % des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Schiene transportiert, in Österreich sind es gerade mal 30 %.
Der Verein Alpen-Initiative feiert dieses Jahr seinen 30. Geburtstag. Wo steht er heute?
Der Verein ist aus einer Bewegung von Alpenschützerinnen und -schützern heraus entstanden und ist bis heute eine Bürgerbewegung geblieben. Gleichzeitig hat sich die Alpen-Initiative als Organisation stark weiterentwickelt. Es gibt keine kompetentere und erfolgreichere Organisation in Europa in Sachen Verlagerungspolitik. Die Alpen-Initiative ist auf europäischer Ebene hervorragend vernetzt und steht in ständigem Austausch mit Entscheidungsträgern in Brüssel und Exponenten der Alpen- und Nachbarländer Österreich, Frankreich und Italien.
Laut Gesetz dürften seit Ende 2018 noch höchstens 650’000 Lastwagen pro Jahr die Alpen queren. Es sind jedoch noch fast 1 Million. Weshalb wurde das Ziel nicht erreicht?
Die Politik hat den Auftrag, Massnahmen zu ergreifen, um das Verlagerungsziel zu erreichen und die Alpen und ihre Bevölkerung vor den Auswirkungen des Transitverkehrs zu schützen. Doch sie hat diesen Auftrag zu wenig konsequent umgesetzt. Insbesondere die abgetretene Verkehrsministerin Doris Leuthard engagierte sich in der Verlagerungspolitik kaum. Ich sehe das verpasste Verlagerungsziel jedoch nicht als leeres, sondern als halbvolles Glas. Die Verlagerungspolitik in der Schweiz ist dank der Alpen-Initiative ein grosser Erfolg, es fehlt nicht mehr viel bis zum Ziel. Die Zahlen des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Strasse sinken trotz zunehmendem Transportverkehr.
Was tut die Alpen-Initiative, damit der Bundesrat punkto Verlagerung mehr unternimmt?
Die Alpen-Initiative arbeitet weiter mit Hochdruck daran, mit Lobbying, Sensibilisierungskampagnen, der Erarbeitung von Massnahmenvorschlägen wie etwa der vollständigen Ausschöpfung der LSVA. Der Ceneri-Basistunnel wird bald fertiggestellt und damit die NEAT abgeschlossen sein. Auch der 4-Meter-Korridor auf der Gotthard-Achse ist bald fertig gebaut. Spätestens dann gibt es keine Ausreden mehr für die Politiker. Auch der Wechsel im Verkehrsdepartement stimmt mich optimistisch: Ich bin überzeugt, dass Bundesrätin Sommaruga mehr Dynamik in die Verlagerungspolitik bringen wird. Es braucht jedoch nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Europa neuen Schub in der Verkehrs- und Klimapolitik.
Was ist für die Alpen-Initiative die grösste Herausforderung der Zukunft?
Mit dem Klimawandel hat der Alpenschutz noch an Dringlichkeit zugenommen. Der Klimawandel bedroht die Existenz der Menschen in den Alpen und auf der ganzen Welt. Beim Murgang am Piz Cengalo wurde ein Dorf verschüttet. Der Berg kommt, weil infolge der Klimaerwärmung der Permafrost auftaut und den Fels nicht mehr zusammenhält. Es fahren heute zwar weniger Lastwagen über die Alpen und es gab Verbesserungen bei den Schadstoffemissionen und beim Lärmschutz. Doch punkto CO2-Reduktion ist bei den Lastwagen seit 30 Jahren nichts gegangen. Alpenschutz ist Klimaschutz und Klimaschutz ist Alpenschutz. Wir müssen die Alpen und das Klima schützen, sonst werden die Alpen schon bald nicht mehr bewohnbar sein. Die Alpen-Initiative unterstützt deshalb auch die Gletscherinitiative, die diesen Frühling lanciert wird und die wie sie selbst aus einer Bürgerbewegung hervorgeht.
Während der alpenquerende Transitverkehr auf der Strasse dank der Alpen-Initiative zurückging, nimmt der Transportverkehr allgemein stark zu. Wie kann hier ein Umdenken herbeigeführt werden?
Der Gütertransport auf der Strasse nimmt zu, weil generell viel mehr transportiert wird: Stichwort «Zalandoisierung». Der Grund dafür sind unser Konsumverhalten und die globalisierte Wirtschaft. Die Alpen-Initiative setzt sich dafür ein, dass unnötige Transporte vermieden werden. Wir verleihen alljährlich den Schmähpreis «Teufelsstein», mit dem wir die schlimmsten Auswüchse des Transportwahnsinns anprangern, sowie das positive Pendant, den «Bergkristall». Mit den beiden Transportpreisen wollen wir die Bevölkerung sensibilisieren, möglichst lokale Produkte zu kaufen.
Was muss die Schweiz noch alles tun, bis sich der Verein zurücklehnen kann?
Wenn die Schweiz das Verlagerungsziel erreicht und eine Klimapolitik eingeführt hat, die im Inland den CO2-Ausstoss des Verkehrs auf Null reduziert, dann können wir uns beruhigt zurücklehnen. Wir kämpfen weiter, bis die Alpen unseren Schutz nicht mehr brauchen und der Klimawandel gestoppt ist!
So gelangen wir ans Ziel !
Vermeiden: Die Alpen-Initiative setzt sich dafür ein, unnötige Gütertransporte zu vermeiden, das Transportwachstum zu bremsen und die Transportintensität von Gütern zu reduzieren. Sie will einen weiteren Ausbau von Transitstrassen im Alpengebiet verhindern.
Verlagern: Die Alpen-Initiative will den Güterverkehr auf die Schiene verlagern. Das im Güterverkehrsverlagerungsgesetz definierte Verlagerungsziel von 650’000 alpenquerenden Lastwagen pro Jahr betrachten wir als Minimalziel, das so bald wie möglich erreicht werden muss.
Verträglicher gestalten: Der Güterverkehr auf der Strasse und der Schiene soll möglichst umweltverträglich gestaltet werden. Wir begrüssen technische Entwicklungen im Schwerverkehr, wenn sie die Umweltwirkung minimieren, nicht aber, wenn sie die Verkehrsmenge erhöhen.