Nichts ist für den Menschen so lebenswichtig wie Luft. Eine Minute kann man den Atem anhalten. Vielleicht etwas länger. Aber dann brauchen wir wieder Luft. Mit jedem Atemzug nehmen wir nicht nur Sauerstoff auf, sondern auch die Schadstoffe, die mitschweben.
mh. Steil geht der Weg von Attinghausen, Kanton Uri, hinauf Richtung Brüsti. Von dort führt die Route über den Surenenpass weiter Richtung Engelberg OW. Es geht im Zickzack den Hang hinauf. Der Blick auf die Reussebene öffnet sich, immer imposanter wird das Alpenpanorama. Die Berge zeigen sich unbeeindruckt, auch wenn die Menschen seit gut hundert Jahren andauernd Löcher hineinbohren.
Unterhalb vom Brüsti, einer kleinen Terrasse, röhrt der Verkehr der Autobahn. Die Alpenluft scheint frisch. Trotzdem gelangen mit jedem Atemzug tausende von Partikeln in die Lunge. Feinstaub von Lastwagen, Autos, Heizungen – selbst von Zügen. Auch krebserregenden Russ atmen wir ein. Je feiner die Partikel, desto tiefer dringen sie in die Lungen. Sie lagern sich in den Lungenbläschen und in den Bronchien ab. Das Atmen wird anstrengender, denn der Weg aufs Brüsti ist steil.
Der Bund muss handeln
Im Artikel 74 der Schweizer Verfassung heisst es, dass der Bund Vorschriften zum Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen Einwirkungen erlassen muss. Das Umweltgesetz bestimmt, dass der Bund alles dafür tun muss, um die Luftverschmutzung einzudämmen. Selbst wenn die Verschmutzung die Grenzwerte nicht überschreitet, kann das die Gesundheit der Menschen schädigen.
Die Alpenluft hat einen guten Ruf. Sie ist frisch und sauber und vielleicht sogar heilend. Sie riecht nach Arvenholz, Heu, Alpenblumen – und manchmal nach Kuhfladen. Tourismusorte wie zum Beispiel Chamonix in Frankreich machen mit ihrer guten Luft Werbung. Die Realität aber ist oft eine andere. So hat Chamonix – an der Transitachse des Mont Blanc gelegen – im Winter oft schlechtere Luft als die Grossstadt Paris. Dieser Umstand sorgte in Frankreich für Schlagzeilen und Spott für die Werber aus Chamonix.
Die Topographie der Alpen sorgt für spezielle Bedingungen. Die mit Feinstaub, Russ und Schwefel verschmutzte Luft bleibt in den engen Alpentälern oft länger sitzen. Die Schadstoffe konzentrieren sich über dem Talboden – dort, wo die meisten Menschen leben. Die Ursache liegt in einer so genannten Inversionslage, welche vor allem im Winter und bei Nacht vorkommt und bei der ein Kaltluftsee unter einem Deckel warmer Luft gefangen bleibt.
Mehr Dreck am Berg
Fachleute gehen davon aus, dass ein Lastwagen in den Alpen bis zu sechs Mal schlimmere Folgen hat als im Flachland. In den letzten Jahrzehnten wurden enorme Anstrengungen gemacht, um die Dreckschleudern der Achtzigerjahre einigermassen umweltverträglich zu machen. Die EU hat mit den Euro-Klassen alle paar Jahre schärfere Grenzwerte verfügt. So führt heute jeder neuere Lastwagen hinter dem Motor eine riesige «Waschanlage» mit. Sie filtert Feinstäube, Stickoxide und andere Schadstoffe aus den Abgasen. Doch diese Anlagen brauchen so viel Energie, dass ein neuer Lastwagen immer noch gleich viel Diesel verbrennt wie ein Modell vor 20 Jahren. Er stösst deshalb auch immer noch gleich viel klimaschädigendes CO2 aus wie damals.
Trotz der technologischen Neuerungen stossen die Lastwagen und die immer zahlreicher werdenden Lieferwagen in den Alpen weiterhin über die Hälfte des Stickstoffs und des Feinstaubs aus, obwohl sie nur einen Bruchteil des Gesamtverkehrs ausmachen.
Inzwischen gibt es die Lastwagen der so genannten Euro-VI-Kategorie. Neue, noch strengere Emissionsklassen wird es nicht mehr geben. In Bezug auf Schadstoffe werden sich die Lastwagen also nicht weiter verbessern. Und Elektromotoren scheinen auf den langen Strecken, auf welchen die Transitlastwagen unterwegs sind, bis auf weiteres keine Option zu sein. Was tun? Die Schweiz ist in der Verkehrspolitik, anders als in anderen Bereichen, dem Rest der Welt oft einen Schritt voraus. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts haben wir in Elektromobilität investiert, als das Schienennetz elektrifiziert wurde!
Die Schiene – die Zukunft
Der Weg zu Fuss hoch zum Brüsti dauert bei guter Kondition etwas mehr als eine Stunde. Von dort oben sieht man nicht nur die Autobahn mit den Lastwagen, sondern auch das Nordportal des Gotthard-Basistunnels. In wenigen Wochen wird das Jahrhundertwerk vollständig in Betrieb gehen. Das heisst auch: Ab Dezember müsste kein einziger Transitlastwagen mehr am Gotthard von 450 auf 1100 Meter über Meer hinaufkeuchen. Würden die Güter auf dem Zug durch den Basistunnel transportiert, dann würden auch kein CO2, Feinstaub oder Stickstoff ausgestossen.
Es ist das Ziel der Schweizer Verkehrspolitik, dass auf langen Strecken die Güter auf der Bahn transportiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hat das Stimmvolk die Alpeninitiative angenommen sowie die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und die NEAT mit den Basistunnels beschlossen. Diese Massnahmen allein reichen noch nicht, um das gesetzlich festgeschriebene Verlagerungsziel von maximal 650’000 alpenquerenden Lastwagen pro Jahr zu erreichen. Es braucht weitere Lenkungsinstrumente wie CO2-Limiten für Lastwagen und viel Überzeugungsarbeit. Die Alpen-Initiative arbeitet weiter daran, diese visionäre Idee des Schweizer Volks umzusetzen!