17. Februar 2009

Der Alpen-Initiative würde Alt-Bundesrat Adolf Ogi heute wahrscheinlich zustimmen. Als Verkehrsminister war er vor 15 Jahren strikte dagegen. Ein Gespräch.

Foto: IMAGOpress
Adolf Ogi: Heute fast ein Fan der Alpen-Initiative.

tob. Der Basistunnel am Lötschberg ist eröffnet, bei jenem am Gotthard schreiten die Arbeiten zügig voran. Haben Sie nie gefürchtet, das Projekt könnte noch scheitern?
Bei solchen Grossprojekten gibt es immer Risiken. Die beiden Tunnels sind nicht einfach zwei Löcher, sondern zwei High-Tech-Werke mit geologischen Unwägbarkeiten. Bis heute hat es gut funktioniert – touch wood. Der Erfolg des Basistunnels am Lötschberg ist enorm, ich bin stolz, dass es so gut vorwärts ging. Bei den Finanzen mussten wir die Bedingungen immer wieder anpassen. Da muss ich Alt-Bundesrat Otto Stich ein Kränzchen winden, er hat uns gezwungen, genau nachzudenken. Die Basistunnels durch die Alpen können wirtschaftlich betrieben werden, wenn die gesamteuropäischen Strassentransport- und die Bahngüterpreise um zehn Prozent angehoben werden.

Die Basistunnels bieten eine gute Ausgangslage für eine konsequente Verlagerungspolitik, nicht wahr?
Frankreich und Italien reden bis heute nur vom Basistunnel am Mont Cenis. Österreich und Italien sind auch erst am Verhandeln über den Brenner-Basistunnel. Wir haben bereits den Lötschberg und in zehn Jahren zusätzlich den Gotthard.

Sie haben die Alpen-Initiative 1994 heftig bekämpft.
1980 wurde der Strassentunnel am Gotthard eröffnet. Er wirkte wie ein Magnet, das muss man ganz klar sagen. Die ausländischen Transporteure und die EU verlangten die Zulassung der 40-Tonnen-Lastwagen. Das war 1987. 1988 kam ich ins Amt als Verkehrsminister. Ich habe sofort gesagt: Das Verkehrsdossier ist Chefsache. Ich setzte vier Prioritäten. Drei davon sind ganz im Sinn der Alpen-Initiative. Erstens: Bahn und Bus 2000 fertig stellen. Zweitens: Neat erstellen und Huckepack-Angebot ausbauen. Drittens: Verkehr in den Agglomerationen verbessern. Viertens: Nationalstrassennetz vollenden. Dann kam 1994 die Alpen-Initiative. Die Sensibilität für die Umwelt war hoch.

Neat und Alpen-Initiative haben doch immer gut zusammengepasst…
… ich musste 1994 die Alpen-Initiative ablehnen, weil es der Bundesrat als Kollegium so beschlossen hatte. Dann kam diese Arena-Sendung am Fernsehen, in der ich nicht so gut war. Ich habe damals den Urnern auch etwas vorgeworfen, was ich heute nicht mehr tun würde und nicht wiederholen will. Vielleicht aber habe ich die Zustimmung zur Alpen-Initiative ausgelöst mit meinem Prinzip «Chum und lueg». Die Leute im Inland und Ausland hatten Anschauungsunterricht und konnten besser verstehen, dass am Gotthard kein Strassenausbau möglich ist.

Der Bundesrat hat seit Dezember 2008 die Kompetenz, mit dem Ausland eine Alpentransitbörse auszuhandeln. Was halten Sie davon?
Ich mische mich nicht in die heutige Politik ein. Aber ich finde grundsätzlich alles gut, was hilft, den Verkehr auf die Schiene zu bringen. Was weiter als 300 Kilometer transportiert wird, gehört ohnehin auf die Bahn. Die Alpentransitbörse ist ein guter Ansatz. Die Bahn muss aber leistungsfähiger und schneller werden: Just in time ist die Losung. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht.

Hatte es Sie als Bergler und Verkehrsminister nicht gewurmt, dass Sie sich 1994 nicht über das Ja zur Alpen-Initiative freuen durften?
Ich war ein loyaler Bundesrat und habe die Meinung der Landesregierung vertreten. Vielleicht habe ich manchmal etwas zu hart den Infight gesucht. Damals war auch das Interesse, dass die Autobahn im Wallis weiter gebaut wird, riesig. Gleichzeitig standen wir nach dem Nein zum EWR unter einem gewaltigen Druck der EU. Ich bin der Sohn eines Försters, eines Bergführers, ich hatte durchaus die Sensibilität für die Alpen und die Natur. Schliesslich bin ich Patronatspräsident des Unesco-Weltnaturerbes Jungfrau–Aletsch–Bietschhorn–Blüemlisalp.

Nach der Annahme der Alpen-Initiative hat es sich gezeigt, dass es einen eigenständigen schweizerischen Weg in der Verkehrspolitik gibt – zum Beispiel mit der LSVA.
Durchaus, nur braucht das alles viel Zeit. Wir waren die verkehrspolitischen Vorreiter in Europa. Heute ist das vielleicht nicht mehr so und der Verein Alpen-Initiative ist relativ ruhig geworden. Das ist nicht als Kritik zu verstehen. Ich nehme einfach an, man ist ziemlich zufrieden.

So ist es nicht. Wir warten seit 1994 auf die Umsetzung des Volksauftrags. Jetzt hat das Parlament die Frist für das Ziel «maximal 650’000 alpenquernende Lastwagenfahrten durch die Alpen» auf 2019 hinausgeschoben.
Man hat nicht ganz erreicht, was die Alpen-Initiative vorgeschlagen und das Volk angenommen hat, das stimmt. Die Alpen-Initiative hatte damals einen sehr geschickten Abstimmungskampf geführt, einen sehr emotionalen auch. Heute ist die Alpen-Initiative etwas harmlos geworden.

Harmlos geworden? Bundesrat und Parlament setzen nicht um, was das Volk beschlossen hat. Stört Sie das nicht?
Wenn das Volk etwas annimmt, so ist das zu akzeptieren. Ich finde nicht in Ordnung, dass das Verlagerungsziel immer wieder hinausgeschoben wird. Vielleicht sollte sich die Alpen-Initiative wieder mehr Gehör verschaffen. Ich muss aber hinzufügen: Wer ist 1992 gegen die Neat aufgetreten? Der Autojournalist Böhni, die Grünen und die Urner! Das gehört auch zur Geschichte. Wo wären wir heute, wenn wir die Neat nicht hätten? Leider muss ich sagen, dass ich glaube, dass wir heute politisch keine Neat mehr durchbringen könnten.

Der Alpenschutzartikel in der Verfassung verbietet den Bau einer zweiten Autobahnröhre durch den Gotthard. Heute steht die Forderung erneut im Raum, diese Transitachse auszubauen. Ist das nötig?
Der Bundesrat ist gegen eine zweite Röhre. Wenn ich von den Staus höre, mache ich mir aber schon Gedanken. Die Frage ist, wie wir das lösen. Mit der Neat, ja oder nein? Sehen Sie, der Autoverlad am Lötschberg ist nach der Eröffnung des Basistunnels um 4,6 Prozent zurückgegangen. Das ist ein positives Zeichen, auch wenn die BLS klagt. Wir haben weniger Autoverkehr im Kandertal, das ist gut. Das zeigt, die Bahn kann die Strasse entlasten, wenn man es geschickt macht.

Wenn Sie heute – nicht als Alt-Bundesrat, sondern einfach als Adolf Ogi – über die Alpen-Initiative abstimmen müssten, würden Sie dann Ja sagen?
Die Zeit im Bundesrat hat mich geprägt. Ich stimme noch heute selten anders ab als der Bundesrat. Ich weiss, wie sehr er um gute Entscheide ringt. Ich habe gesehen, wie mein Vater Lawinenverbauungen auf 2200 Meter über Meer erstellt, wie er Wildbäche verbaut hat. Ich habe eine enge Beziehung zu den Bergen. Ich weiss nicht, wie ich heute abstimmen würde.

Sie wissen es nicht? – Das glaube ich Ihnen nicht.
Es könnte sehr gut sein, dass ich heute Ja stimmen würde. Ich habe mich immer für den Verkehr auf der Schiene eingesetzt. Und ich nehme für mich in Anspruch, die Neat durch alle Hindernisse hindurchgeboxt zu haben.

1994: Gegner Ogi in der Kampagne der Alpen-Initiative…
Plakat: Archiv Alpen-Initiative