Interview mit Professorin Nicole Probst-Hensch
tob. Die Luft werde immer sauberer, heisst es. Doch gleichzeitig geraten die Feinstäube in den Fokus. Warum?
Wir erkennen heute genauer, wie schädlich diese Feinstäube eigentlich sind. Zudem sehen wir bei der Luftbelastung keine Werte, von denen wir sagen könnten, ab hier sind die Feinstäube unbedenklich. Die grosse Studie der EU mit dem Titel «Escape» hat gezeigt, dass sich der Feinstaub PM2.5 gesundheitlich negativ auswirkt, selbst wenn die Belastung unter dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation WHO liegt. Zudem gibt es heute viele Hinweise, dass Feinstaub die Krankheit Diabetes auslöst, respektive verschlimmern kann. Neueste Studien gehen überdies der Frage nach, ob die extrem feinen Schmutzpartikel übers Blut oder Nerven sogar ins Gehirn gelangen. Sie begünstigen vielleicht sogar Demenz.
Die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene, in der Sie Mitglied sind, hat vor zwei Jahren Grenzwerte für Feinstaub PM2.5 gefordert. Was ist seither auf politischer Ebene geschehen?
Es gibt in der Tat in der Schweiz noch keinen Grenzwert für PM2.5. Zurzeit liegt das Geschäft bei Umweltministerin Doris Leuthard. Ich gehe davon aus, dass wir noch Ende 2016 oder Anfang 2017 eine Antwort erhalten und das Departement einen Vorschlag macht. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Belastung mit Feinstaub noch weiter senken können, ohne dass sich das auf die Wirtschaft negativ auswirkt.
Man spricht von noch kleineren Partikeln, den PM1. Wo liegt hier das Problem?
Es ist eine Tatsache: Je kleiner die Feinstaubpartikel sind, desto tiefer dringen sie in die Lungen ein und sogar ins Blut. Das kann zu Entzündungen führen, und die Schadstoffe können, wie erwähnt, bis ins Hirn gelangen. Wir verstehen die Zusammenhänge noch nicht im Detail, deshalb ist es noch ein weiter Weg bis zu einer Regulierung. Wir hoffen aber, dass mit der Reduktion des Ausstosses von schwarzem Russ auf 25 Prozent des heutigen Werts auch der Anteil der ultrafeinen Schadstoffe zurückgeht.
Die Luftzirkulation in den Alpentälern ist vor allem im Winter oft eingeschränkt, insbesondere bei so genannten Inversionslagen. Wie wirkt sich das auf die Menschen dort aus?
Überall, wo die Luft nicht frei zirkulieren kann, sei das in einem Alpental oder in einer grossen Stadt mit vielen hohen Häusern, kann die Luftbelastung bei bestimmten Wetterlagen höher sein. Das wirkt sich entsprechend negativ auf die Gesundheit der Menschen aus.
Ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder, die nahe an grossen Verkehrsachsen wohnen, mehr Asthma oder andere Atemwegserkrankungen haben?
Sicher ist, dass Kinder, Betagte und chronisch Kranke empfindlicher auf Schadstoffe in der Luft reagieren. Kurzfristig erhöhte Belastungen – etwa bei Inversionslagen in einem Alpental – lassen bei Kindern ganz klar das Risiko für Asthmasymptome ansteigen. Auch werden bei kurzfristig erhöhter Luftschadstoffbelastung umso mehr Menschen wegen Herz- Kreislauf-Problemen und Herzinfarkten in die Spitäler eingeliefert. Wie es sich auf die Gesundheit von Kindern auswirkt, wenn sie dauernd erhöhter Belastung mit Feinstaub ausgesetzt sind, ist noch nicht restlos erforscht. Aber es gibt Hinweise, dass Feinstaub auch bei der Entstehung von chronischem Asthma eine Rolle spielt.
Russ gilt als stark krebserregend. Welchen Anteil an Russ in der Luft verursacht der Verkehr?
Man kann generell sagen, dass der Verkehr einen Hauptanteil an der Verschmutzung der Luft mit Russ hat, insbesondere die Dieselfahrzeuge und Lastwagen. Aber Russ stossen beispielsweise auch Baumaschinen aus.
Lärm breitet sich in Alpentälern wie in einem Amphitheater aus. Wie wirkt sich das aus?
Auch hier gilt: Lärm gibt es nicht nur in den Alpentälern, sondern auch im Flachland oder an vielen Arbeitsplätzen. Und überall wirkt sich Lärm negativ auf die Gesundheit aus. Studien belegen, dass Lärm gleich wie schadstoffbelastete Luft Herz-Kreislauf-Probleme auslöst und zu Herzinfarkten führen kann.
Macht es aus Sicht einer Wissenschaftlerin, die sich direkt mit den Langzeitauswirkungen der Luftverschmutzung beschäftigt, wirklich Sinn, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern?
Das macht ganz sicher Sinn. Nicht nur, weil die Lebensqualität vergrössert und die schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit minimiert werden können, sondern auch aus Gründen der Sicherheit. Wichtig wird aber sein, dass bei den Zügen weiter an der Reduktion des Lärms gearbeitet wird, zum Bespiel durch geräuscharme Räder. Der neue Gotthard-Tunnel hat einen grossen Vorteil bezüglich Lärm: Auf 57 Kilometern bietet der Berg vollständig Schutz.
Nicole Probst-Hensch
ist Professorin am Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Basel. Das Swiss THP ist weltweit anerkannt als Institution in Lehre, Forschung und Dienstleistungen im Bereich der internationalen Gesundheit. Nicole Probst-Hensch leitet zudem die gross angelegte Schweizer Studie SAPALDIA, die den Einfluss der Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems bei Erwachsenen untersucht.