20. Februar 2012

Der Luzerner Ständerat Konrad Graber steht hinter den Forderungen der Alpen-Initiative. Er wünscht sich weitere Schritte bei der Verlagerung.

Herr Graber, Sie stehen für die Verlagerung der Güter auf die Schiene und die Einführung der Alpentransitbörse ein. Sie sind zudem gegen eine zweite Strassenröhre am Gotthard. Warum das?

Die Ergebnisse beim Alpenschutzartikel, alle Bahnabstimmungen, die Avanti-Abstimmung und zuletzt der Urnengang in Uri haben klar gezeigt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung die Verlagerung auf die Schiene will und eine zweite Strassenröhre am Gotthard ablehnt. Dabei spielt die Sorge um die eigene Sicherheit mit. Lastwagen sind ja nicht nur in Tunnels gefährlich, sondern auch auf offener Strecke. Es ist auch eine Frage der Vernunft, ob Sattelschlepper durch ganz Europa fahren sollen, wenn es eine intelligentere Art des Transports auf der Schiene gibt.

Wäre es nicht eine grossartige Aufgabe für Verkehrsministerin Doris Leuthard, die Verlagerung nach Jahren der Verzögerung endlich durchzusetzen?
Ich würde es sehr begrüssen, wenn die Schweiz im Bereich der Verlagerung weitere Schritte tun könnte – unabhängig davon, wer dem Verkehrsdepartement vorsteht. Absolut positiv für mich ist, dass der Bundesrat am Verlagerungsziel festhält. Hier kann die Schweiz an ihre Grundsätze der Umweltfreundlichkeit, der Swissness, des Tourismuslandes, der klugen Verkehrskonzepte anknüpfen. Es lohnt sich für
die Schweiz, beim Verkehr ein besonderes Engagement zu zeigen.

Die Alpentransitbörse ist anerkanntermassen ein taugliches Mittel für die Verlagerung. Verstehen Sie, warum nicht mit Hochdruck über deren Einführung verhandelt wird?
Möglicherweise versteht man im Ausland noch sehr Unterschiedliches unter dem Begriff. Ich persönlich begreife die Opposition nicht wirklich, denn die Alpentransitbörse ist ein effizientes und vor allem auch ein marktwirtschaftliches Instrument. Zudem müssten die EU-Alpenländer im Grunde die gleichen Interessen haben wie wir: weniger Transitverkehr.

Die Alpenregionen in Frankreich, Italien und Österreich sind durchaus für die Alpentransitbörse zu haben.
Vielleicht ist Chamonix zu weit weg von Paris, Bozen zu weit weg von Rom und das Tirol zu weit weg von Wien. In der Schweiz funktioniert die Politik anders, direkter.

Der Bundesrat hat seit 1994 den Auftrag, die Alpen vor dem Transitverkehr zu schützen. Das Ziel ist noch immer nicht erreicht. Kommen da bei Ihnen als Politiker und Bürger nicht Zweifel an der Demokratie auf?
Immerhin haben die Massnahmen, die bis heute ergriffen wurden, die Zahl der alpenquerenden Lastwagen stabilisieren können. Sonst hätten wir heute zusätzlich 600’000 alpenquerende Fahrten – das wäre eine absolute Katastrophe. Es ist aber in der Tat unschön, dass die Schweiz nur eine Stabilisierung beim Lastwagentransit erreicht hat und keine Reduktion.

Halten Sie es für vertretbar, ohne eine erneute Volksabstimmung eine zweite Strassenröhre am Gotthard zu bauen?
Nein, das wäre unredlich – ob man nun argumentiert, dass beide Röhren nur einspurig befahren werden oder ob die erste Röhre nach dem Bau der zweiten stillgelegt wird. Wenn das Parlament eine zweite Röhre beschliessen würde, ohne das Volk zu befragen, dann hätte ich ein ernsthaftes Problem mit dessen Politikverständnis. Zudem: Hätten wir zwei Röhren, würde der Druck auf die Schweiz enorm gross werden, sie auch voll zu nutzen.

Das Tessin fürchtet, bei einer Sanierung des Gotthardtunnels von der Deutschschweiz abgehängt zu werden…
… da wird etwas übertrieben. Mit dem Gotthard-Basistunnel wird das Tessin so gut erschlossen sein wie nie zuvor in seiner Geschichte. Die Neat wird auch volkswirtschaftliche Vorteile bringen fürs Tessin, es gibt nicht nur die Nachteile der Sanierung des Strassentunnels.

Ist die Sanierung nicht gerade eine Chance, die Güter auf die Bahn zu bringen?
Das sehe ich auch so, daran müssen wir arbeiten. Die Befürworter einer zweiten Röhre aber versuchen, ihre Forderung via Hintertürchen durchzubringen. Doch sie müssen umdenken – gleich wie bei der Atomenergie umgedacht werden musste. Der Gütertransitverkehr gehört auf die Schiene. Die Schweiz muss auch alles unternehmen, um die Neat rentabel zu betreiben. Ich hoffe, Doris Leuthard hat die Kraft, die Verlagerungspolitik ernsthaft voranzutreiben. Das hätte der Bundesrat schon vor 10 Jahren konsequenter angehen müssen.

Was raten Sie der Alpen-Initiative?
Ich wünsche mir, dass sie weiterhin eine offene Politik betreibt und wie bis anhin kreative und konstruktive Vorschläge einbringt. Es wäre ein Riesenfehler gewesen, wenn sich die Alpen-Initiative nach dem Erfolg von 1994 einfach zurückgelehnt hätte. (tob)

Konrad Graber
Konrad Graber, 54, ist verheiratet und lebt in Kriens bei Luzern. Der diplomierte Wirtschaftsprüfer und Betriebsökonom ist Partner und Verwaltungsrat der Firma BDO AG. Er präsidiert unter anderem die Verwaltungsräte der Emmi-Gruppe und der Verkehrsbetriebe Luzern.