12. Januar 2004

Echo Nr. 75
Auf der Strasse liefern sich Spediteure und Fuhrhalter einen unerbittlichen Preiskampf. Dabei schrecken sie auch vor illegalen Methoden nicht zurück. Ausgetragen wird dieser Kampf nicht zuletzt auf dem Buckel der Berufschauffeure. Die folgenden Tagebuchausschnitte geben einen Einblick in den alles andere als lustigen Arbeitsalltag eines Fernfahrers.

Der LKW ist für Alba (Italien) vorgeladen. Die Ladung, sechs Rollen Papier, ist mit einem Eintreffertermin versehen. Das bedeutet für mich, dass schon diese erste Tour nur mit Tricks zu fahren ist. Ich fahre eine Stunde zu früh weg, denn das Wochenendfahrverbot endet erst um 22.00 Uhr. Das riskiere ich aber gerne, da in Österreich ausser auf der Innkreisautobahn bzw. am Grenzübergang Suben um diese Zeit kaum mehr kontrolliert wird. (…) Bin seit fast 24 Stunden unterwegs, und langsam reicht es mir für heute. Ich kann nicht einmal mehr ordentlich schreiben. Der Parkplatz ist ein Schotterplatz für ca. 10 bis 15 Autos und befindet sich 300 Meter von der Firmeneinfahrt entfernt. (…) Dieser Parkplatz teilt sich mit vielen Firmenplätzen die Eigenschaft, dass es keine WC-Anlagen gibt. Das bedeutet, die Notdurft findet neben oder unter dem LKW statt. Bilanz: 23 1/2 h Einsatz (davon 4 h Schlaf), 15 1/4 h reine Fahrtzeit.

Ein kleiner Stau an der Mautstelle in Piacenza mit Polizeikontrollen. Genau so läuft das auch in Frankreich. Die Polizei nutzt die Ausbuchtungen an den Mautstellen, um LKWs und PKWs zu kontrollieren. Mich erwischt es nicht. (…) 13.00 Uhr, 45 Minuten Pause. Vielleicht gibt es auf dieser Raststation ein warmes Brot. Brot kostet 5000 Lire. So, noch ein Stück Melone, und dann geht es wieder weiter. Gebe zwei Schnitten der Melone an einen slowakischen Fernfahrer mit seinem Sohn ab. Diese armen Schweine können sich im Westen nichts leisten. (…) Ich treffe einen Kühltautlinerfahrer (Anm. d. Red: Sattelaufleger mit Kühlaggregat und isolierter Blache), der mit dem gestrigen Fahrer gemeinsam in Ancona geladen hat. Dieser erzählt mir von seinem langen Trip. Dabei ist es unmöglich, die Pausen einzuhalten. Diese verrückten Typen sind wirklich immer mit einem Fuss im Gefängnis.(…) Solche Leute machen alles, und die, die es nicht machen, werden unter Druck gesetzt. (…) Bei diesem Gespräch erfahre ich auch, dass der zweite Kollege vor einigen Wochen im Tirol 500.– ÖS bezahlt hat – für 11 Stunden Fahrzeit. Die hemmungslosen Zeiten, so scheint es, sind auch in Österreich vorbei. Zumindest muss man sich auch hier langsam darauf einstellen, mit den konventionellen Tricks zu arbeiten. Um 19.10 Uhr gibt es auf der Autobahn in Richtung Villach eine gross angelegte Verkehrskontrolle. Alle Fahrzeuge werden auf einen Parkplatz umgeleitet. Mich erwischt es nicht, auch wenn ich sauber bin. 20.15 Uhr stelle ich am Packsattel ab, meine Fahrzeit ist zu Ende. (…) Bilanz: 14 1/2 h Einsatzzeit, 10 1/2 h Fahrzeit.

(…) Auch für diese Fuhre ist ein Entladetermin angegeben. In Laakirchen ist dieser immer mit nächstem Tag datiert. Oft geht das aber mit korrekter Fahrweise nicht. Man ist gezwungen zu tricksen. (…) Bei der Auffahrt einer Raststation kommt es zu einer gefährlichen Situation. Ich muss stark abbremsen, um einen Unfall zu verhindern. Diese kurzen Auffahrten in Italien bergen grosse Gefahren in sich. Ein paar Stunden später fährt vor meinen Augen ein italienischer PKW-Fahrer in eine Baustelle und räumt alle Baustellenhüte um. Er hat die Ruhe weg, bleibt nicht einmal stehen. (…) Obwohl meine Fahrzeit zu Ende ist, fahre ich noch zur ersten Ladestelle, um morgen in guter Position zu liegen. In Deutschland würde ich das nicht machen, aber in Italien nimmt man es nicht so genau mit der Fahrzeit. Um 20.20 Uhr stehe ich vor dem Tor der ersten Firma in einem Industriegebiet nördlich von Mailand und bin mit meinen Kräften am Ende. (…) Bilanz: 15 h Einsatzzeit, 12 h Fahrzeit.

(…) Um 8.00 Uhr muss ich unbedingt auf die Toilette; es gibt aber keine, ausser der freien Natur. Das ist eine Sache, an die man sich als Fernfahrer gewöhnen muss. Wer hier zu viel Scheu an den Tag legt, ist nichts für diese Arbeit. (…) Ich will nach Hause – ich bleibe sicher nicht in Arnoldstein übers Wochenende stehen. Um 11.00 Uhr gehe ich in mein verdientes Wochenende. (…) Bilanz 28 h Einsatzzeit (davon 3 h geschlafen), 16 h Fahrzeit.

Andreas Reisinger

Schwarzbuch Strasse

bo. Das Tagebuch von Andreas Reisinger spricht viele für diese Berufssparte typische Bereiche an: Manipulation der Tachoscheiben und die damit verbundenen extrem langen Arbeitstage, das Verstauen der Ladung und deren Sicherung als zusätzliche Belastung, Ferienfahrverbote und die damit verbundenen Probleme der Fahrer, mangelnde Hygiene auf den Abstellplätzen für LKWs, Belastungen während des Fahrens, Übermüdung und die gefürchteten Polizeikontrollen. Der Auszug ist ein gekürzter Nachdruck aus dem soeben erschienenen «Schwarzbuch Strasse». Mit verschiedenen Artikeln und Beiträgen informiert dieses Sachbuch über Realität und Mythos im Transportwesen, über verpasste Chancen, Zukunftsaussichten und die Möglichkeiten der Konsumenten, die Transportlawine zu bremsen.
LKWs fahren billiger, weil sie Gesetze brechen

Fuhrhalter sparen 11 bis 17 Prozent der Kosten, wenn sie sich nicht ans Gesetz halten – und sie tun es regelmässig. Die Strasse ist billiger als die Schiene, weil LKWs überladen, zu schnell und die Fahrer zu lang unterwegs sind. Deshalb verlangt die deutsche «Allianz pro Schiene» höhere Bussen!

chm. «Zurzeit lohnt es sich für LKW-Unternehmer, gegen die Gesetze zu verstossen», entrüstet sich Norbert Hansen, Vorsitzender der Allianz pro Schiene und fordert: «höhere Bussen für fairen Wettbewerb und mehr Sicherheit!» Die Allianz belegt, dass Fuhrhalter mit illegalen Methoden pro Kilometer fast 10 Rappen sparen – die Hälfte der Maut. Für einen Auftrag von 10’000 Tonnen im Jahr macht das 100’000 Franken aus. Kein Wunder, hat die Bahn-Cargo mit ihren strengen Sicherheitsvorschriften und korrekten Löhnen nichts zu melden!

Es gibt nur wenig Berufszweige, in denen so systematisch Gesetze gebrochen werden wie im Strassentransport: Übermüdete, schlecht ausgebildete Fahrer sitzen viel länger als erlaubt am Steuer und fahren zu schnell. Die LKWs sind oft überladen und in schlechtem Zustand: kaputte Bremsen, abgefahrene Pneus, schlecht befestigte Ladung. Gut 1000 solche brandgefährlichen Lastwagen durchqueren täglich unsere Alpen, mehrere Tausend rasen als rollende Zeitbomben durchs Mittelland. Die traurigen Folgen: LKWs verursachen doppelt so häufig Unfälle wie Personenwagen. In Deutschland stirbt jeder fünfte Verkehrstote wegen Lastwagen. Jeder fünfte kontrollierte LKW wird beanstandet, an manchen Kontrollstellen gar die Hälfte.

Rechtsbruch lohnt sich

Warum verletzen Fuhrhalter Sicherheits- und Sozialvorschriften so unverblümt? Das Institut Prognos antwortet: Weil es rentiert! Es untersuchte im Auftrag von «Pro Schiene» auf verschiedenen Routen, wie und wie häufig Gesetze gebrochen werden, und fand Erschreckendes: Die kontrollierten LKWs überschritten die Vorschriften meist um 10 bis 20 Prozent. Praktisch alle fuhren zu schnell, sonntags zu früh los, fast ein Drittel war im Transit viel zu lange unterwegs, und 7 Prozent hatten übernutzte Bremsen.

Die Auftraggeber, so Prognos, können damit 11 bis 17 Prozent der Fahrkosten sparen, nachgewiesen wurden 5 bis 8 Prozent:

Überladen, bei schweren Gütern: spart bis zu 9 % der Kosten
zu schnell fahren: bis zu 7 %
Lenk- und Ruhezeit überschreiten: 6 %.
illegale Beschäftigung: 10 bis 50 %!
Dieser grösste Kostenvorteil ist auch der gefährlichste: immer mehr osteuropäische Billigfahrer werden illegal angeheuert, schlecht bezahlt und mit enormen Lenkzeiten auf die Strasse geschickt.

Prognos folgert, im hart umkämpften Transportmarkt seien illegale Einsparungen «in vielen Fällen wettbewerbsentscheidend». Wo die Strassenlobby mit gezinkten Karten spielt, hat die Schiene das Nachsehen. Die Experten empfehlen deshalb als erstes und wichtigstes Ziel: das geltende Recht durchsetzen. Neben mehr Kontrollen sei es vor allem wichtig, die Bussen so weit zu erhöhen, dass sich Verstösse nicht mehr lohnen. Davon ist man heute – nicht nur in Deutschland – meilenweit entfernt.