Die Verkehrskommission des Nationalrats will am Gotthard ein zweites Strassenloch. Dabei hat sie komplett vergessen, dass die Gütertransporte durch die Alpen gemäss Verfassung auf die Schiene gehören.
tob. Die Strasse ausbauen und gleichzeitig weniger Lastwagen versprechen – das geht nicht auf. Doch genauso handelt eine Mehrheit der Verkehrskommission des Nationalrats. Sie will wie Bundesrat und Ständerat eine zweite Strassenröhre am Gotthard. Wenn der Nationalrat im September seiner Kommission folgt, ergreift die Alpen-Initiative zusammen mit rund 30 Organisationen das Referendum. So wird das Volk ein weiteres Mal über eine zweite Gotthardröhre befinden müssen.
Der Entscheid der Nationalratskommission widerspricht dem Alpenschutz und einem haushälterischen Umgang mit Steuergeldern. Dabei hat die heftige Diskussion um eine Tunnelgebühr am Gotthard gezeigt, dass die Finanzierung einer zweiten Röhre prekär ist – eine zweite Röhre würde drei Milliarden Franken mehr kosten als der temporäre Bahnverlad für Autos und Lastwagen. Diese Milliarden fehlen dann unter anderem für dringende Verkehrsvorhaben in den Agglomerationen.
Eine zweite Röhre am Gotthard torpediert auch die Verlagerung der Gütertransporte von der Strasse auf die Schiene. «Es ist mir unverständlich, wie Bundesrat und Parlament so krass am Volkswillen vorbei politisieren können», sagte Jon Pult, Präsident der Alpen-Initiative, gegenüber den Medien. Es zeigt sich immer klarer, wie im Bundeshaus der Alpenschutz ausgehebelt werden soll: mit dem faktischen Ausbau der Strassenkapazität am Gotthard und dem Verwässern des Verlagerungsziels.
Diese Strategie führt zu einer zusätzlichen Belastung der Berggebiete und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, ja die gesamte Nord-Süd-Achse würde unter dem zusätzlichen Schwerverkehr leiden, die Unfallgefahr nähme auf der ganzen Strecke zu und die Autobahnen rund um die Städte wären noch überlasteter.
Bürgerliche Neins
Offener Widerstand gegen die zweite Röhre kommt unterdessen auch von den vier Kantonen Genf, Waadt, Neuenburg und Basel-Stadt. Sie haben in einem gemeinsamen Brief kundgetan, dass ihnen die Garantien fehlen, dass für dringende Projekte in ihren Regionen genug Geld vorhanden ist. Mit Doris Leuthards leeren Versprechen lassen sie sich offenbar nicht mehr abspeisen. Unterzeichnet wurde der Brief von den für Infrastruktur, Verkehr und Umwelt zuständigen Regierungsräten. Zwei gehören der SP an, einer der FDP/Die Liberalen, einer der CVP.
Unterdessen haben auch 32 Tessiner Ärztinnen und Ärzte einen eindringlichen Appell nach Bern geschickt. Sie wehren sich gegen die zweite Strassenröhre am Gotthard, weil schon heute die Luft im südlichen Kantonsteil überdurchschnittlich stark verschmutzt ist. Im Brief heisst es: «Der Feinstaub, welchen die Bevölkerung einatmet, verursacht häufige und tiefgreifende Krankheiten. Die medizinische Literatur ist hier beeindruckend: Feinstäube bewirken eine eindeutige und markante Zunahme von Asthmakrisen, Kinder-Bronchitis, chronischer Bronchitis, Lungenkrebs, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und Hirnschlägen. Ausserdem vermutet man, dass die Feinstäube auch verspätetes intrauterines Wachstum und senile Demenz begünstigen.»
Die Ärztinnen und Ärzte zweifeln auch sehr am bundesrätlichen Versprechen: «Beim besten Willen können wir nicht glauben, dass man eine zweite Gotthardröhre ‹ohne Kapazitätserweiterung› realisieren kann. Eher früher als später wird man… diese teure Infrastruktur vollständig ausnutzen.» Mit fatalen langfristigen Folgen für Mensch und Umwelt.