14. Mai 2002

Dr.-Ing. U.J. Kurze, Schalltechnisches Beratungsbüro Müller-BBM, Planegg bei München
Verkehrslärm gehört zu den stärksten Umweltbelastungen. Die Zunahme des Strassenverkehrs führt trotz strengerer Grenzwerte für einzelne Fahrzeuge immer noch zum Anstieg des Lärms von Fernstrassen. Die Wirkung geplanter Massnahmen zur Lärmminderung an Eisenbahnen lässt noch auf sich warten. Besonders betroffen sind die Anwohner der alpenquerenden Güterverkehrswege. Sie können nicht wie im Flachland durch grössere Abstände oder einfache Lärmschutzwände entlastet werden. Vielmehr führen regelmässige Inversionswetterlagen und weitreichende Sichtverbindungen zu besonders grosser Störwirkung der Schallemissionen. Lärmschutzwände lohnen sich fast nur an Strassen in Hanglage und dicht an Bahnstrecken.

Warum der Verkehr in Alpentälern mehr Lärm bringt als in der Ebene Platzmangel in Tälern Für weiträumige Abstände zwischen den Verkehrswegen und der Besiedlung fehlt in Alpentälern der Platz. Ausreichender Abstand als einfachste Massnahme des Lärmschutzes steht nicht zur Verfügung. Grundsätzlich ist es schalltechnisch richtig, Verkehrswege möglichst zu bündeln. Dadurch werden Lärmminderungsmassnahmen einfacher, und grossflächig werden weniger Menschen vom Lärm betroffen. Im Alpengebiet gibt es aber kaum die grossen Flächen, über denen eine natürliche Ausbreitungsdämpfung auftritt. Die Wohnhäuser liegen relativ dicht an den Verkehrswegen oder es besteht Sichtverbindung zu diesen. Verhältnisse wie in der Grossstadt Bei den Ausbreitungsbedingungen für Verkehrslärm besteht, abgesehen von der Inversion, Ähnlichkeit zwischen Alpentälern und Strassenschluchten einer Grossstadt. Von einem Berghang kann man wie von einem Hochhaus ein langes Stück des Verkehrswegs einsehen, wobei die empfangene Schallenergie etwa dem Sichtwinkelbereich proportional ist. Mit grossem finanziellen Aufwand werden in städtischen Bereichen Überbauungen von Verkehrswegen vorgenommen, um damit eine Vielzahl von Anwohnern zu schützen. Ähnliche Lösungen scheiden leider in der Regel für Verkehrswege in den Alpen aus, weil die Wohndichte zu klein ist und mit den grösseren Abständen zwischen Verkehrsweg und Anwohner auch die erforderlichen Längen der Überbauung zu gross wären. Wie im Amphitheater An Berghängen ist mit dem Auftreten von Reflexionen und Streuungen zu rechnen. Auch damit ist die Alpenregion empfindlicher gegen Lärm als das Flachland. Bebauung zwischen einem Verkehrsweg und lärmempfindlicher Nachbarschaft führt grundsätzlich zu einer Zusatzdämpfung durch Abschirmung. Sie reduziert sich allerdings durch Schallwege, die über Reflexionen und Streuungen an dem Hindernis vorbei zum Immissionsort führen. Sie reduziert sich weiterhin, wenn der Direktschall sich nicht geradlinig ausbreitet, sondern in der Atmosphäre gebrochen wird, wie es insbesondere bei Mitwind und Inversionen geschieht.Im Lärm-Kessel gefangen Von grosser Bedeutung ist für Alpentäler der Fall einer Inversionswetterlage. Wenn Sonne den Bereich höherer Luftschichten erwärmt, aber wegen der Abschattung durch die Berge nicht bis ins Tal scheint, kann Schall aus einem grossen Winkelbereich die Grenze zwischen kühler und erwärmter Luft nicht überwinden. Unterhalb der Grenze kommt es in einigem Abstand von den Linienschallquellen des Verkehrs zu keiner geometrischen Abnahme des Schallpegels mehr. Rechnerisch tritt durch Inversion eine Erhöhung des Schallpegels um bis zu 3 dB je Abstandsverdopplung auf und verringert dadurch die normale Ausbreitungsdämpfung. Das Windprofil, das die Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der Höhe über Grund angibt, wird durch die Reibung der Luft am Boden bestimmt und bewirkt in Gegenwindrichtung eine Schallschattenbildung, d.h. eine sehr starke Dämpfung. In Mitwindrichtung stellt sich eine solche Schattenbildung nicht ein. In Bergregionen treten Vorzugsrichtungen für den Wind auf, so dass sich Bereiche mit höherer und niedrigerer Zusatzdämpfung ausbilden. Planerisch kann dies nur selten berücksichtigt werden, obwohl in Regelwerken zur Immissionsprognose grundsätzlich darauf hingewiesen wird. Schallschutzwände bringen weniger Weniger kostenintensive Schallschutzmassnahmen, wie sie mit Lärmschutzwänden zum Standard gehören, sind im Alpengebiet wegen des Geländeprofils und der häufigen Inversionen im Mittel nicht so wirksam wie im Flachland. Die Errichtung von Lärmschutzwänden an Strassen und Schienenwegen gehört seit vielen Jahren zu den sichtbaren und aufwändigen Massnahmen für den Umweltschutz. Wird die Sichtverbindung von der Geräuschquelle zum Immissionsort und damit die geradlinige Schallausbreitung durch eine Wand unterbrochen, ist jedoch nur im Nahbereich eine hohe Ausbreitungsdämpfung von etwa 10 dB bis 20 dB gesichert. Je weiter entfernt sich Geräuschquelle und Immissionsort von der Wand befinden, desto stärker kann sich die Krümmung von Schallstrahlen auswirken, die bei Mitwind und Inversion auftritt. Die notwendige Beugung des Schalls, mit der die Ausbreitungsdämpfung hinter der Wand verbunden ist, wird verringert und kann schliesslich ganz verschwinden. Die Hauptstrassen des Alpentransits besitzen vier bis sechs Fahrstreifen und noch Randstreifen, jenseits derer eine Lärmschutzwand in der Regel erst angeordnet werden kann. Die Abstände zwischen den Fahrstreifen einer Strasse und der Wand sind dann gross gegenüber den Abständen, die nach den Anforderungen an das Lichtraumprofil bei Eisenbahnen einzuhalten sind. Rollgeräusche vom Schienenverkehr lassen sich deshalb mit Lärmschutzwänden wesentlich besser mindern als die vom Strassenverkehr. Lautere Motoren am Berg An den Steigungs- und Gefällstrecken der Alpentransitstrassen fahren Last- und Personenwagen in niedrigen Gängen, was zu mehr Motorenlärm führt als in der Ebene. Der Lärm kommt… …von der Strasse… Der Strassengüterverkehr durch die Alpen nimmt seit Jahrzehnten stetig zu. Die Herabsetzung von Grenzwerten der zulässigen Schallemission durch EG-Richtlinien um 8 dB für Lastwagen hätte eine Zunahme des Lärms mehr als kompensieren sollen. Der Anteil der schweren Lkw und die zulässigen Achslasten haben sich jedoch erhöht, so dass die Geräuschemission insgesamt unverändert blieb. Die Geräuschentwicklung über die vergangenen 20 Jahre sieht für Pkw ungünstiger aus als für Lkw. Die stärkere Nutzung von Dieselantrieben und Breitreifen hebt die erreichten Verbesserungen durch den 5. Gang, wirksamere Schalldämpfer und Motorkapselungen im Geschwindigkeitsbereich um 100 km/h etwa auf. …und der Schiene Die im Alpengebiet für den internationalen Fernverkehr eingesetzten Personenzüge sind fast vollkommen mit Scheibenbremsen ausgerüstet und deshalb um etwa 10 dB leiser als die regelmässig noch mit Grauguss-Klotzbremsen versehenen Schnellzüge und Güterzüge. Beim Bremsen lagert sich Bremswerkstoff an den Radlaufflächen ab und führt zu Rauigkeiten. Diese ergeben beim Rollen eine Schwingungsanregung der Räder und im Frequenzbereich oberhalb von 1 kHz, in dem das menschliche Ohr besonders empfindlich ist, eine intensive Geräuschabstrahlung. Im Gegensatz zum Strassenverkehr hat der Schienenverkehr in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich zugenommen. Er ist wegen der unveränderten Bremssysteme an Güterwagen aber bis 1999 auch nicht leiser geworden. Den Lärm in den Griff bekommen In der Alpenregion bieten sich auch Möglichkeiten zur Lärmminderung. Dazu zählen die Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene und die Nacht- und Wochenendfahrverbote für Lkw. Laufende Entwicklungsarbeiten an offenporigen Fahrbahnen zur Optimierung von Griffigkeit, Drainage, Winterfestigkeit, Unterdrückung der Rollgeräusche und Absorption der Antriebsgeräusche sind für das Alpengebiet von grösster Bedeutung. Zum Schutz gegen Schienenverkehrslärm sollen für Güterwagen neue Bremssysteme international eingeführt werden. Ergänzend ist in der Schweiz ein hoher Einsatz von Lärmschutzwänden und Schallschutzfenstern eingeplant.