21. Februar 2011

Maria Hilber lebt seit 40 Jahren direkt unter der Brenner-Autobahn. Jeden Tag fahren 50 Meter über ihrem Hausdachs rund 6000 Lastwagen über die Gschnitztalbrücke in Steinach am Brenner. Ihren Kindern, Enkel- und Urenkelkindern zuliebe kämpft sie seit Jahren für eine Verringerung des Transitverkehrs.

ta. Maria Hilber, 6-fache Mutter und 18-fache Gross- und Urgrossmutter, 79 Jahre alt, kann sich bestens erinnern, wie in den 1960er-Jahren die Autobahn am Brenner gebaut wurde. Als letztes Teilstück planten die Verantwortlichen die Strecke von Matrei zum Brennerpass. Als sie damals mit ihrer Familie ein Grundstück in Steinach am Eingang zum Gschnitztal kaufte, war der Verlauf der Brennerautobahn noch weiter oben am Berg vorgesehen. Als es plötzlich hiess, die Autobahn werde mit einer 674 Meter langen Brücke direkt über ihrem Grundstück erstellt, war der Bau des Hauses bereits im Gang. Der damalige Landeshauptmann Eduard Wallnöfer sagte zu ihr: «Verkehr ist Leben und irgendjemand muss halt die Nachteile haben. Dafür kommen andere schneller zu ihrem Viertele» – mit dem Viertele war der Viertelliter Wein ennet des Brenners im Südtirol gemeint!
Maria Hilber hatte nach Eröffnung der Autobahn zahllose schlaflose Nächte, ihre Kinder nickten in der Schule aus Müdigkeit ein und während Renovationsarbeiten an der Brücke musste die Familie ab und zu ins Hotel flüchten. Auch Haus und Garten litten. Als Maria Hilber auf schlecht gedeihenden Mais unterhalb der Brücke aufmerksam machte und die Experten auch ihren Garten prüften, war der Schock gross: Die Grenzwerte wurden um ein Vielfaches überschritten (zum Beispiel viel zu viel Blei im Trockengras). Auch das im Winter gestreute Salz landet früher oder später als schwarze Brühe in ihrem Garten und an der Hausfassade. Mehrere Versuche, das Haus zu verkaufen, scheiterten.

Gemeinsamer Widerstand
Insbesondere die so genannten Widerlager, die den Übergang zwischen der Brücke und dem Hang puffern, verursachten oft einen unerträglichen Lärm. Die Anwohner schlossen sich zu einer Interessengruppe zusammen und versuchten, sich zu wehren. Bis die entsprechenden Arbeiten erfolgten, vergingen Jahre. Der Kampfgeist jedoch war geweckt. 1985 erfolgte die offizielle Gründung der Organisation «Lebenswertes Wipptal», der Maria Hilber lange vorstand. Vor drei Jahren nahm ihre Tochter das Zepter in die Hand. Mit Hartnäckigkeit und Vernetzungsarbeit in ganz Europa engagiert sich der kleine Verein seit einem Vierteljahrhundert für einen umweltgerechteren Güterverkehr. Trotz vieler Niederlagen konnte er auch mehrere bedeutsame Erfolge erringen: Nachfahrverbote, erhöhte Mauten für alte LKWs.

In den 1960er-Jahren wurde der Autobahnbau noch von vielen Anwohnern begrüsst. Kolonnen quälten sich auf der Bundesstrasse durch die Dörfer zum Brenner hinauf, man erhoffte sich eine Entlastung und wieder höhere Umsätze in den Restaurants. Innert Jahren waren aber sowohl die Autobahn gefüllt als auch die Bundesstrasse mit zusätzlichem Verkehr belegt. Mit dem Ausbau der Autobahn von 4 auf 6 Spuren wurden nochmals falsche Hoffnungen geweckt. Der Verkehr hat sich für einige Jahre an anderen Stellen gestaut, um dann auch auf der 6-spurigen Autobahn wieder zu stocken. Im Jahre 2010 fuhren fast 1,7 Mio. LKW über den Brenner (2008: 2 Millionen), dazu kommen jährlich fast 10 Millionen Personenwagen.

Warnung vor Strassenbau
Auf die europäische Verkehrspolitik hofft Maria Hilber nicht mehr. «Die EU ist zu stark von den Interessen der Transportindustrie geprägt. Sie hat kein Interesse, von der Strasse abzurücken, das wäre ein zu unbequemer Schritt.» Den Schweizerinnen und Schweizern, insbesondere jenen an den Transitachsen, rät sie unmissverständlich: «Seid nicht so blöd und baut die Autobahnen so aus, wie wir es getan haben. Sobald die Schleusen geöffnet werden, fliesst dort der Verkehr, das haben wir leider hautnah erfahren müssen.»