Der Alpenschutzartikel wird auch 30 Jahre nach dem Volks-Ja noch immer nicht erfüllt. Im Gegenteil: die Anzahl der alpenquerenden Lastwagenfahrten nimmt zu. Dies geht aus dem heute veröffentlichten Verlagerungsbericht 2023 hervor. Dennoch unternimmt der Bundesrat viel zu wenig, um das Verlagerungsziel zu erreichen und das Klima zu schonen. Die vom Bundesrat vorgeschlagene überfällige Anpassung der LSVA an die Teuerung und die Umschichtung von Fördermittel für den alpenquerenden Schienengüterverkehr werden bei weitem nicht reichen.
Die Alpen-Initiative und die Schweizer Bevölkerung warten seit dem offiziellen Verpassen des Verlagerungsziels im Jahr 2018 auf eine Verlagerungsoffensive. Das Gegenteil geschieht: Die Zahlen der Verlagerung stagnieren seit Jahren. Seit 2021 steigt die Zahl der Lastwagenfahrten durch die Alpen sogar wieder. 2022 betrug die Fahrtenzahl 927’000, dies entspricht einem Anstieg um +7.5% im Beobachtungszeitraum 2020-2022. Damit wird die eindrückliche Erfolgsgeschichte der Verlagerungspolitik in der Schweiz nicht weitergeschrieben. Erneut wurde im Jahr 2022 das im Gesetz festgehaltene Verlagerungsziel von 650’000 Lastwagenfahrten durch die Alpen überschritten, um satte 277’000.
Trotz dieser Entwicklung schlägt der Bundesrat nur halbherzige Massnahmen vor, die bei weitem nicht reichen. Als erste Massnahme will er neu zwar Verkehre über kurze Distanzen fördern, dafür aber keine zusätzlichen Mittel bereitstellen. Die notwendigen Mittel will er bei der bestehenden Förderung von Verkehren über lange Distanzen einsparen. Unter dem Strich wird die Verlagerung davon kaum profitieren. Auch seine zweite Massnahme überzeugt nicht: Er will die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) an die Teuerung anpassen, was grundsätzlich zu begrüssen ist. Statt die Anpassung vollumfänglich und rasch zu machen, erhöht er die LSVA nur um 5% und erst auf das Jahr 2025. Möglich wäre die Anpassung schon im Jahr 2024 und bis zu 10%, da die LSVA in den letzten 20 Jahren nur einmal an die Teuerung angepasst wurde, und das minimal.
Dabei würde mehr Schiene beim Güterverkehr auch dem Klima helfen. Mit der Annahme des Klimaschutzgesetzes am 18. Juni hat die Schweizer Stimmbevölkerung den Willen ausgedrückt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Für einen klimaneutralen Verkehr bis 2050 muss dem Schienengüterverkehr eine tragende Rolle zukommen. Er ist die klimafreundliche Alternative zum fossil-angetriebenen Strassengüterverkehr.
Schiene stösst elfmal weniger CO2 aus
Ein Lastwagen stösst für die Transportleistung einer Tonne Ladung über einen Kilometer 125g CO2-Äquivalente aus, der Transport per Güterzug nur 11g CO2-Äquivalente, das ist über elfmal weniger.
Diesen Umstand hat die Alpen-Initiative mit einer Aktion in Bern eindrücklich dargestellt. «Die Forderung, um in der Verlagerungspolitik vorwärtszukommen, ist klar: Zusätzlich zum geltenden Verlagerungsziel für den alpenquerenden Güterverkehr muss der Bund ein ambitioniertes, verbindliches schweizweites Güterverlagerungsziel einführen. Auch braucht es wirksame Massnahmen zur Förderung der Güterbahn», sagt Django Betschart, Geschäftsleiter der Alpen-Initiative. Denn mit den aktuellen Massnahmen und Strategien wird die Strasse weiter zulegen, da sie durch die gestiegenen Trassen- und Strompreise für die Güterbahn relativ noch billiger geworden ist im Vergleich mit der Schiene.
Gefahrguttransporte am Simplon werden nicht verboten
Nebst der stagnierenden Verlagerung geht es auch bei anderen wichtigen Geschäften nicht im Sinne der Umwelt vorwärts: Die Alpen-Initiative ist bestürzt darüber, dass sich der Bundesrat mit der Roadmap des Kanton Wallis und der dortigen Industrie für die Gefahrguttransporte am Simplon zufriedengibt. In einer von der Alpen-Initiative lancierten Petition forderten 2022 4’769 Menschen, dass am Simplon, wie auf allen anderen Schweizer Alpenpässen, Gefahrguttransporte verboten werden. Doch der Bundesrat lässt sich von der Industrie und dem Kanton Wallis ohne terminierte, messbare Ziele und Massnahmen zu einer effektiven Reduktion der Gefahrgut-Fahrten und dem damit verbundenen Risiko abspeisen und vertraut auf «Selbstverpflichtung». Seit Jahren zeigen weder die Industrie noch der Kanton Interesse daran, ihr Verhalten zu verbessern. Dies, obwohl mit dem Simplon-Tunnel eine verlässliche Alternative bereitstünde, um Gefahrgut auf der Schiene zu transportieren. Die Alpen-Initiative wird die Entwicklungen mit Argusaugen beobachten und den Druck auf den Bund hochhalten.
Stimmen zum Verlagerungsbericht:
«Die Forderung, um in der Verlagerungspolitik vorwärtszukommen, ist klar: Zusätzlich zum geltenden Verlagerungsziel für den alpenquerenden Güterverkehr muss der Bund ein ambitioniertes, verbindliches und schweizweites Güterverlagerungsziel einführen. Auch braucht es wirksame Massnahmen zur Förderung der Güterbahn».
Django Betschart, Geschäftsleiter der Alpen-Initiative
«Die Verlagerungspolitik ist eine Schweizer Erfolgsgeschichte, Hundertausende Lastwagen wurden auf die umwelt-, klima- und alpenfreundliche Güterbahn verlagert. Die Verlagerungspolitik der Schweiz wird von anderen Ländern, wie Österreich, als Vorbild angesehen und zentrale Elemente davon werden übernommen. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Noch fahren jährlich 277’000 Lastwagen zu viel durch die Alpen. Der Bund muss bei der Verlagerungspolitik wieder Schub geben, und nicht die bestehenden Verlagerungsinstrumente kürzen oder auslaufen lassen.»
Jon Pult, Nationalrat (GR) und Präsident der Alpen-Initiative
«11’000 mit gefährlichen Gütern beladene Lastwagen fahren jedes Jahr über den Simplonpass. Ein ein-ziger Unfall auf dieser Strasse, die bis auf 2’000 Meter hinaufführt, kann die Gesundheit der Anwohnen-den, die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden, das Grundwasser und die Fauna und Flora einer ganzen Region gefährden. Diese Situation ist umso stossender, da bereits eine Alternative zu den gefährlichen Transporten existiert: der Eisenbahntunnel, der Brig mit Iselle in Italien verbindet. Der Simplonpass stellt eine unverständliche Ausnahme dar, denn aus Sicherheitsgründen sind Gefahrguttransporte auf den anderen alpenquerenden Achsen am Grossen St. Bernhard VS, am Gotthard UR/TI und am San Bernar-dino GR/TI bereits verboten.»
Emmanuel Amoos, Nationalrat (VS) und Mitglied des Vorstands der Alpen-Initiative