Im landschaftlich wie auch verkehrstechnisch hochsensiblen Gebiet am Gotthard haben die zwei Architekten Steffen Riegas und Ingo Brinkmann* eine mögliche Lastwagen-Verladestation entworfen. In ihrem Gastbeitrag zeigen sie, wie sie diese Verladestation mit architektonischen Szenarien für Göschenen und Airolo kombinieren.
Der Turm und die Verladestation in Göschenen
Skizzen: Steffen Riegas und Ingo Brinkmann
Nach dem Alpenschutzartikel ist eine Erhöhung der Strassenkapazitäten durch die Alpen nicht zulässig. Um dieses Ziel auch während der notwendigen Sanierung des Gotthard-Strassentunnels nicht zu verletzen, gilt es bisher ungenutzte Ressourcen zu aktivieren. Voraussetzungen, um auf den Bau einer zweiten Strassenröhre zu verzichten, sind die Fertigstellung der NEAT sowie der Verlad des alpenquerenden Verkehrs am Gotthard auf die Schiene in Form einer Rola für LKW bzw. eines Autoverlads für Personenwagen. Dafür geeignete Grundstücke wurden auf der Nordseite in Göschenen sowie auf der Alpensüdseite in Airolo definiert. Mit einem LKW-Verlad würde das Sicherheitsproblem im Gotthard-Tunnel nachhaltig entschärft.
Transitzonen aufwerten
Eine LKW-Verladestation ist ein System mit Abhängigkeiten von einer Vielzahl logistischer Abläufe und zeitlichen Voraussetzungen beim Auf- und Abladen der Fahrzeuge. Durch die notwendige Grösse der Anlage mit einer Verladekapazität von 60 LKW/h für die RoLa ist auch ein Landbedarf von mehreren hundert Metern Länge Voraussetzung. Um Platz zu sparen, könnten beispielsweise die Lokomotiven in den Terminals mittels einer speziellen Konstruktion quer von Gleis zu Gleis verschoben werden.
Diese Parameter bilden einen starken Einschnitt in die Landschaft. Ebenso werden dadurch die Lebensverhältnisse der dort ansässigen Bevölkerung mit ihren gewachsenen Strukturen mitbestimmt. Vor mehr als 125 Jahren erlebten die Orte Göschenen und Airolo durch den Bau des Eisenbahntunnels schon einmal einen kurzfristigen demographischen Aufschwung, der aber mit der Inbetriebnahme des Tunnels wieder verebbte. Die Orte wurden zu Transitzonen. Diesem gilt es mit dem Bau der LKW-Verladestation entgegenzuwirken. Wie können die an den Verladezonen lebenden Menschen mit dieser neuen Umgebung interagieren? Wie kann ihre bisherige Umgebung neu gestaltet werden? Welche positiven wie auch vielleicht negativen Potenziale ergeben sich durch den Bau der Anlagen und durch den täglichen Verkehr von mehreren hundert LKW?
Neue Strukturen in Airolo
Airolo auf der Alpensüdseite ist stark geprägt von seiner parallel zur Leventina ausgerichteten Struktur. Der Ort wird von grossmassstäblichen Verkehrsströmen durchschnitten. In Richtung Norden ist der Ort durch den Gotthard in seiner Ausdehnung begrenzt. Durch den Bau der Verladeanlage ergibt sich für den Ort die Chance einer Neustrukturierung.
Die neue Anlage bindet sich in ihrer Ausrichtung an die bestehende Struktur an und integriert sich in die Landschaft, teilweise ober-, teilweise unterirdisch. Von der Autobahn unterhalb des Dorfes gelangen die Fahrzeuge direkt in den Verladeprozess, ohne aus dem Ort bewusst wahrgenommen zu werden. Durch die netzartige, an wichtigen Verladepunkten die Anlage umgebende Struktur, welche Assoziationen an Lawinennetze hervorruft, wird eine Akzentuierung gesetzt. Städtebaulich wirkt die Leitstelle des Terminals weithin als Eingangsmarkierung für den Verlad in den Eisenbahntunnel. Um die Lebensqualität für die Bewohner Airolos zu erhöhen, entsteht eine Fussgängerbrücke über den Terminal und die Autobahn bis zum Stausee, der mit seiner angehobenen Wasserfläche nun auch aus dem Ort erlebbar wird. Die Brücke, sowie ihr Zugang direkt aus dem Ortskern, schaffen bisher nicht vorhandene Wege auf die andere Talseite. Die Verladestation wird nicht zum störenden Fremdkörper, sondern Teil der sie umgebenden Landschaft.
Geeignetes Areal in Göschenen
Göschenen auf der Alpennordseite, am Ende des Reusstals, ist seit Jahrhunderten ein Knotenpunkt für den Verkehr. Zur Fahrt nach Andermatt muss auf die Schöllenenbahn umgestiegen werden, eine meterspurige Zahnradbahn. Diese Randlage führt in Göschenen zu schwierigen Lebensbedingungen. Der Bau der Verladestation bietet so einen Anreiz, die räumliche Qualität wieder besser zu gestalten.
Ein geeignetes Grundstück konnte auf der ehemaligen Abraumhalde des Gotthard-Eisenbahntunnels gefunden werden. Dieses umseitig vom Verkehr wie auch von der Reuss umgebene Areal bietet neben der Einfahrt in den Eisenbahntunnel auch die Möglichkeit, kommende Potenziale zu bedienen.
Durch die Umstrukturierungen in Andermatt zum Ferienresort durch den ägyptischen Investor Samih Sawiris erhält Göschenen eine weitere, sehr wichtige Funktion als Zugangstor. Die Bahnreisenden wechseln in Göschenen ihr Transportmittel. Den Autoreisenden wird die Möglichkeit gegeben, ihr Fahrzeug stehen zu lassen und ebenso mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiterzufahren.
Neben der Verladeanlage entstehen für den Ort Potenziale, die sich in Form von Übernachtungsmöglichkeiten, einem Casino und Konferenzbereichen in eine neue, gemeinsame, grossmassstäbliche Struktur integrieren lassen. Städtebaulich wirkt das mehrgeschossige Gebäude als Empfangsportal. Die Verladeanlage wird zum Knotenpunkt eines strukturellen Ganzen und verstärkt die momentane Ortsbildung. Für die Bewohner ergibt sich die Möglichkeit zu einem strukturellen Aufschwung.