Mehrere Lastwagen, die elektronisch gekoppelt sind und dicht hintereinander durch die Alpen fahren? Davon schwärmt die Lastwagenindustrie. Auch wenn sie es behauptet: Der Umwelt bringt dieses sogenannte Platooning nichts. Im Gegenteil.
tob. Es ist kein Witz. Ein deutscher Fachjournalist sieht schon einen neuen Beruf entstehen: «Speditionskaufmann mit Fahrerqualifikation ». Das sähe konkret so aus: Eine kaufmännisch ausgebildete Person sitzt im Lastwagen und erledigt Büroarbeiten, während sein Fahrzeug in einem Konvoi mit mehreren Lastwagen rollt. Gesteuert wird der Konvoi vom Chauffeur im vordersten Lastwagen. Miteinander verbunden sind die Lastwagen elektronisch.
Das nennt man in der Branche «Platooning » (englisch «platoon»: die Kolonne, der Zug). Man spricht auch von der elektronischen Deichsel, welche die Lastwagen verbindet. Selber steuern und Gas geben müsste der kaufmännische Chauffeur im hinteren Lastwagen nur, «wenn die Maschine überfordert ist», so der Fachjournalist.
Test am Gotthard?
Der Journalist hat vielleicht recht. Erstens werden in den USA, in Japan und z.B. in Deutschland bereits Tests mit «Platooning » durchgeführt. Zweitens sieht auch der Bundesrat die technischen Möglichkeiten. Im Verlagerungsbericht 2017 steht: «Sobald autonomes Fahren zugelassen bzw. umgesetzt ist, wird die Produktion mit selbstfahrenden Güterfahrzeugen auch im alpenquerenden Güterverkehr von grosser Relevanz sein.» Weiter: «Das Potenzial für den Einsatz selbstfahrender Güterfahrzeuge dürfte vor allem auf der Gotthard- Strassenachse bestehen.» Voilà.
Marina Carobbio Guscetti, unsere Vizepräsidentin und Nationalrätin aus dem Tessin, hat beim Bundesrat nachgefragt, nachdem sich auch SBB-Chef Andreas Meyer und das Bundesamt für Strassen positiv zu «Platooning» geäussert haben. In der Antwort schreibt der Bundesrat, dass er offen ist für «Pilotversuche für ein Truck-Platooning auf dem schweizerischen Nationalstrassennetz, welche es erlauben würden, die Vor- und Nachteile sowie die Auswirkungen auf die Sicherheit zu analysieren».
Mehr CO2 – nicht weniger
Angepriesen wird «Platooning» von der Strassenlobby unter anderem damit, dass der CO2-Ausstoss vermindert werden kann. Dies, weil die Fahrzeuge durch sehr nahes Aufschliessen den Windschatten des voranfahrenden Lastwagens nutzen können und so weniger Diesel verbrennen. Wie gross die Ersparnis ist, hängt von vielen Faktoren ab, etwa von der im Konvoi gefahrenen Distanz, dem Tempo, der Steigung usw. Die Schätzungen gehen weit auseinander, von 3 bis 20 Prozent ist die Rede. Die einen sagen, es sei eine wichtige Innovation für den Güterverkehr, andere sagen: «Platooning gibt es schon lange – die Güterzüge auf der Schiene.»
Aber was wollen die Strassentransportunternehmen mit «Platooning» wirklich erreichen? Wenn die Lastwagen weniger Diesel brauchen, werden die Strassentransporte noch billiger. Deshalb wagte der Winterthurer Verkehrsexperte Thomas Sauter-Servaes in der Zeitschrift «Beobachter » die Prognose, dass sich der Güterverkehr mit «Platooning» langfristig von der Schiene auf die Strasse verlagern wird! Das wiederum bedeutet letztlich, dass der einzelne Lastwagen vielleicht etwas weniger CO2 ausstossen würde, aufgrund der Zunahme der Lastwagenfahrten aber unter dem Strich noch mehr CO2 in die Atmosphäre gelangt und sie das Klima weiter aufheizen. Zudem wären die Strassen noch überlasteter und die Alpentäler würden noch stärker verlärmt.
Sicherheit gefährdet
Will die Schweiz den CO2-Ausstoss des Güterverkehrs tatsächlich reduzieren, so heisst die Lösung definitiv nicht «Platooning ». Viel effizienter ist es, die Güter auf die Schiene zu verlagern. Bei jedem Lastwagen, der nicht durch die Alpen fährt, können 100 Prozent Diesel eingespart werden. Zudem hat das Land Milliarden von Franken in die neuen Eisenbahntunnels durch die Alpen investiert. Hier liegt das Potenzial für umweltschonenden alpenquerenden Güterverkehr, nicht auf der Strasse!
Es kommt hinzu, dass auf den Transitachsen schon heute die Lastwagen oft dicht aufeinander folgen. Wenn sie dann einander noch dichter folgen, wie soll man dann mit dem Auto auf die Autobahnen aufund von ihnen hinunterfahren können? Was ist, wenn der erste Lastwagen eines Platoons in ein Stauende kracht samt der dahinter folgenden 40-Tonnen-Lastwagen? Aufgrund der hohen Dichte von Autobahnanschlüssen könne das Platooning in der Schweiz kaum sinnvoll umgesetzt werden, vermutet auch der Bundesrat in seiner Antwort auf den Vorstoss von Marina Carobbio. Testen will er es trotzdem. Für die Alpen-Initiative ist klar, dass «Platooning» nach den bis 60 Tonnen schweren Gigalinern einfach der nächste Versuch der Lastwagenlobby ist, um die Transportkosten weiter zu senken und Marktanteile zu gewinnen – dies auf Kosten der Umwelt und der Sicherheit auf den Strassen.
Neue Massnahmen erforderlich
Wer die Alpen vor dem Transitverkehr schützen will, kommt nicht darum herum, drei Strategien zu verfolgen: unnötige Transporte ganz vermeiden, die Transportmenge verringern, so viele Güter wie möglich auf die Schiene verlagern. Um das durch Verfassung und Gesetz vorgegebene Verlagerungsziel von jährlich maximal 650’000 alpenquerende Lastwagen zu erreichen, hat die Alpen-Initiative 10 Massnahmen vorgeschlagen, wovon drei in Zusammenhang mit CO2 und Klimaerwärmung besonders relevant sind:
Flottenziele für Lastwagen einführen (gesetzlich fixierter Grenzwert für den CO2- Ausstoss aller neu zugelassenen Fahrzeuge eines Herstellers).
LSVA mit einem neuen Element ergänzen, das sich nach dem CO2-Ausstoss der Lastwagen richtet.
Aktive Förderung und Anschubfinanzierung von Innovationen im Schienengüterverkehr durch den Bund.
Echo 149