Von Roland Schiesser, Verantwortlicher Transport und Logistik bei der UNIA
Ich möchte Ihnen mit einigen Beispielen aus der Praxis veranschaulichen wie es im Strassentransportgewerbe hinter den Kulissen aussieht und Ihnen auch erläutern, welche Forderungen die Unia stellt um die Arbeitsbedingungen der Angestellten dieses Gewerbes – und damit auch das Image des Transportgewerbes- zu verbessern.
1. Arbeitsbedingungen
Als die künftige Unia sich anschickte ihre Aktivität im Strassentransportgewerbe zu verstärken, stellte sie sich und ihre Ziele den wichtigen Personen dieser Branche in einem persönlichen Gespräch vor. Ua. waren Vasco Pedrina und ich bei Bruno Planzer, dem grössten privaten Strassentransportunternehmer der Schweiz. Dabei machte Planzer die für uns sehr erstaunliche Bemerkung: „Wissen sie meine Herren, in unserer Branche hat keiner eine weisse Weste. Die Flecken sind einfach nicht bei allen gleich gross.“
Ich möchte Ihnen an drei konkreten Beispielen erläutern was das in der Praxis heisst.
Beispiel 1 – Firma Planzer:
Eine monatliche Überstundenabrechnung gibt es für die FahrerInnen nicht. Fragt mal ein Mitarbeiter nach, bekommt er von der Kadern zur Antwort; Was sind das, Überstunden?
Im Arbeitsvertrag der ChauffeurInnen steht folgender Satz zum Thema Überstunden: Für allfällig geleistete Überstunden besteht kein Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Und im Anhang zum Arbeitsvertrag ist zu lesen: Mit den Ferien, die über dem gesetzlichen Minimum liegen, sind allfällige Überstunden und Nachtarbeitszuschläge abgegolten.
Profiteur dieser rechtlich nicht zulässigen Lösung ist selbstverständlich die Firma Planzer. Und wie sieht es aus für den Chauffeur? Er ist mit einer solchen Lösung weniger betrogen als wenn er in einer anderen Firma, die bezüglich Überstunden noch schlechtere Regelungen kennt, arbeiten würde.
Wenn man den Anhang zum Arbeitsvertrag weiter durchblättert sieht man, dass es einen 13. Monatslohn bei der Firma Planzer nicht gibt. Eigentlich beschämend für den Marktleader der Branche. Leider aber keine Ausnahme.
Nachzutragen ist, dass Bruno Planzer innerhalb des Arbeitgeberverbandes ASTAG eine wichtige Figur ist. Was man am Beispiel der Firma Planzer, und anderer Grossen der Branche, erkennt ist, dass die bekannten Firmen nicht unbedingt als gutes Vorbild dastehen und keine positiven Standards setzen. Dies ist z.B. im Bauhauptgewerbe anders. Dort sind die Branchenleader bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen eine echte Referenz.
Beispiel 2 – Imbach Logistik AG, Schachen:
Walter Imbach war jahrelang Mitglied des ASTAG Vorstandes in der Zentralschweiz.. Man erwartet, dass er als Vorstandsmitglied eines Arbeitgeberverbandes ein Vorbild sein sollte. Die Realität sieht etwas anders aus. Im Bereich Cargo Domizil beginnen seine Leute um 6 Uhr früh zu arbeiten. Sie stellen ihre Lastwagen an die Laderampen und beginnen zu laden. Wenn sie fertig sind holen sie im Büro die Papiere und erst dann stempeln sie ein! Auch den Fahrtenschreiber legen sie erst vor dem Verlassen des Betriebsgeländes ein. Am Abend funktioniert das ganze Spiel dann in umgekehrter Reihenfolge. So werden die Fahrer täglich um ca 2,5 bis 4 Stunden betrogen. Bei einer allfälligen Polizeikontrolle auf der Strasse sieht es dann so aus, als wäre alles in bester Ordnung. Doch letzte Woche führte die Polizei auf Aufforderung der Unia bei Imbach eine ARV-Kontrolle auf dem Betriebsgelände durch. Der Betrug flog dabei natürlich auf. Walter Imbach wies gegenüber der Neuen Luzerner Zeitung, aber auch gegen-über seinen Mitarbeitern, jede Schuld weit von sich. Es sei niemals ein solches gesetzeswidriges Handeln angeordnet worden. Die Fahrer seien somit selber schuld.
Die Empörung über diese billige Ausrede ist bei den Fahrern natürlich gross. Imbach will gegen die Unia Strafklage erheben.
Beispiel 3 – Bucher Transporte GmbH, Emmen:
Der Betriebsinhaber Hanspeter Bucher, SVP, sitzt seit 1999 im Grossen Rat des Kantons Luzern. Das Mitglied SVP, einer Partei die bekanntlich gerne nach Recht und Ordnung ruft, nimmt es aber in seinem Betrieb mit dem Recht nicht immer so genau. Im Jahr 2005 z.B. gab es Arbeitsverträge die eine Präsenzzeit für die Chauffeure von 60 Stunden vorsahen. Die Fahrer/innen berichteten der Unia, dass wöchentliche Arbeitszeiten von 60 bis 70 Stunden keine Seltenheit seien. Mehrfach wurden Fahrer wegen Verletzung der ARV und wegen überladen des Fahrzeugs angezeigt. Als die Unia bei der kantonalen ARV Kontrollstelle vorstellig wurde bekam sie zu hören: „Den müssen sie uns nicht melden. Diese Firma ist bei uns bestens bekannt.“
Diese drei Beispiele liessen sich beliebig verlängern. Sie stehen für drei Themenkreise mit denen wir immer wieder konfrontiert sind.
1. Die Arbeitszeit und die Verletzung der ARV: Die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 46 Stunden ist bereits hoch. Sie darf aber durch Überzeitarbeit um 5 Stunden überschritten werden und bei vorübergehenden, ausserordentlichen Betriebsbedürfnissen, sind je Woche weitere 5 Stunden Überzeit zulässig. In einem Kalenderjahr dürfen insgesamt jedoch höchstens 208 Stunden (was sehr viel ist) geleistet werden. In vielen Fällen wird die ARV verletzt. Die FahrerInnen arbeiten also länger als gesetzlich erlaubt ist. Zudem werden mehrheitlich in den Transportbetrieben die Überstunden nicht ausgewiesen. Es ist vor allem dieser letzte Punkt, der dann immer wieder zu Zoff führt.
2. Die Löhne: Die Löhne im Strassentransportgewerbe sind nicht hoch. Rechnet man die Monatslöhne dann noch auf die geleisteten Stunden um, dann sieht der Stundenlohn bedenklich tief aus. Angesichts der Verantwortung welche die ChauffeurInnen tragen, ist nicht einzusehen, warum qualifizierte ChauffeurInnen nicht gleich viel verdienen sollen wie z.B. ein qualifizierter Maurer.
3. Der Respekt gegenüber den Angestellten: Wer die Stunden nicht korrekt ausweist, wer die Löhne nicht einmal der Teuerung anpasst, wer die FahrerInnen ihre Bussen selber bezahlen lässt, der zeigt wenig Respekt vor den Leistungen seiner Angestellten. Diese Respektlosigkeit ist in den Gesprächen die wir mit FahrerInnen führen immer wieder ein Thema und oft jener Tropfen der das Fass zum überlaufen bringt. Die FahrerInnen wenden sich dann an die Unia um sich beraten zu lassen, um über Möglichkeiten Widerstand zu leisten zu diskutieren oder aber um einfach mal „Dampf abzulassen“.
Dass die Arbeitssituation im Strassentransportgewerbe zu oft schlecht ist und dass nicht vermehrt Widderstand geleistet wird, hat viele Gründe. Fahrer/innen sind alleine unterwegs was die Gruppensolidarität erschwert. „Lastwägeler“ haben ein schlechtes gesellschaftliches Image was den Schulterschluss zwischen Chef und Büezer erleichtert. Die Betriebe sind fast ausschliesslich Familienunternehmungen mit patriarchalischer Führungskultur und die Gewerkschaften im Strassentransportgewerbe sind nicht besonders stark und erst noch gespalten.
Was uns neuerdings zusätzliche Sorgen bereitet, sind die Meldungen über die Zunahme deutscher Fahrer, die bereit sind zu tiefen Löhnen angestellt zu werden. Erst kürzlich hatte ich einen Arbeitsvertrag eines deutschen Fahrers in der Hand der für einen Bruttomonatslohn von 3’700 Franken angestellt wurde. Und dies mal 12.
2. Forderungen der Unia
Die Unia will im Interesse der Angestellten des Transport- und Logistikgewerbes, aber auch im Interesse des Branchenimages, die heutige Arbeitsplatzsituation verbessern.
Darum setzen wir uns zum Beispiel für griffige Gesamtarbeitsverträge ein, die Allgemeinverbindlich erklärt werden, damit innerhalb der Branche ein Wettbewerb mit gleich langen Spiessen stattfindet.
Wir wollen flächendeckend Existenzsichernde Minimalllöhne. Dabei orientieren wir uns längerfristig an den Löhnen im Bauhauptgewerbe.
Wir wollen dass alle einen 13 Monatslohn bekommen.
Und wir kämpfen für wirksame paritätische Kontrollorgane die dafür sorgen, dass die Gesamtarbeitsverträge auch eingehalten werden.
Wir wollen nicht, dass die Transportbranche bei der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung immer am Schluss anzutreffen ist.
Einschub
Gesamtarbeitsverträge sind in der Strassentransportbranche vorhanden. Doch mit Ausnahme des Kantons Tessin sind sie ohne die Unia abgeschlossen worden. Der Arbeitgeberverband ASTAG hatte es vorgezogen die seit vielen Jahren existierenden lokalen Verträge, die zwischen ihren regionalen Sektionen und dem VHTL abgeschlossen wurden, auf Ende 2004 zu kündigen. Es war die Furcht vor der Unia, resp. vor der GBI, die sie zu diesem Schritt veranlasste. Offiziell wurde zwar argumentiert die Unia vertrete zuwenig FahrerInnen (was absurd ist, denn die Unia vertritt mehr FahrerInnen als der VHTL alleine) und man kenne die Unia nicht. Für den ASTAG Präsidenten, einem Ständerat aus dem Appenzellischen, sind Gewerkschaften eh des Teufels Werk, und die Unia Gründung daher ein willkommener Anlass die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft aufzukündigen. Der Druck der Unia im Transportgewerbe hat dann aber doch dazu geführt, dass die ASTAG die Routiers Suisses (LRS), eine Organisation die stolz darauf war keine Gewerkschaft zu sein, aufforderten mit ihnen Verträge abzuschliessen. Die LRS, ASTAG freundlich und teilweise eng mit den Arbeitgebern verbandelt, gehorchten brav. So existieren in verschiedenen Regionen der Schweiz regionale Gesamtarbeitsverträge, abgeschlossen zwischen ASTAG und LRS, die inhaltlich beinahe gleichlautend sind wie die alten Verträge. Doch wir sind von den Lohnverhandlungen und der Möglichkeit die Verträge auf dem Verhandlungsweg zu verbessern vorerst ausgeschlossen. Die Transportunternehmer, die es gewohnt sind zu befehlen, entsprechend gehen sie mit Arbeitgeberorganisationen um, haben mit den LRS ihren Wunschpartner gefunden. Doch die Unia werden sie damit nicht los, auch wenn Bruno Planzer extra einmal nach Bern reiste um Pedrina und mich aufzufordern, uns aus dem Transportgewerbe zurückzuziehen. Wir werden weiterhin unsere Vorstellungen bezüglich Minimallöhnen, Lohnerhöhungen und Gestaltung der Gesamtarbeitsverträge unter den Chauffeuren verbreiten. Da die Rechtslehre einen klaren Verhandlungsanspruch jedes repräsentativen Verbandes anerkennt, werden wir in den nächsten Wochen in der Zentralschweiz den Rechtsweg beschreiten um Vertragspartner zu werden.
Auf die politische Ausrichtung des Arbeitgeberverbandes gehe ich jetzt nicht ein. Wir werden aber ganz sicher in der folgenden Diskussion Gelegenheit finden, uns auch darüber zu unterhalten.
3. Die weiteren Anliegen der Unia
Die Unia unterstützt Bestrebungen, welche die Kontrolltätigkeit der zuständigen Organe und Behörden auf der Strasse und in den Betrieben nachhaltig stärken. Darum ist uns die Realisierung der geplanten Schwerverkehrskontrollzentren ein wichtiges Anliegen und wir halten das Tempo der Umsetzung für zu langsam.
Wie der vorgängig beschriebene Fall Imbach, aber auch das kürzlich in Zofingen gefällte Urteil gegen den Transportunternehmer und Nationalrat Giezendanner zeigt, muss in der Schweiz die Haftungsfrage in der ARV neu gelöst werden. Bei Verstössen gegen die Bestimmungen der ARV muss die Unternehmung haften und nicht wie dies heute der Fall ist, in erster Linie der Chauffeur. Die EU Verordnung Nr. 561/2006 vom 15. März 2006 nimmt das Verkehrsunternehmen in Pflicht. Es ist zu hoffen, dass dies in der Schweiz mit der weiteren Revision der ARV, die nächstens ansteht, ebenfalls so geregelt wird. Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass bei der Revision die wöchentliche Höchstarbeitszeit nicht erhöht wird. Leider geistert die Idee einer 48-Stunden-Woche herum. Heftige Meinungsverschiedenheiten sind also vorprogrammiert und wir hoffen auf zahlreiche Verbündete, die wir ganz sicher brauchen werden.
Sie sehen, uns geht die Arbeit noch lange nicht aus. Die oben genannten Punkte und einige die ich nachfolgend noch kurz anschneiden werde, haben wir in einem Thesenpapier festgehalten, welches in den nächsten Wochen mit unseren Mitgliedern diskutiert und aktualisiert wird.
*So sind wir überzeugt, dass ein Nebeneinander und Miteinander der der verschiedenen Verkehrsmittel welche Güter transportieren möglich ist. Diese Verkehrsmittel müssen aber sinnvoll eingesetzt werden. Wir sind überzeugt, dass auch bei einer gewissen Verlagerung auf die Bahn die Zahl der Arbeitsplätze im Strassengütertransport stabil bleibt
*Für den Gütertransport auf der Strasse, und dieser wird nicht verschwinden, muss eine Balance gefunden werden zwischen den Interessen der Beschäftigten, den Interessen der Kunden, den Interessen der AnwohnerInnen stark befahrener Strassen, dem Interesse an einer intakten Umwelt, den Interessen der KonsumentInnen und jener der Arbeitgeber.
*Und ganz wichtig und damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen; der Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln darf nicht auf dem Buckel der Beschäftigten ausgetragen werden.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Zofingen, 13.09.2006