Im Goms können die Menschen nicht ohne den Wald leben. Er schützt sie vor Steinschlag und Lawinen. Fredy Zuberbühler, Revierförster im «Forst Goms», hat Sorgen und kluge Strategien.
tob. Hier die Föhre mit der wundervoll gezeichneten Rinde, da die Fichte mit dem ganz geraden Stamm. Daneben eine Lärche, deren Holz so gut dem Wetter widersteht. Etwas weiter die Esche, die zähe Birke und die Saalweide, die ihre «Kätzlein» in den Frühling schickt. Es ist eine Freude, mit Fredy Zuberbühler durch die Schutzwälder im Goms zu steigen. Er pflegt sie seit über 30 Jahren – und fragt sich, wie es weitergehen wird, wenn die Temperaturen noch schneller ansteigen.
Prognosen sind eingetroffen
Der Klimawandel sei unter Förstern ein ständiges Thema, sagt Fredy Zuberbühler. In einem Punkt seien sich alle einig: Die nächsten Jahre werden sehr herausfordernd. «Es ist erschreckend zu sehen, dass die Vorhersagen der Wissenschaftler genau eingetroffen sind», sagt er. Das heisst: Die Wetterlagen sind extremer geworden, es bleibt häufiger lange trocken, und wenn es regnet, dann intensiver. Zudem werden die Stürme immer heftiger.
«Gegen Extremniederschläge und Trockenheit können wir nichts ausrichten, weder hier in den Bergen noch im Mittelland», sagt Fredy Zuberbühler. Er ist bei «Forst Goms» verantwortlich für den Bereich Ökologie. Man könne einzig darauf achten, dass der Wald gut gepflegt werde, gesund sei und eine hohe Artenvielfalt aufweise.
Im kantonalen Bericht «Wald und Klimawandel im Wallis» heisst es: «Durch die häufiger auftretenden Sturmereignisse und die zunehmende Ausbreitung der Schadstoffe werden zukünftig mehr Bäume absterben.» Die Folge: Es liegt mehr Totholz herum und die Wälder brennen noch leichter. Besonders bedroht sind dabei die Walliser Südhänge, die bereits heute extrem trocken sind.
Preisgekrönte Arbeit
Geprägt wird das Goms durch die Rhone, die vom Rhonegletscher aus ihren Weg ins Mittelmeer sucht. Der grosse Gletscher hat sich in den letzten Jahren rasant zurückgezogen und macht den Klimawandel augenfällig. Dass sich die Baumgrenze inzwischen in die Höhe verschoben hat, ist weniger offensichtlich. Fredy Zuberbühler hat schon Haselsträucher auf 1850 Metern über Meer gesehen, was absolut aussergewöhnlich ist. «Heute treffen wir auch junge Lärchen und Fichten auf 2500 bis 2600 Metern an – über 300 Meter höher als damals, als ich hier als Förster begann.» Er kam aus dem Appenzellischen ins Wallis, ist 56, verheiratet und Vater eines Sohnes.
Als er noch im Appenzell arbeitete, erzählt er, sei es im Wald ums Geldverdienen gegangen. 148 Franken habe man im Schnitt für einen Kubik Holz erhalten, heute seien es noch 70 bis 80 Franken. Da könne der Erlös des Holzverkaufs nur noch einen kleinen Teil der Kosten für die Waldpflege decken. «Wir haben einen Aufwand von rund 1 Million pro Jahr, erwirtschaften können wir mit dem Holz vielleicht 300’000 Franken.»
Vor fünf Jahren erhielt «Forst Goms» den renommierten Waldpreis der Sophie und Karl Binding-Stiftung für die vorbildliche Schutzwaldpflege. Unter anderem hatten es die Förster im Goms gewagt, im Schutzwald gezielt alte Bäume zu schlagen, um den Wald zu verjüngen – ein Eingriff, den die Einheimischen nicht selten mit Angst und Skepsis beobachteten. Auch haben Fredy Zuberbühler und seine Kolleginnen und Kollegen versucht, totes Holz liegen zu lassen, um die natürliche Verjüngung zu fördern. Eine enge Zusammenarbeit mit den Jägern im Goms trug ebenfalls dazu bei, dass die Arbeit im Schutzwald als beispielhaft gilt.
800 Jahre alte Lärchen
Wenn man mit Fredy Zuberbühler unterwegs ist, spürt man seine Liebe zu den Bäumen und zum Wald. Er hebt nebenher Abfall auf, weiss den Kot von Hirschen zu deuten, spricht über das Kommunizieren der Bäume untereinander und von der heilenden Kraft des Harzes. «Der Mensch überschätzt sich oft und rühmt sich für das, was er hervorbringt. Aber im Vergleich mit der Natur ist das nichts.»
Fredy Zuberbühler verfolgt mit «Forst Goms» eine umsichtige Strategie. Jüngst wollte er einen Baum schlagen. Als ihn der Kollege darauf hinwies, dass an dieser Stelle oft Wild liege, liess er den Baum stehen. «Wir tragen auch grosse Sorge zu alten Bäumen, denn sie sind wichtig für den Organismus Wald», sagt er. Einzelne Fichten sind bis zu 600 Jahre alt, einzelne Lärchen sogar 800. «Weil Holz heute generell wenig einbringt, können wir es uns erlauben, teure Bäume stehen zu lassen», sagt Fredy Zuberbühler. Und man merkt ihm, dem Naturmenschen, richtig an, wie er sich darüber auch freut.
Überwucherte Hänge
Zwischendurch wird der freundliche Zuberbühler ungehalten. «Wir haben 50 Jahre aufs Auto und den Camion gesetzt statt auf die Bahn, und wir heizen immer noch zu viel mit Öl.» Ein klares Statement für weniger CO2. Ihm mache die Klimaerwärmung Angst, aber den meisten sei es einfach egal. Projekte wie Olympische Spiele im Wallis lehnt er deshalb ab, obwohl er selber gerne Sport treibt.
Wenn die Baumgrenze steigt, hält der Wald schon weiter oben den Schnee fest und verhindert so Lawinen. Das könnte ein Vorteil der Klimaerwärmung sein. Aber wenn Stürme und Trockenheit den Wald weiter schwächen, wird auch das nichts nützen. Zudem zeichnet sich ab, dass wegen der steigenden Temperaturen neue Baumarten wie der Götterbaum den Wald erobern. Noch hat er sich nicht im Goms angesiedelt, aber im Unterwallis und im Tessin gedeiht er schon. «Der Götterbaum ist viel weniger robust als unsere Bäume und völlig ungeeignet für einen Schutzwald. Man sieht im Tessin bereits, wie er ganze Hänge überwuchert», sagt Fredy Zuberbühler. Heute überlebt auch der Borkenkäfer viel besser im Goms als noch vor einigen Jahren, auch die Zecken im Unterholz sind ein ungemütliches Signal, das auf die steigenden Temperaturen hinweist. Fredy Zuberbühler: «Es ist im Goms wahnsinnig mild geworden.»
Echo 150