Kernpunkte des Referats von Prof. Heribert Rausch, Ordinarius für Öffentliches Recht, insbesondere Umweltrecht, an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Zürich.
Im Jahre 1994 nahmen Volk und Stände die Alpen-Initiative an (Art. 36sexies aBV / Art. 84 BV). Diesem Verfassungsartikel gemäss hat der alpenquerende Gütertransitverkehr vollständig auf der Schiene zu erfolgen. Die Verlagerung „muss zehn Jahre nach der Annahme der Volksinitiative … abgeschlossen sein“ (Art. 196 Ziff. 1 BV). Das ist nicht geschehen.
Das Verkehrsverlagerungsgesetz von 1999 definierte das Verlagerungsziel zu Recht neu so, dass die ausländischen Camionneure nicht diskriminiert sind: Ansatzpunkt ist nun nicht mehr der Transitgüterverkehr, sondern der alpenquerende Güterverkehr insgesamt. „Für den auf den Transitstrassen im Alpengebiet verbleibenden alpenquerenden Güterschwerverkehr gilt eine Zielgrösse von 650’000 Fahrten pro Jahr“ (Art. 1 Abs. 2). Zurzeit sind es noch rund doppelt so viele.
Zugleich verlängerte das Verkehrsverlagerungsgesetz die Umsetzungsfrist um fünf Jahre, also bis 2009. Das geschah ohne Grundlage in der Verfassung, „einfach“ weil sich ergeben hatte, dass die per 2001 eingeführte leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe bei weitem nicht ausreicht, um das Verlagerungsziel zu erreichen.
Um dieses schliesslich doch zu erreichen, soll nun eine Alpentransitbörse eingeführt werden (dazu dann Ziff. 10).
Aus bestimmten sachlichen Gründen beauftragt der hier interessierende Verfassungsartikel unmittelbar den Bundesrat, die notwendigen Massnahmen zu treffen (Art. 84 Abs. 2 Satz 2 BV). Eine solche Kompetenzordnung ist zwar ungewöhnlich, aber nicht geradezu erratisch (vgl. Art. 182 Abs. 1, Art. 184 Abs. 3, Art. 185 Abs. 3 und Art. 196 Ziff. 14 Abs. 1 BV).
Weil die Kompetenzzuweisung an den Bundesrat in einem Spannungsverhältnis zum Legalitätsprinzip (Art. 36 Abs. 1 und Art. 164 BV) steht, kann man sich fragen, ob die Bundesversammlung bei der Beratung der Alpen-Initiative den betreffenden Satz für ungültig hätte erklären können. Das ist aber eine akademische Frage. Effektiv zog die Bundesversammlung die rechtliche Haltbarkeit jener Initiativbestimmung nicht in Zweifel. Auch wurde sie dann vorbehaltlos in die neue BV übernommen.
Es geht nicht an, die Kompetenzzuweisung an den Bundesrat nachträglich in Frage zu stellen; weder der Bundesrat selbst noch das Parlament darf eine Verfassungsnorm ändern oder als nicht-existent behandeln.
Wortlaut dieser BV-Bestimmung: „Der Bundesrat trifft die notwendigen Massnahmen.“ Das ist klarerweise keine Kann-Vorschrift. Der Bundesrat ist also nicht nur zuständig, sondern auch verpflichtet, die nötigen Vorschriften auf dem Verordnungsweg zu erlassen (vgl. hierzu etwa Alexander Ruch, Öffentliche Werke und Verkehr, in: Verfassungsrecht der Schweiz, hrsg. von Daniel Thürer, Jean-François Aubert, Jörg Paul Müller, § 59 Rz. 41).
Der Bundesrat will gleichwohl den Gesetzesweg beschreiten (Entwurf zum Güterverkehrsgesetz). Dies ruft der Frage, ob nicht eine rechtliche Handhabe besteht, ihn zur Ausübung seiner Kompetenz zu bewegen. Ein Weg an das Bundesgericht steht nicht offen. Denkbar ist dagegen eine Aufsichtsbeschwerde an die Bundesversammlung.
Zur Alpentransitbörse als neuem Instrument: Es gilt der Grundsatz, dass das zur gesetzgeberischen Umsetzung eines Verfassungsauftrages zuständige Organ – hier: der Bundesrat – jedes sachlich und rechtlich geeignete sowie verhältnismässige Instrument einführen kann (Erläuterung am Beispiel der Kontingentierung der Gebirgslandeplätze [Art. 54 Abs. 3 VIL] und am Beispiel der Lenkungsabgaben in den Sachbereichen des Umweltschutzgesetzes sowie des Filmgesetzes). Anerkanntermassen bedürfte einzig eine neue Steuer einer expliziten eigenen Verfassungsgrundlage.
Luzern, 26.6.06