14. Mai 2002

Dr. med. Gaudenz Silberschmidt, Vize-Präsident derÄrztinnen und Ärzte für Umweltschutz Schweiz
Broschüre der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz

Mobilität nimmt in unserer Gesellschaft eine dominierende Stellung ein. Wir alle profitieren davon, dass Menschen und Güter sehr kostengünstig transportiert werden können. Doch schon seit den allerersten Erfindungen motorisierter Mobilität wurden die problematischen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden erkannt, wie dies bereits Arthur Schopenhauer (1788-1860) hervorhob, als er sich über die Qualen der Eisenbahn beschwerte und dabei Luftverschmutzung, Lärm, Unfälle, psychische und soziale Einflüsse des Verkehrs beschrieb. Die Probleme haben sich mit dem Aufkommen des erst nach Schopenhauers Tod erfundenen Automobils nicht grundsätzlich verändert. Als zusätzliche Gesundheitsauswirkungen des Verkehrs , welche Schopenhauer noch nicht bewusst waren, sind der Klimawandel und die fehlende körperliche Aktivität hinzugekommen. Alle diese Gesundheitsauswirkungen der Verkehrs werden in der neuen Broschüre der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz verständlich beschrieben. Zwar haben sich Schadstoff- und Lärmausstoss der Fahrzeuge laufend verbessert, doch werden diese Verbesserungen durch die ungebrochene Zunahme des Verkehrsvolumens mehr als kompensiert. In der Schweiz hat in den letzten 50 Jahren der Personenverkehr ums siebenfache und der Güterverkehr ums neuneinhalbfache zugenommen. Dieses Wachstum ist allerdings nicht gleichmässig verteilt. Der sogenannte Modalsplit, der Anteil der Verkehrsmittel an der Gesamtmobilität, verschiebt sich immer mehr zu Gunsten des individuellen Strassenverkehrs und des Flugverkehrs und zu Lasten der Bahn und der körperlich aktiven Fortbewegung mit dem Fahrrad und zu Fuss. Der Flugverkehr wächst mit jährlich 7% bei weitem am schnellsten. Pro Tag und Person werden im Durchschnitt drei Reisen unternommen, die Hälfte davon ist kürzer als 3 km. 40%-50% finden im Rahmen der Freizeit, knapp 30% für Arbeits- oder Schulweg und knapp 20% zum Einkaufen statt. Die Hälfte aller Autofahrten sind kürzer als 6 km, ein Drittel kürzer als 3 Kilometer, ein Achtel sogar kürzer als 1 Kilometer. EuropäerInnen verbringen durchschnittlich eine Stunde pro Tag mit Fortbewegung. In EU Ländern wird rund 14% des Einkommens für den Personenverkehr ausgegeben. Die Verkehrsinfrastruktur in der Form von Strassen und Fahrzeugen verbraucht 20-40% der nicht erneuerbaren Rohstoffe wie Zement, Stahl und Aluminium. Der Verkehr ist für rund 30% des Energieverbrauches und damit auch des CO2-Ausstosses verantwortlich. Im Gegensatz zu anderen Sektoren ist der Energieverbrauch des Verkehrs stetig im Steigen begriffen, wodurch sich dieser Prozentsatz noch weiter vergrössern wird. Während unsere Mobilität unaufhaltsam zunimmt, sind wir körperlich immer weniger aktiv. Der Bewegungsmangel hat in den Industrieländern epidemische Ausmasse angenommen: ein Drittel der Bevölkerung bewegt sich kaum, ein weiteres Drittel in einem gesundheitlich ungenügendem Mass. Wir haben so eine unschätzbare Ressource für die nachhaltige Gesundheit und das Wohlbefinden verloren, denn die regelmässige körperliche Bewegung mittlerer Anstrengung von etwa 30 Minuten an den meisten Tagen der Woche verringert die Häufigkeit einer Vielzahl von Krankheiten, wie Herzkreislauf-Krankheiten, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Übergewicht, Osteoporose und Darmkrebs. Die körperliche Inaktivität hat dementsprechend grosse Folgen: Für die Schweiz wurde kürzlich geschätzt, dass der Bewegungsmangel jährlich 1,4 Millionen Erkrankungen, knapp 2000 Todesfälle und direkte Behandlungskosten von rund 2.4 Mia. Franken zur Folge hat. Der Hauptteil der Broschüre ist einem Überblick über verschiedene Gesundheitsauswirkungen des Verkehrs gewidmet. Die gesamtheitliche Betrachtung der Beeinflussung der Gesundheit durch den Verkehr hinterlässt einen ganz anderen Eindruck, als eine getrennte Betrachtung der einzelnen Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen. So werden all zu oft bei Diskussionen über Luftverschmutzung andere Faktoren wie Lärm, Klimawandel, Unfälle, fehlende körperliche Aktivität etc. vernachlässigt. Neben den hier genauer beschriebenen Problemen hat Verkehr durchaus auch noch weitere Folgen, wie beispielsweise die Abfallproblematik von Altautos, Reifen, Batterien. Die Broschüre schliesst mit der zentralen Frage, was jede und jeder von uns persönlich tun kannund mit den politischen Forderungen von uns Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz.Für die Schweiz sind folgende Forderungen der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz von besonderer Aktualität:Keine zweite Röhre am Gotthard
Keine Förderung und Verbilligung des Diesels bevor Partikelfilter für Lastwagen und PWs obligatorisch eingeführt sind.
Konsequente Weiterführung der Förderung des öffentlichen Verkehrs und der Umlagerungspolitik von der Strasse auf die Schiene
Rascher Vollzug der Massnahmen zum Erreichen der Ziele der Lärmschutzverordnung
Keine Aufweichung des Nachtfahrverbots für Lastwagen
Einsatz für eine internationale Einführung der LSVA
Programme zur Förderung der körperlichen Aktivität im Alltag
Internalisierung externer Kosten für alle Verkehrsarten
Abgasbesteuerung für den Flugverkehr
Einführung von mindestens einem autofreien Sonntag