11. Februar 2010

von Hugo Wandeler, dipl. Arch. ETH/SIA, Planer FSU, Zürich
Ein Ersatzangebot für den Strassenverkehr während der Sanierung des Gotthard-Strassentunnels geht davon aus, dass die Hälfte des Schwerverkehrs bis dann auf die Schiene verlagert ist. Vom Personenverkehr dürfte ein Teil der Transits die Schweiz umfahren. Es bleibt ein Bedarf für rund 400 Personenwagen und 60 Lastwagen pro Stunde.

Der Gotthard ist ein Herzstück im Schweizer Strassennetz. Es hat aber 600 Jahre gebraucht, bis, ausgehend vom „stiebenden Steg“ in der Schöllenen (1228), eine durchgehend befahrbare Strasse über den Gotthard (1830) gebaut war. Dann dauerte es nur noch 50 Jahre bis zur Eröffnung der Gotthardbahn mit dem Eisenbahntunnel Göschenen–Airolo als Kernstück. Damals (1882) hatte man geglaubt, diesen grossen Berg endgültig für den Verkehr bezwungen zu haben.

Doch die Mobilitätsansprüche wuchsen weiter und hundert Jahre später, im September 1980, war mit der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels eine weitere Komfortstufe erreicht: die freie Fahrt durch den Gotthard im eigenen Auto oder Lastwagen, auch im Winter, wenn die gut ausgebaute Strasse über den Pass wegen Schnee und Lawinengefahr nicht befahren werden konnte. Für PW, kleinere Lastwagen und Cars stand zwar ein Bahnverlad zur Verfügung.

Auch diese zweite Röhre zwischen Göschenen und Airolo konnte die weiter steigenden Mobilitätsbedürfnissen nicht befriedigen: Zur Zeit wird, als Kernstück der NEAT, der Gotthard-Basistunnel Erstfeld–Biasca mit zwei Röhren von 57 km Länge erstellt und wenn der Zeitplan eingehalten wird, werden auf der Gotthardstrecke ab 2017 Züge mit 200 km/h verkehren, weil die Bahn dann keine Steigungen mehr überwinden muss, sondern als Flachbahn unter diesem Berg durchfährt. Die Reisenden werden den Gotthard dann nicht mehr als Berg erleben, sondern nur noch als dunkles, heisses Loch, das in weniger als 20 Minuten durchfahren ist.

Auch mit der NEAT sind die Ansprüche an die Verkehrsinfrastruktur am Gotthard noch nicht abgedeckt: Einige verlangen eine zweite Autoröhre, weil die bestehende Tunnel überlastet und zu wenig sicher sei. Und weil diese bestehende Röhre nach nun 30 Jahren Betrieb grundlegend saniert werden muss, wird eine zweite Röhre als Ersatz während der Bauzeit gefordert.

Diesem Begehren steht ein grundsätzliches Hindernis entgegen: Der vom Schweizer Volk in einer denkwürdigen Abstimmung am 20. Februar 1994 beschlossene Verfassungsartikel über den Alpenschutz. Wenn früher die Berge als Bedrohung für den Menschen erlebt wurden, ist es heute umgekehrt: Die Immissionen des Verkehrs zerstören das labile Gleichgewicht der Umwelt, insbesondere in den Bergen. Im Alpenraum darf deshalb die Kapazität für den Strassenverkehr nicht mehr erhöht werden und am Gotthard muss der Güterschwerverkehr auf etwa die Hälfte der heutigen Belastung reduziert werden.

Der Gotthard-Strassentunnel kann jedoch, wie wir mit unserer Studie zeigen, auch ohne eine weitere Röhre saniert werden. Die mit der NEAT ab 2017 bestehenden drei Bahnröhren genügen als temporärer Ersatz.

Ausgangspunkt unserer Überlegungen sind die heutigen Verkehrsbelastungen. Der Gotthard- Strassentunnel wird wegen den periodischen Staumeldungen in den Medien als nationales Verkehrsproblem und Nadelöhr wahrgenommen. Diese Staus betreffen jedoch vor allem den Freizeitverkehr an ausgewählten Tagen und Stunden. Objektiv betrachtet ist die Verkehrsbelastung des Gotthard-Strassentunnels mit durchschnittlich 16’600 Fahrten pro Tag vergleichsweise bescheiden. Die grossen Verkehrsprobleme in der Schweiz liegen in den Zentren und im Mittelland, wo Verkehrsbelastung bis 100’000 Fahrzeuge und mehr pro Tag die Regel sind. Verkehrsinfrastrukturen können nicht auf Spitzenbelastungen dimensioniert werden, – schon gar nicht in einem technisch und finanziell derart aufwändigen Teilstück wie im Gotthard.

Der Gotthard-Strassentunnel ist eine wichtige, aber keineswegs die einzige Nord-Süd-Verbindung im Schweizer Alpenraum. Wenn der Gotthard-Strassentunnel aus irgendeinem Grunde nicht befahren werden kann, steht ein vielfältiges Alternativangebot zur Verfügung.

Die Gesamtbelastung des Gotthard-Strassentunnels liegt seit 2001 bei rund 6 Mio. Fahrten pro Jahr. Davon sind rund 4,5 Mio. Personenwagen, 1 Mio. Lastenzüge und grosse Lastwagen (Güterschwerverkehr) und 0,5 Mio. Cars, kleinere Lastwagen und Lieferwagen. Diese Belastung verteilt sich jedoch sehr unterschiedlich über das Jahr: Eine grössere Belastung besteht nur im Juli und August, für den Rest des Jahres reicht das Angebot gut aus, und Stau wegen Überlastung durch PW-Verkehr tritt lediglich an rund 30 Tagen pro Jahr auf.

Von Bedeutung ist auch der Anteil Fahrzeuge mit ausländischen Kontrollschildern, der gemäss einer detaillierten Erhebung des ASTRA im Jahre 2005 nahezu 50% ausmacht. Wenn der Gotthard-Strassentunnel nicht zur Verfügung steht, wird sich ein erheblicher Teil dieses Verkehrs auf andere Achsen verlagern oder gar nicht stattfinden. Wir rechnen vorsichtig mit einer Verlagerung von lediglich 10 – 15%.

Massgebend für die Dimensionierung eines Ersatzangebotes für den Strassentunnel ist der durchschnittliche Werktagsverkehr. Pro Stunde und Richtung werden am durchschnittlichen Werktag in den Spitzenstunden rund 550 Fahrzeuge pro Stunde gezählt. Davon sind etwa 80% (also 440) Personenwagen. Bei Annahme einer Verlagerungsrate von bescheidenen 10% verbleiben noch rund 400 Personenwagen pro Stunde und Richtung, für welche ein Ersatzangebot bereitgestellt werden muss.

Beim Güterschwerverkehr wird das Verlagerungsziel der Alpeninitiative, also rund 500’000 grosse Lastwagen pro Jahr als Massstab genommen (die restlichen 150’000 LKW verkehren über die andern drei Alpenübergänge). Verteilt auf 260 Werktage und 16 Stunden Betriebszeit müssen im Mittel rund 60 Lastwagen pro Stunde transportiert werden.

Abschliessend noch ein Wort zur Sicherheit:

Eine zweite Röhre wird u. a. auch mit der mangelnden Sicherheit des zweispurigen Strassentunnels begründet. Die Unfallstatistik zeigt, dass dieses Argument heute nicht mehr zutrifft. Seit dem grossen Brand im Tunnel sind die Sicherheitsvorkehren massiv verbessert worden und die Zahl der Unfälle ist entsprechend zurückgegangen. Mit im Schnitt weniger als 10 Unfällen auf rund 100 Mio. Autokilometer hat der Gotthard-Strassentunnel einen hohen Sicherheitsstandard erreicht. Das Konzept der Rollenden Strassen wird die Sicherheit während der Sanierungszeit noch erhöhen, weil die Fahrzeuge auf sicheren Schienen transportiert werden und Personenwagen und Lastwagen vollständig getrennt sind.

Bern / Zürich 11.2.2010